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Zudem muss die Verbandszugehörigkeit von Arbeitnehmer und Arbeitgeber kongruent sein. Ist z.B. der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband Chemie, gilt der Tarifvertrag nicht, wenn der Arbeitnehmer in der IG Metall organisiert ist. Er muss Mitglied der abschließenden Gewerkschaft, also in diesem Beispiel der IG Chemie, sein.
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Schließlich ist von großer Bedeutung, dass die Gewerkschaft auch tatsächlich eine Gewerkschaft ist. Ist sie nicht mächtig57 genug, kann sie wirksam keine Tarifverträge abschließen.
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Tritt der Arbeitgeber aus dem Verband aus, gilt der Tarifvertrag weiter (Nachwirkung), § 3 Abs. 3 TVG. In welchem Umfang, ist zu differenzieren:
– Gesetzlich Tarifgebundene Beschäftigte: statisch, d.h. Änderungen in Vergütung und Arbeitszeit wirken sich nicht mehr aus.
– Nicht gesetzlich Tarifgebundene: abhängig von einer etwaigen Gleichstellungsklausel (s. Rn. 51 ff.).
– Nach Austritt eintretende Beschäftigte: keine Tarifbindung.
2. Firmentarifvertrag
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Schließt ein Unternehmen direkt mit der Gewerkschaft (die satzungsgemäß zuständig ist) den Tarifvertrag ab, liegt ein Unternehmens- oder Firmentarifvertrag vor – das Grundmodell des § 2 Abs. 1 Alt. 1 TVG. Im Übrigen gelten die zum Verbandstarifvertrag dargestellten Erläuterungen.
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Besonders zu beachten ist, dass ein Konzern als solcher keinen Tarifvertrag abschließen kann.58 Hier muss der Konzern in Vollmacht der vertretenen Unternehmen handeln und dies im Tarifvertrag deklarieren.
3. Firmenbezogener Verbandstarifvertrag
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Schließt ein Arbeitgeberverband mit der zuständigen Gewerkschaft einen Tarifvertrag für ein einzelnes Unternehmen ab – meist handelt es sich um ergänzende Regelungen eines Flächentarifvertrages oder diesen in einigen wenigen Punkten abweichenden Tarifvertrag – handelt es sich um einen Verbandstarifvertrag, der aber ausschließlich auf das bezuggenommene Unternehmen gilt.
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Typisch sind Abweichungen in Arbeitszeit und Sonderzahlungen. Dies ist ein Grund, weshalb die Verbände in den letzten Jahren verstärkt zu Öffnungsklauseln, Arbeitszeitkorridoren etc. gegriffen haben. Typisch ist hierfür, dass in einem vorgegebenen Rahmen die Betriebsparteien abändernde Betriebsvereinbarungen treffen können, etwa plus oder minus drei Stunden abweichend zur tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit, die Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband hiervon nur unterrichtet werden oder zustimmen müssen. Die Transaktionsaufwände lassen sich hierdurch erheblich reduzieren.
4. Ergänzungs- und Einheitstarifvertrag
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Ergänzende und vereinheitlichende Regelungen können durch jedes der vorstehenden Tarifvertragsmodelle gestaltet werden.
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Der Bedarf hierzu ist gestiegen, insbesondere mit der immer stärker werdenden Konzernbindung von Unternehmen. Häufig besteht der personalpolitisch anzuerkennende Bedarf, materielle Regelungen konzernweit gelten zu lassen. Dies einmal aus allgemeinen personalpolitischen Überlegungen, zum anderen aber auch durch die Tatsache der immer mehr matrixförmigen Organisation und damit verbundenen Tatsache, dass eine Führungskraft Mitarbeiter in verschiedenen Tarifgebieten hat.
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Denn der „Flächentarifvertrag“ ist häufig eher mit der Kleinstaatlichkeit im 18. Jahrhundert zu vergleichen: Während der Manteltarifvertrag z.B. in der chemischen Industrie (mit wenigen Ausnahmen) bundesweit gilt, bestehen in der Metallindustrie alleine in Baden-Württemberg drei verschiedene Rahmenregelungen.
5. Ergänzende Regelungen durch Betriebsvereinbarung
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Wie erwähnt, sehen etliche Tarifverträge sog. Öffnungsklauseln vor, die gerade den doppelten Sperrvorbehalt aus §§ 77, 87 BetrVG „aufheben“.
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Beispiel: 59
– Arbeitszeitkorridor: Wochenarbeitszeiten zwischen 35 und 40 Stunden für ganze Betriebe oder Betriebsteile,
– differenzierte Arbeitszeiten für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen,
– unterschiedliche Verteilung der Arbeitszeit über einen Zeitraum bis zu 36 Monaten,
– Entgeltkorridor bis zu 10 Prozent Absenkung,
– Tarifkonkurrenzklausel: Anpassung von Betriebsbereichen an das Niveau konkurrierender Tarifverträge,
– tarifliche Jahresleistung erfolgsabhängig zwischen 80 und 125 Prozent eines tariflichen Monatseinkommens.
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Damit können die Betriebspartner innerhalb der tariflichen „Leitplanken“ einen zugestandenen Korridor zur betrieblichen Gestaltung nutzen.
56 Zur allgemeinen Fragwürdigkeit deren Vereinbarkeit mit der EMRK: EGMR 13.8.1981, NJW 1982, 2717. 57 Überblick ErfK-Franzen, § 2 TVG Rn. 11 ff. 58 Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 359 ff. 59 So in der chemischen Industrie, https://www.bavc.de/bavc/web/web.nsf/id/li_prat7embz5.html.
IV. Außertarifliche Beschäftigte
1. Definition des außertariflichen Beschäftigten
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Als außertariflichen Mitarbeiter (häufig „AT“) bezeichnet man üblicherweise Beschäftigte in einem Unternehmen, für das im Grundsatz ein Tarifvertrag (z.B. durch Tarifbindung) gilt, diese Beschäftigten aber – wegen der nicht mehr im Bewertungsschema des Tarifvertrags liegenden Tätigkeiten – nicht (mehr) in den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen.60 Anders gesagt: eine Tarifbeschäftigung liegt vor, wenn die Gesamttätigkeit eines Arbeitnehmers unter die tariflich definierten Tätigkeitsmerkmale zu subsumieren ist,61 außer Tarif Beschäftigte sind die hiervon nicht mehr erfassten Beschäftigten. Die Beurteilung hängt also nicht von einer vertraglichen Vereinbarung ab, sondern unterliegt einer rechtlichen Bewertung.
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Häufig werden Beschäftigte, auf die der Tarifvertrag nicht angewandt wird – wegen z.B. fehlender Tarifbindung – als außertariflich bezeichnet; richtiger wäre wohl in solchen Fällen der Begriff „nebentariflich“ oder „außer Tarif Beschäftigte“. Für diese
– gilt nicht das Tarifwerk;
– gilt nicht der doppelte Sperrvorbehalt für betriebliche Regelungen.