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Verfügt ein Tarifvertrag indes über (bindende) Tätigkeitsbeispiele (und nicht nur erläuternde Richtbeispiele), sind diese verbindlich, müssen indes vollständig51 erfüllt sein und zudem (je nach Tarifvertrag) regelmäßig zumindest überwiegend ausgeübt werden. Bei Vorliegen eines möglichst konkreten Tätigkeitsprofils oder einer Tätigkeitsbezeichnung mag die Zuordnung zu diesen Tätigkeitsbeispielen dann ggf. erleichtert sein, aber dennoch verbleiben auch hier nicht unerhebliche Beweishürden hinsichtlich des tatsächlichen Ausfüllens dieser Tätigkeitsbeispiele.
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Übt der Beschäftigte höherwertige Tätigkeiten aus als diejenigen, die seiner Tätigkeitsbeschreibung entsprechen, und will eine reklamierte Höhergruppierung hierauf begründen, ist zudem zu fragen ob er dies entsprechend dem arbeitgeberseitigen Willen macht – wovon bei ständiger Hinnahme der Tätigkeiten durch den Arbeitgeber im Sinne konkludenter Vereinbarung auszugehen sein mag – oder übervertraglich dem Arbeitgeber eine Leistung gleichsam aufdrängt.52
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Schließlich – je nach konkretem Tarifvertrag – bleibt noch ein Beurteilungsspielraum, den das Tatsachengericht auszufüllen hat.53
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Die Hürden sind insgesamt gesehen also hoch. Dabei wird es, wenn überhaupt,54 allenfalls im letzten entscheidungserheblichen Punkt, dem Beurteilungsspielraum, mit entscheidungserheblich sein, wie der Betriebsrat die Beurteilung sieht. Denn auch dieser übt lediglich ein Mitbeurteilungsrecht aus, das in tatsächlicher Hinsicht kein Präjudiz darstellt – zumal, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat unterschiedliche Auffassungen vertreten.
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Besonderen Anforderungen steht eine Klage gegenüber, mit der eine außertarifliche Vergütung eingefordert wird. Häufig sind die höchsten Entgeltgruppen so gestaltet, dass schon die Darlegungslast – ganz abgesehen von der Beweisführung – kaum zu erfüllen ist.
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Beispiel:
Arbeitnehmer, die im Rahmen allgemeiner Richtlinien selbstständig kaufmännische oder technische Tätigkeiten verrichten, für die neben umfangreichen Berufserfahrungen Spezialwissen vorausgesetzt wird und bei denen entweder begrenzte Leitungsaufgaben zu erfüllen sind oder Verantwortung für Teilgebiete zu tragen ist. 55
31 MüArbR-Richardi, § 8 Rn. 31. 32 Siehe zum aktuellen Stand ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 229 ff. 33 MASIG-Beckschulze, 210 Rn. 83 ff. 34 BAG 13.12.1995, 4 AZR 1062/94, NZA 1996, 769. 35 BAG 2.3.2004, 1 AZR 271/03, NZA 2004, 852. 36 LAG Mecklenburg-Vorpommern 19.7.2005, 2 Sa 185/05, BeckRS 2005, 30804586. 37 BAG 11.9.2013, 7 ABR 29/12, NZA 2014, 388. 38 Richardi-Thüsing, § 99 BetrVG Rn. 70. 39 Richardi-Thüsing, § 99 BetrVG Rn. 77. 40 So zum ERA TV Nordwürttemberg/Nordbaden BAG 12.1.2011, 7 ABR 34/09, NZA 2011, 1297. 41 Bereits BAG 10.2.1976, 1 ABR 49/74, AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 4. 42 Bereits BAG 10.2.1976, 1 ABR 49/74, AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 4. 43 So deutlich ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 43. 44 MüArbR-Rieble/Klumpp, § 182 Rn. 4 ff. 45 Richardi-Richardi, § 77 BetrVG Rn. 310. 46 Richardi-Richardi, § 77 BetrVG Rn. 312. 47 Vgl. etwa DBD-Däubler, § 305c BGB Rn. 44. 48 DBD-Däubler, § 305c BGB Rn. 46 ff., 47a. 49 LAG Hessen 7.5.2013, 15 Sa 697/12, BeckRS 2013, 73105. 50 Zum Verhältnis Feststellungs- zu Leistungsklage LAG Rheinland-Pfalz 8.9.2008, 5 Sa 801/07, BeckRS 2009, 50712. 51 Vgl. BAG 23.9.2009, Az 4 AZR 333/08, NJOZ 2010, 1311. 52 Hierzu zur gesamten Arbeitsleistung: MüArbR-Richardi/Buchner, § 34 Rn. 40. 53 BAG 22.3.1995, 4 AZN 1105/94, NZA 1996, 42. 54 A.A. MüArbR-Moll, § 21 Rn. 36 ohne weitere Begründung. 55 Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie, § 7 zur höchsten Entgeltgruppe EG 13 (Auszug).
III. Flächentarifvertrag, Firmentarifvertrag und ergänzende Regelungen
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Tarifliche (Grund-)Vergütungen ergeben sich wie der Name bereits besagt aus dem Tarifvertrag; dabei gibt es nicht „den“ Tarifvertrag. Bereits oben wurde dargelegt, dass die Auswahl des Tarifvertrages von Arbeitsvertrag oder Tarifbindung herrühren. Die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag oder der kraft originärer Tarifbindung anzuwendende Tarifvertrag kann jedoch unterschiedlichen Ursprungs oder unterschiedlicher Qualität sein.
1. Verbandstarifvertrag
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Der Verbandstarifvertrag – auch Flächentarifvertrag genannt – wird zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft abgeschlossen, § 2 Abs. 1 Alt. 2 TVG. Beide Verbände sind grundgesetzlich besonders geschützt, Art. 9 Abs. 3 GG. Dabei garantiert das Grundgesetz sowohl die aktive als auch passive Koalitionsfreiheit, also weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer dürfen in eine Mitgliedschaft gezwungen werden – anders als z.B. in Rechtsordnungen, die ein sog. „closed shop“-Prinzip56 zulassen.
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Die Verbände – Arbeitgeberverband und Gewerkschaft – schließen demnach zunächst nur für ihre Mitglieder den Tarifvertrag ab. Unmittelbare Geltung hat dieser zunächst nur für die Mitglieder, § 4 Abs. 1 TVG. Ist nur der Arbeitgeber Mitglied, so wird er häufig durch Gleichstellungsklausel