Trumpism. Regula Stämpfli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regula Stämpfli
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783907146088
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um die Wall Street, den Vormarsch der Extremisten in Anzügen, zu stoppen. Für Demokratinnen und Demokraten fühlte sich das an wie die Feier nach einem langjährigen Krieg der Neoliberalen gegen den Staat. Der politische Alltag entpuppte allein die traurige Wahrheit: Der Heilsbringer Barack Obama war nichts anderes als »an American President« wie alle anderen vor ihm und nach ihm: viel Rhetorik, wenig Politik und wenig politische Partizipation von unten. Obama reihte sich nahtlos in die für Demokratie, den Wohlfahrts- und Sozialstaat äußerst üble Geschichte seiner Vorgänger ein.

      So wurde der die Banken regulierende Glass-Steagall Act in den 1990ern von Bill Clinton aufgehoben. Er hatte damit den Startschuss für den »Angriff der mathematischen Massenvernichtungswaffen der Wall Street gegen die Main Street« (Cathy O’Neil, »Angriff der Algorithmen«) gegeben. Gemeinsam mit seinen sozialdemokratischen Kollegen in Europa forcierte Clinton den krass asozialen und ökologisch verheerenden internationalen Freihandel. Er und seine Dudes verhalfen mit der globalen Aufhebung der Textilzölle (1999) der Volksrepublik China beim Aufstieg zur globalen Kapitalismusdiktatur unter roten Vorzeichen. Die EU zog nach: Wirtschaftliche Gewinne wurden von unten nach oben verteilt, geltende Umweltschutzgesetze, öffentliche Dienstleistungen und Einrichtungen mit dem Hinweis auf »Harmonisierung« der Welthandelsregeln oder des europäischen Binnenmarkts beseitigt. Gegen jede wirtschaftliche Vernunft und bei grosser Skepsis der europäischen Bevölkerung wurde der Euro selbst in Staaten, die die Stabilitätskriterien nicht erfüllen konnten und dies wohl auch nie würden, durchgeboxt. Die Liberalisierung von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen – die Eckpfeiler für den Abbau von Sozial- und Wohlfahrtsstaaten – wurde unabhängig von geltendem Verfassungsrecht durchgedrückt. Steuern waren fortan Abgaben, die nur noch Leute zu entrichten hatten, die sich diese kaum leisten konnten. Die einzige Ausnahme bot hier die kleine Schweiz: Sie war das einzige Land, das sich der ungebremsten Liberalisierung von Dienstleistungen und Personen mit nationalstaatlichen Beschränkungen und sozialstaatlichen Auffangmechanismen wie den »Flankierenden Massnahmen zum Freien Personenverkehr« zu widersetzen wusste.

      Dieses System, das Arme ärmer und Reiche reicher machte, von dem der amerikanische Zentralbanker Alan Greenspan in einem seltenen lichten Moment meinte, er hätte sich wohl in der Ideologie vertan (Kongresshearing von 2008), crashte im Herbst 2008 spektakulär. Das kurze Zeitfenster, das sich damals öffnete, die westlichen Verfassungsstaaten zurück auf den Kurs der wohlfahrtsorientierten Demokratie zu führen, ließ der Politmessias Barack Obama ungenutzt verstreichen. Im Gegenteil: Die Finanzdiktatur wurde durch antidemokratische Rechtsformen mittels informeller Gremien erheblich gestärkt. Der Crash der Wall Street – ein kapitalistischer Sündenfall – wurde zum staatskapitalistischen Normalfall: Die Trillionen Schulden der Großbanken wurden den Bürgerinnen und Bürgern der Demokratien aufgebürdet. Private Schulden verwandelten sich über Nacht in unbewältigbare Staatsschulden – bis heute. Die willigen Vollstrecker waren Brüssel, Berlin, Paris und die westlichen Massenmedien, die sich lieber in Fiktionen und den herrschenden Eliten als in den brutalen Realitäten des politischen Alltags bewegten. Man redete von »Postdemokratie« statt von der »Machtergreifung« der globalen Finanzinstitute. Damit wurde die Chance verpasst, zu erkennen, dass durch die Alternativlosigkeit der Rettung der Banken die für die Demokratie entscheidenden politischen Prozesse außer Kraft gesetzt worden waren.

      In der Tat ersetzte unter der Hegemonie der internationalen Finanzarchitektur das »de facto« des undemokratischen Finanzkapitalismus das »de jure« des demokratischen Verfassungsstaates. Das – von Donald Trump glücklicherweise außer Kraft gesetzte – TTIP (internationales Freihandelsabkommen, konzipiert 2014) sprach diesbezüglich Bände. Das TTIP nannte ich in einer meiner Kolumnen das »Ermächtigungsgesetz des 21. Jahrhunderts«, da mit diesem Abkommen viele existierende demokratische Entscheidungsverfahren außer Kraft gesetzt wurden. Im TTIP sollte allen westlichen Großbanken und multinationalen Unternehmen die Aushebelung der geltenden nationalstaatlichen Rechte zugunsten des Freihandels-Diktats garantiert werden. Die europäischen und amerikanischen Bürgerinnen und Bürger sollten in Zukunft keinen Anspruch mehr darauf haben, über die staatliche Förderung von Strom, Internet, Kultur, Schulen, Universitäten, Umweltschutz, genetisch modifizierten Nahrungsmitteln oder Börsenspekulationen mittels den ihnen garantierten Rechten mitzuentscheiden. Dies war der bisher heftigste Angriff auf die europäischen Verfassungen – doch viele Medien machten sich über den Protest gegen »Chlorhühnchen und Hormonfleisch« lustig.

      »Marktkonforme Demokratie« nennt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel solche Verfahren. So als ob Demokratie markt- und nicht verfassungskonform sein müsste. Im TTIP vorgesehen war auch ein privates Schiedsgericht, das hinter verschlossenen Türen bestimmen konnte, was in Zukunft Recht und was Unrecht sein sollte. Der »Investitionsschutz« wurde über den demokratischen Rechtsschutz gestellt. Ausgerechnet die rechtspopulistische AfD plakatierte 2015 im Zuge der europäischen »Rettungspakete« – sprich der Sicherung der Bankenschulden durch Austeritätsdiktate – »Griechen leiden. Banken kassieren. Deutsche zahlen«, was durchaus zutreffend war. Ein berühmtes Karl-Marx-Zitat illustriert den Wahnwitz der Regierungsparteien und -politiker der postkapitalistischen globalen Finanzkrise: »Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« Die Nichtbeistands (no bailout)-Klausel des Vertrags von Maastricht 1992 beispielsweise wurde im Zusammenhang mit der Zerschlagung westlicher Demokratien 2015 wie eine Farce behandelt. Es gäbe unzählige Beispiele, wie »kaufe Kredite, biete Demokratien«, die Politik lange vor der Attacke von Donald Trump auf demokratische Entscheidungsprozesse illustrieren könnten. Jahrzehntelang wurde damit der Boden gedüngt bis in der Gegenwart die antidemokratischen Extreme spriessen können. Die Wahl von Barack Obama versprach Zäsur. Doch der bewunderte Heilsbringer entpuppte sich in Wirklichkeit zum Tonangeber globaler Finanzherrschaft und vergiftete damit zusätzlich die schon angeschlagenen westlichen Demokratien.

      Obamas Versagen, die Finanzarchitektur in ihre demokratischen Schranken zu weisen, kann gar nicht oft genug betont werden, da die medialen, wissenschaftlichen, kulturellen Schreidebatten um Donald Trump die politische Wirkung des Präsidenten Barack Obama völlig in den Hintergrund drängen. Da Staat und Kapitalismus in den acht Jahren Regierung Barack Obama noch näher zusammengerückt sind, ist der Wettbewerb beispielsweise um anständig bezahlte Arbeit verdammt hart geworden und vor allem persönlicher. Davon zeugen die gehässigen Debatten im Netz, bei denen es – zumindest in den Medien – oft nur noch darum geht, Mitkonkurrenten Fehler nachweisen zu können. Meinungsvielfalt, demokratischer Austausch, entspannte Meinungsdifferenzen waren gestern. Heute gilt: jeder gegen jeden – auch dies eine direkte Folgewirkung der verpassten Chance Obamas im Jahr 2009, die Demokratien vor den Anschlägen des grassierenden Finanzkapitalismus zu schützen.

      Barack Obamas Charisma lässt vergessen, welches Freihandels- und Finanzgift die westlichen Demokratien seit 2008 verdauen müssen. Gift für die Demokratien, die – den 1930er-Jahren nicht unähnlich – auf noch mehr Gift in Form von Rechtsextremismus, Sexismus, Antisemitismus und Demokratie-Abschaffung setzen. Der veröffentlichte mediale Diskurs setzt zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise und dem Versagen der demokratisch gewählten Politiker wie Barack Obama nicht auf die bittere Wirklichkeit des Brecht’schen Diktums »Erst kommt das Fressen, dann die Moral«, sondern auf Debattenjournalismus. Die Beobachtung von Beobachtung, nach Niklas Luhmann die »Beobachtung zweiter Ordnung« macht damit aus demokratischer Wirklichkeit ständig antidemokratische Fiktionen.

      Zölle, Mindestlöhne, Handelsverträge, Lohngleichheit werden im Vergleich zu den heftigen Diskussionen über Geschlecht, richtigen Sex, richtiges Essen, richtige Hautfarbe, richtige Tonart fallen gelassen. Jeder Kontext wird individualisiert. Deshalb diskutieren auch die Linksliberalen mit vergiftetem Ehrgeiz über »den Islam« statt über Mindestlohn, Lohngleichheit, gewerkschaftliche und demokratische Grundrechte. Dabei wären Migration und Integration keine kulturellen, sondern genuin politische Themen hinsichtlich der Verwirklichung des Verfassungs- und Wohlfahrtsstaates. Ein beliebter Witz illustriert diesen Zusammenhang: Ein Banker, ein Deutscher (Schweizer) und ein Flüchtling sitzen am Tisch. Vor ihnen liegen zwölf Kekse. Der Banker nimmt elf und sagt zum Deutschen (Schweizer): »Pass auf, dass dir der Flüchtling nicht noch den letzten Keks wegfrisst.«

      Der Aufschrei gegen Donald Trump lässt vergessen,