Wer am 8. November 2016 den Fernseher einschaltete, der meinte zunächst Zeuge des Undenkbaren geworden zu sein. Dies obwohl die Wahlen im alten Europa, in Ungarn, in der Slowakei, in Tschechien und in Polen, dank der Mittäterschaft von Medien und Demoskopen schon länger Polittypen ähnlicher Fasson an die Macht gespült hatten. Seit Jahren wurde mittels Umfragen und in den Medien behauptet, dass sich das Volk nicht irren könne – vor allem nicht, wenn es sich dermaßen klar und deutlich in der Mehrheit äußere. Umfrageforscher wiesen empört jede Kritik der dadurch entstandenen »Tyrannei der Mehrheit« (Alexis de Tocqueville) zurück. Nun also auch die USA: Ein alter, wütender Mann, der kaum mehr als 140 Zeichen beherrscht und einiges davon versteht, wie man ohne viel zu leisten enorm viel Geld schaffen kann, sitzt im Weißen Haus wie kurz zuvor im Fernsehstudio und regiert das mächtigste Land der Welt. Den entsetzten linksliberalen Medienkommentaren weltweit, den globalen populistischen Jubelrufen folgten allein im ersten Amtsjahr zahlreiche Bücher, Expertenanalysen und Warnrufe. Nur die Selbstbezichtigungen der Demoskopen und Journalisten, die seit Jahrzehnten auf die Quotenkumpanei von Populismus und Aufmerksamkeit gesetzt hatten, fehlten. Nur wenige realisierten, dass auf der anderen Seite des Atlantiks ähnliche Politiktypen mit denselben Rezepten Wahlerfolge für sich verbuchten. Selbst Politiker, bei denen man auf Anhieb keine Ähnlichkeit mit Donald Trump vermuten würde. So marschierte der Newcomer Emmanuel Macron, ein bis dahin eher unbekannter 39-jähriger Absolvent der renommierten Verwaltungshochschule ENA, wie Trump durch alle Medienkanäle und schaffte aus dem Stegreif das schier Unmögliche: Mit einer neuen Bewegung, ohne festgelegtes parteipolitisches Programm, allein durch sein medial geschicktes Auftreten und seine topmoderne digitale Wahlkampagne wurde der ehemalige Sozialist Macron am 14. Mai 2017 zum jüngsten Präsidenten der französischen Republik gewählt. Sein Wahlkampf bestand im Wesentlichen aus einem Hashtag mit dem Hyperlink »En Marche«. Die völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten Macron und Trump täuschen über ihre Ähnlichkeiten im Hinblick auf Außenseitertum sowie den damit verbundenen Personenkult hinweg. Ähnliches geschah, als die deutschen Wählerinnen und Wähler am 25. September 2017 die ersten Hochrechnungen auf ARD und ZDF verfolgten. 72 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog mit fast 13 Prozent eine Partei in den deutschen Bundestag, die für viele Beobachter als Vertreter der »alten und neuen Nazis« (Heribert Prantl) galten. Die Alternative für Deutschland (AfD) erreichte diesen Erfolg mittels braun getünchten Parolen, spektakulärer Geschichtsfälschung und dem pauschalen Vorwurf der »Lügenpresse«. Seitdem tobt die Diskussion darüber, wer die Mitverantwortung für den Aufstieg der neuen Rechten trägt.
In Italien gewann im März 2018 die Fünf-Sterne-Protestbewegung als digitale Erneuerungspartei zusammen mit der rechtsnationalistischen Lega die Parlamentswahlen. Die erfolgreichen Parteien gaben an, alles anders machen zu wollen, sie politisierten nicht mit Programmen, sondern teils mit sehr skurrilen Erneuerungsnarrativen. Erst nach Monaten medienpolitischen Dauerwahlkampfs konnte Sergio Mattarella die neue Regierung, bestehend aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega, vereidigen. Der neue Innenminister Matteo Salvini segelt mit »Italien zuerst« auf dem Trump’schen Nationalismus-Motto und teilt mit diesem die ausgesprochene Ego-Shooter-Politik und eine offensichtliche Schwäche für Russlands Präsident Wladimir Putin.
TRUMPISMUS macht sich also definitiv auch in Europa breit. Einige behaupten sogar, dass der erste Politiker im Stil Trumps aus Italien stamme: Silvio Berlusconi. Dies lässt vermuten, dass Donald Trump nicht den Auftakt, sondern den Höhepunkt des Zerfalls der westlichen Demokratien darstellt. Denn zum Reigen der genannten Länder gehört auch der kleine Alpenstaat mitten in Europa, die Schweiz. Schon seit den 1990er-Jahren definiert dort nämlich ein für die Medien- und Umfragedemokratie sehr typischer Mix aus Rhetorik, Populismus und sehr selfish orientierter Realpolitik. Die Schweiz ist gewissermaßen ein TRUMPISMUS-Experiment avant la lettre, genießt sie nicht nur den Status als Einfallstor für viele US-amerikanische multinationale Unternehmen, sondern sie zeigt auch hinsichtlich ihrer Wissenschafts-, Kultur- und Medienpolitik viele Ähnlichkeiten mit den USA. Der Umbruch in der Medienlandschaft, die große Macht der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die im Gegenzug dazu neu erstarkenden radikallinken und genderfeministischen Bewegungen weisen entsprechende politische Polarisierungen auf, wie dies in Amerika zu beobachten ist. Der Kleinstaat Schweiz mit globaler Finanz- und Industriekraft wird zwar gern in politikwissenschaftlichen Übersichtsstudien zum Populismus vergessen, dabei hätte ein Blick auf die Eidgenossenschaft viele der gegenwärtigen globalen Entwicklungen vorhersehen können.
TRUMPISMUS formt also völlig unterschiedliche Länder, Wahlsysteme, Sprachen, Gesellschaften, weist im Kern aber auf die großen Erfolge von Außenseitern und personalities und auf die durch Medien und Umfragen teilweise pervertierten demokratischen Entscheidungsprozesse hin. Politische Ego-Shooter machen in diesem Spiel schon länger das Rennen. Sie spielen mit der Presse, nutzen die Struktur der populistischen Umfragen, dominieren mit ihren extremen Positionen die Polit-Talks und finden mit Einwegparolen omnipräsenten medialen Widerhall.
Vulgarität triumphiert in den USA, präsidial-neoliberaler Charme verbreitet sich in Frankreich, nationalistisches Dumpfgrunzen wird unüberhörbar in Deutschland, und in Italien werden Slogans zur Politik, die man bisher bei alten Mussolini-Anhängern als fehlgeleitete Nostalgie noch übersehen konnte. In der Schweiz macht sich ein Schweiz-untypischer Zentralismus Richtung Medien&Bankenmetropole Zürich breit, der die politische Kultur der direkten Demokratie unter großem Beifall einiger radikalisierter Minderheiten und Medienschaffender so ziemlich vergiftet.
Alle Akteure bedienen sich dabei der Königin aller Kommunikationskanäle, dem Zwitscher-, Gossip- und nur noch ansatzweise Emanzipationsmedium TWITTER. Diesem Medium wohnt die Qualität inne, dass der Unterschied zwischen Ruhm und Schande eliminiert wird. Donald Trump ist in der bemerkenswerten Situation, dass seine Beliebtheit als notorischer Lügner bei jedem Fake steigt. Alles wird als Kredit auf das Prominenz-Konto des Präsidenten verbucht. Hashtags, Followers, Facebook-Seiten und Instagram-Accounts mobilisieren Massen zu fiktiven Diskursen. Einflüsterer (neudeutsch »Influencer«) verhelfen einzelnen Volks- oder Identitätsnarrativen zum hunderttausendfachen Erfolg, und die klassischen Holzmedien (Printmedien, die in Anlehnung an die Buchdruck-Gesellschaft und ihre Herstellungsart so genannt werden) hecheln in Untertanenmanier mit. Die Umfrage- und Mediendemokratie erhebt dabei vor allem Meinungen, nicht Wirklichkeiten. Gleichzeitig sammeln Maschinen Wählerstimmen, und Roboter benehmen sich wie ganz normale Journalisten.
TRUMPISTEN finden mittlerweile überall willige Vollstrecker: meist rechts, aber viel zu oft auch links, wenn dort beispielsweise die Kritikerinnen in den eigenen Reihen regelrecht niedergebrüllt werden. Unglücklicherweise betätigen sich hier die klassischen Medien als Mittäter.
Politisieren per Dekret findet mediale Aufmerksamkeit, Debatten werden nicht als Debatten, sondern als Hashtag gewaltig und unterkomplex behandelt, Politik wird überall mit Kultur, Religion, Identität, Geschlecht oder Hautfarbe verwechselt, die neuen sozialen Medien heben radikal jede Trennung zwischen Regierenden und Regierten, zwischen öffentlich und privat auf. Dies passiert vor unser aller Augen – und wird doch nicht gesehen. Tweets, Begriffe, Codes, Buchstaben, Kategorien funktionieren dabei wie Apparate, deren einziges Ziel zu sein scheint, möglichst alle bestehenden Systeme zu destabilisieren, alles neu zu beschriften und alle bisherigen Werte auf den Abfallhaufen der Geschichte zu werfen. Die Demokratien präsentieren sich plötzlich als Systeme mit unberechenbarem Ausgang.
Die unbequeme Einsicht ist: Donald Trump stammt nicht aus dem Niemandsland. Es sind die grassierenden Identitäts- und Selfie-Ideologien von links bis rechts, die einen Politik-Typ wie ihn salonfähig gemacht haben. Donald Trump befriedigt die zeitgenössische Sucht nach individuellen Storys, Psychogrammen, Skandalen, Sex und Crime perfekt: Great Media Stuff!
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