Weitere Ursachen von Dissoziation sind (einmalige oder sich über längere Zeit wiederholende) traumatische Erfahrungen. Die Dissoziation ist hier der Preis, der noch über eine lange Zeit hinweg dafür gezahlt werden muss, dass das Trauma überstanden wurde.
Eine Klientin, die viele Jahre an Depressionen litt und jahrelang Opfer von Missbrauch war, beschrieb dies recht deutlich:
»Ich habe den Eindruck, dass ich für meine Chance zu überleben einen ungerechtfertigt hohen Preis zahle. Manchmal scheint es mir, dass ich längst alles abbezahlt hätte, und dann wieder weiß ich, dass ich niemals imstande sein werde, das abzubezahlen.«
Den Mechanismus der Dissoziation kann man mit einem Zerschlagen vergleichen, das durch einen äußeren Impuls erfolgte – mit einem Zerbrechen der bereits formierten Ganzheit in einzelne Stücke. Dies geschieht so häufig, dass Dissoziation unter Therapeuten allgemein als Signal dafür gilt, dass beim Klienten mit großer Wahrscheinlichkeit traumatische Erfahrungen vorhanden sind.
Innere Zerbrochenheit beim Kind ist häufig Konsequenz eines traumatischen Ereignisses, wie etwa der Scheidung der Eltern, und vor allem der damit verbundenen emotionalen Atmosphäre. Hier laufen langwierige zerstörerische Prozesse ab, und die Kinder der streitenden Eltern werden in das Drama eines Loyalitätskonflikts zwischen Mutter und Vater hineingezogen. Dissoziation wird in diesem Fall auf verschiedenen Ebenen deutlich, etwa in Verhaltensstörungen und psychosomatischen Symptomen. Auf einer tieferen Persönlichkeitsebene zeigt sich die Dissoziation beim Kind in Zweifeln wie »Welches Ich ist mein richtiges Ich?«.
Je früher in der Kindheit traumatische Ereignisse aufgetreten sind, und je länger sie dauerten, desto deutlicher sind die inneren dissoziativen Narben. Frühkindliche traumatische Erfahrungen können sowohl integrative Entwicklungsprozesse stoppen als auch das wieder zerstören, was bereits integriert war. Die Dissoziation als Strategie, um das Trauma zu überstehen, erfüllt im Moment der traumatischen Erfahrung eine positive Funktion und gilt in diesem Falle als Ressource. Doch diese Strategie, die hilft, traumatische Ereignisse zu überstehen, hinterlässt Narben, Spuren in den Emotionen, in den kognitiven Strukturen und Spuren, die im Körper gespeichert werden. Die Dissoziation kann so stark sein, dass es bei Einwirkung ähnlicher Reize wie während des traumatischen Ereignisses zu einer erneuten Erregung kommt – zu einer Restimulation traumatischer Reaktionen. Ist die Restimulation sehr intensiv, können die Klienten psychotisch wirken. Ihr Verhalten ist für sie selbst und für ihr Umfeld dann dermaßen unerklärlich, dass sich ihr Zustand im Prinzip nur als psychische Erkrankung, als bedrohlich oder als psychische Krise beschreiben lässt, auch wenn das keine passenden Erklärungen sind. Die extremste Form innerer Gespaltenheit ist die multiple Persönlichkeit. Bei Klienten, die sexuell missbraucht wurden, denen Gewalt widerfahren ist oder die traumatische Situationen erlebt haben, sollte sich eine Therapie immer auf den Bereich Assoziation – Dissoziation beziehen.
Eine Form von Dissoziation, die bei Personen auftritt, die um ihr physisches und psychisches Überleben kämpfen mussten, ist eine Identifikation mit dem Aggressor. Emotionen und Verhalten des Täters werden verinnerlicht und in die Psyche des Opfers integriert, was auch als Introjektion bezeichnet wird. Im Mechanismus der Introjektion werden mehrere Trancephänomene deutlich: der Bereich Assoziation – Dissoziation, Elemente von Halluzination (fremde Werte und Überzeugungen werden als eigene angenommen) sowie Zeitregression (Geschehnisse aus der Vergangenheit werden über viele Jahre hinweg immer wieder abgespult). Das Phänomen der Täteridentifikation wurde bei Überlebenden von Völkermord, Opfern von Vertreibung und Umsiedlung, Holocaustopfern, Überlebenden von Konzentrationslagern sowie Opfern von Entführung und Geiselnahme beobachtet. Ein Anteil der Persönlichkeit leidet, während der andere Anteil versucht, das Leid durch eine emotionale Nähe (Assoziation) zum Aggressor zu lindern. Das unbeabsichtigte Einladen des Täters ins Innere – die Integration des Aggressors – verringert die Angst und verleiht ein illusorisches Gefühl von Kontrolle. Beim Opfer entsteht so das Gefühl zu wissen, wer der Täter ist, ihn zu kennen und dadurch Einfluss auf sein Verhalten zu haben. Das hilft dem Opfer zu überleben. Auf längere Sicht aber, sogar noch viele Jahre nach der realen Bedrohung, können hierdurch Tendenzen zu autodestruktivem oder aggressivem Verhalten entstehen. Eine Person, die derartig gespalten ist, wird möglicherweise zum Aggressor gegen sich selbst oder gegen andere. Ein Phänomen dieser Art wird, aufgrund von Ereignissen, die im August 1973 in der schwedischen Hauptstadt stattfanden, Stockholm-Syndrom genannt. Geiseln, die von Bankräubern sechs Tage lang festgehalten wurden, brachten nach ihrer Befreiung den Aggressoren, die sie gefangen gehalten und ihr Leben bedroht hatten, eine gewisse Art von Verständnis und Sympathie entgegen. Ein Beispiel für das Stockholm-Syndrom, das große mediale Aufmerksamkeit erlangte, ist die Geschichte von Patty Hearst, der Erbin des Medienmoguls William Hearst. Im Alter von 20 Jahren wurde Patty Hearst entführt, zwei Monate lang in einem Schrank gefangen gehalten und gefoltert. Die Gefangene identifizierte sich derart mit ihren Entführern und deren Ideologie, dass sie später selbst an Banküberfällen teilnahm und neue Mitglieder für die Terrororganisation rekrutierte. Als Symbol für ihre neue Identität legte Patty Hearst ihren bisherigen Namen ab und nahm ein Pseudonym an. Als sie freikam, heiratete sie einen ihrer Leibwächter, der während ihrer bedingten Entlassung für ihre Sicherheit zuständig gewesen war.
Ein anderer Mechanismus, der sich bei Personen beobachten lässt, die in einer grausamen Realität ums Überleben kämpfen mussten, ist eine Assoziation nicht mit Personen, sondern mit Repräsentationen positiver Objekte: mit angenehmen Kindheitserinnerungen, Geschichten aus der Bibel oder Worten aus Poesie und Gebeten. Dieser Mechanismus wurde u. a. bei Überlebenden des Holocaust beschrieben (Klein i Kogan 2007). Eine Flucht ins Innere, eine Nähe zu Gott und zu Heiligengestalten sowie mystische Erfahrungen können helfen, sich vom aktuellen Drama und von enormem Leiden zu distanzieren. Mechanismen von Dissoziation bleiben oft über viele Jahre hinweg erhalten. In Familien von Überlebenden sind sie allgegenwärtig und treten auch bei Personen auf, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, sowohl dann, wenn die Eltern Opfer waren, als auch dann, wenn sie der Tätergruppe angehört hatten. Die Mechanismen sind auch noch in nachfolgenden Generationen zu beobachten. Das Trancephänomen der Zeitregression und das der posthypnotischen Suggestion treten hier parallel auf.
Dissoziation ist eine Strategie der Psyche, sich bei Gefahr zu schützen. Die schmerzhaften Bereiche von Körper, Psyche oder Erinnerung werden abgetrennt. Sie tritt als funktionale Lösung im Moment der Gefahr auf. Merkmale von Dissoziation sind etwa übermäßige Kontrolle – sowohl der eigenen Person als auch anderer – übermäßiges Kritisieren, Isolation, Misstrauen, Rückzug, Ratlosigkeit und Verschlafenheit.
Die Erfahrungen, die beim Klienten bezüglich der inneren Zerrissenheit vorhanden sind, können aber auch während der Therapie genutzt werden, denn wenn der Klient dank dieses Mechanismus ein traumatisches Ereignis überstanden hat, kann man sich in der Therapie auf eben diese Erfahrungen berufen und mit Trance arbeiten. Die Trancearbeit basiert auf den Fähigkeiten des Klienten, an zwei Orten oder in zwei zeitlichen Dimensionen gleichzeitig zu existieren und einen angemessenen Abstand (in Raum und Zeit) von den dramatischen Ereignissen zu finden. Hier eignen sich verschiedene Techniken oder Tranceprozeduren, wie beispielsweise die Kristallkugel-Technik (cristal ball technique, Hammond 1990). Darüber hinaus kann man sich auch auf das Potenzial berufen, das aufgrund des Überlebenskampfes und der damit verbundenen Erfahrungen beim Klienten vorhanden ist. Untersucht der Therapeut, auf welche Weise es der Klient geschafft hat, die traumatische Situation zu überstehen (denn dass er sie überstanden hat, ist schließlich ein Fakt), kann er zu Bildern und Symbolen vordringen, die sich der Klient während des Traumas im Inneren vorgestellt hat (z. B. Engel, Schutzheilige oder andere Geisteswesen), kann das Gefühl der Verbundenheit des Klienten mit diesen Bildern erkennen und sie dann auf symbolische Begriffe, wie »unerschütterlicher Kern«, »innere Weisheit« oder »Seele« zurückführen. Dieser Bezug sollte auf den inneren Erfahrungen des Klienten beruhen und im Einklang mit dessen Wertesystem stehen.
Im Film Jenseits der Angst (Fearless) von Peter Weir (1993) wird ein Fall von Dissoziation als Folge eines Flugzeugunglücks gezeigt. Die Hauptperson Max ist einer von wenigen Überlebenden des Unglücks. Nach diesem Ereignis verändert er sich,