«Ja und?», fragte Sarah.
«Nun. Ich weiss nicht, was ich denken soll. Vielleicht kannte Izzy ihn von dort her. Vielleicht waren sie und Müller ja einmal ein Liebespaar, und Frau Rothfuss hat ihrem Mann diese Mängel absichtlich verschwiegen.»
«Aber jetzt spinnst du!», rief Sarah. «Izzy passte doch überhaupt nicht zu diesem Mechaniker.»
«Er ist ein Eigenbrötler. Er lebt ja auch alleine und lädt nie Freunde zu sich ein. Man munkelt, er habe irgendwo einen erwachsenen Sohn», sagte Brigitte.
Als Sarah weiter schwieg, fügte Brigitte hinzu. «In seiner Freizeit bastelt er an Motoren und Apparaten. Seine ganze Garage steht voll damit.»
«Richtig. Und darum soll Michael Müller nun verdächtig sein. So im Stil klassischer Liebesromane. Darin ist immer der Gärtner der Liebhaber …»
Hannes interessierte sich an den Wochenenden, die er zuhause verbrachte, dafür, wie es mit dem Hotel Tannwald weitergehen würde. Er ging sogar mit Michael Müller Tennis spielen. Vermutlich wollte er Informationen aus erster Hand. Sarah fragte sich, ob etwas an dem Gerücht sei, von dem ihr Brigitte berichtet hatte und wie viel Hannes wusste. Hannes war in Fleckenbronn aufgewachsen. Er kannte Hinz und Kunz und hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie toll er Izzy fand. Sollte Izzy tatsächlich die Schuld am Tod des Seniors im Frankfurter Park tragen, konnte sie auch beim Absturz in den Vogesen ihre Finger im Spiel gehabt haben … Vielleicht war das Unglück tatsächlich ein Plot zwischen ihr und Müller gewesen …
«Was soll sie damit? Sie wird es verkaufen», hörte sie Emma wie aus weiter Ferne spekulieren. Sie riss sich zusammen, versuchte, der Konversation zu folgen. Emma hielt sich gewöhnlich zurück mit ihrer Meinung. Sie liess meistens Gustav reden. Sarah war oft befremdet und versucht, Emma zu helfen, wenn diese ausnahmsweise einmal eine eigene Ansicht äussern wollte.
Zusammen mit Sarah hatte Emma Rindfleischrouladen, viel Gemüse für Sarah, und Kartoffelstampf zubereitet. Nun sassen alle am grossen Tisch in der Küche über dem Café Frey und diskutierten das Neueste.
In diesem Moment erklärte Hannes seiner Mutter, dass sich ein Hotel nicht so leicht verkaufe. Und ein Sterne-Haus schon gar nicht.
«Vielleicht liesse sich dennoch ein Käufer finden», meinte Sarah.
«Am Stammtisch reden sie von einer interessierten Industriellenfamilie. Vermutlich Ausländer mit viel Kohle, die ein Geschäft wittern», sagte Gustav und gab zu bedenken: «Aber beim Tannwald geht es um das Lebenswerk mehrerer Generationen. Das kann Frau Rothfuss nicht mir nichts, dir nichts, an Fremde verschachern.»
«Vater, das heisst weiterreichen, nicht verschachern. Zudem erfordern ausserordentliche Situationen nun einmal ausserordentliche Massnahmen und ausserordentliche Partner. So lautet die Wortwahl.»
«Ich fände es schön, wenn Izzy das Hotel behalten und wieder herziehen würde. Bei ihr würde ich sofort wieder Kinder hüten», unterbrach Sarah.
«Aber nicht ausgerechnet jetzt!», rief Emma. «Wo wir dich hier brauchen.»
«Nein, natürlich nicht. Sorry. Gleichwohl finde ich, Izzy könnte wieder hierher ziehen. Ihre Kinder sprechen Deutsch. Sie waren so happy hier. Damals, bevor diese unglückselige Geschichte mit Susanne losging.»
Gemäss Brigitte blieb im Hotel alles beim Alten. Zwar wurde kurzfristig ein pfiffiger, stellvertretender Geschäftsleiter eingestellt. Doch Herr Weisskopf, sein Chef, betonte, der Neue sei bloss zur Entlastung gekommen, und nicht etwa, um Veränderungen einzuführen. Das Aushängeschild des Hotel Tannwald sei ohnehin das Gourmet-Restaurant mit seinen drei Michelin-Sternen. Das hohe Niveau der Küche beizubehalten sei die halbe Miete. Dabei betonte er, bei seiner kleinen Ansprache an das Personal, dass Jochen Jung, der über Deutschlands Grenzen hinaus bekannte Starkoch, dem Betrieb die Treue halten werde.
«Jochen Jung ist der Allerwichtigste», äffte Brigitte den Chef nach. «Doch Sterne-Koch hin oder her», urteilte sie. «In Wahrheit sind die Gourmet-Restaurants querfinanziert. Das Geld kommt die Treppe herunter.»
Sarah erinnerte sich, dass auch Rudi Rothfuss dieses seltsame Sprachbild verwendet und sie über dessen Bedeutung gerätselt hatte.
Brigitte erklärte: Die Infrastruktur des Hotels sei vorhanden und erfordere eine hohe Belegung der Zimmer, wenn Umsatz und Gewinn stimmen sollten.
«Darum rollt der Rubel die Treppe runter», erklärte sie. «Der Starkoch ist reine Zugabe, um zahlungskräftige Gäste anzulocken. Das Hotel Tannwald zählt immerhin zu den 1000 Places to See Before You Die.»
«Ich weiss. Mein Onkel Finlay hat diese Traveler’s Life List vermutlich auch konsultiert. Jedenfalls hat er seinen Besuch angemeldet. Er will im Tannwald übernachten und im Sterne-Tempel essen.»
«Wirklich? Kommt er mit seinem Partner? Falls ja, sollte ich wissen, ob die beiden ein Zimmer mit Doppelbett brauchen. Das ist immer so eine heikle Sache …», zögerte Brigitte.
«Wait and see. Vermutlich geht Lance in der Ägäis segeln. Ich bin mir fast sicher, dass mein Onkel alleine hierher kommt.»
«In der Ägäis segeln. Auch nicht schlecht. Dazu würde ich jedenfalls nicht nein sagen», lachte Brigitte.
Schon eine Woche später erhielt Brigitte eine Anfrage von einem Mr Finlay Penrose aus London und rief umgehend ihre Freundin an.
«Ist geritzt. Er kommt in der ersten Juniwoche. Ich habe für ihn das schönste Einzelzimmer im Haus und den besten Zweiertisch im Restaurant reserviert.»
«Einzelzimmer, Zweiertisch? – Kommt er nun allein oder mit Lance?», fragte Sarah ungeduldig.
«Allein, aber ich buche für ihn trotzdem den besten Zweiertisch am Fenster. Er wird ja nicht immer allein essen wollen», stichelte Brigitte.
«Ausser mir kennt er niemanden hier», vermutete Sarah. «Aber falls ich die Ehre habe, so wird er etwas besprechen wollen.»
«Was denn? Hast du eine Ahnung?»
«Nein, habe ich nicht.»
«So überleg doch. Vielleicht möchte er dich mit etwas überraschen.»
«There ain‘t no such thing as a free lunch, sagte Izzy über die Big Shots, die hier ihre Geschäftspartner zum Essen einluden, um die Big Deals, ihre grossen Transaktionen, einzufädeln», kommentierte Sarah trocken. «Wenn du es mir nicht gesagt hättest, wüsste ich nicht einmal, wann genau er kommt.»
«Und wann hast du deine E-Mails zum letzten Mal gecheckt?»
«Och. Vor zwei Tagen. Es waren bloss welche von Mum und Becs.»
«Selber schuld! Ich lese meine mehrmals am Tag! Ich wette, er hat dir den Termin längst gemailt!»
Eigentlich war das genaue Datum egal, dachte Sarah. Sie würde alles stehen und liegen lassen und ihm den Schwarzwald von seinen schönsten Seiten zeigen. Hauptsache, ihr Onkel hatte sie nicht abgeschrieben.
Finlay hatte ihr tatsächlich per E-Mail mitgeteilt, wann und wie er zu kommen gedenke. Er hatte sie sogar angefragt, ob es für sie convenient wäre und angefügt, dass er alleine sei, und falls der Zeitpunkt für sie ungünstig läge, er gerne umbuchen könne.
Und nun war er also ihretwegen von Heathrow nach Frankfurt geflogen und von dort mit dem ICE bis Karlsruhe und das letzte Stück mit dem Regionalzug das Tal hoch gefahren. Sie schwankte zwischen Bange und Freude, als sie am Fleckenbronner Bahnhof zusammen mit Hannes auf ihn wartete. Beide hatten sie eine Woche Urlaub genommen, um Finlay auf Wanderungen und Ausflügen zu begleiten. Sarahs Herz hüpfte. Sie hoffte, dass er nicht enttäuscht sein würde. Weder vom Ort noch von den Menschen.
Erst als sie Finlays schlanke Gestalt in schmal geschnittenen dunklen Jeans und weissem Polohemd aus dem Zug steigen sah, verflog ihre Nervosität. Ihr Onkel war 63, zehn Jahre älter als ihre Mum, und