Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Priska M. Thomas Braun
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783907146828
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und umarmte und küsste ihn – rechte Wange, linke Wange, the continental way.

      «Sarah. Good to see you. Welch wunderbarer Duft! So würzig und so frisch», sagte er und schloss seine Nichte in die Arme. Dann klopfte er Hannes auf die Schulter, sog nochmals demonstrativ die gute Luft ein, und lud sein Gepäck in den Kofferraum von Hannes’ Golf.

      «Morgen könnten wir einen Spaziergang durch den Wald zu einer der wunderbaren Wanderhütten machen, wenn du magst», schlug sie vom Rücksitz des Autos aus vor. «Wir würden dich gleich nach dem Frühstück abholen und vom Hotel aus zu Fuss gehen.»

      «Sehr gerne! Ich bin zu allen Schandtaten bereit. Bloss jetzt, jetzt würde ich mich gerne zurückziehen. Es war ein etwas anstrengender Tag.»

      Sarahs Onkel lernte in jener Juniwoche neben dem Schwarzwald auch Hannes’ Eltern kennen. Diese hatten ihn ins Café Frey zu Kaffee und Kuchen eingeladen und sich, so gut es ging, mit ihm unterhalten. Sarah stellte fest, dass sie, obwohl sie inzwischen fliessend Deutsch sprach, nur schlecht übersetzen konnte. Das Pendeln von einer Sprache in die andere strengte sie an. Und einmal, nachdem sie Finlay spät am Abend im Hotel verabschiedet und see you half past ten in the morning gesagt, im Kopf jedoch halb zehn gespeichert hatte, traf sie ihn am nächsten Morgen prompt noch beim Frühstück.

      «Sorry», entschuldigte sie sich. Mein Fehler. Passiert mir immer wieder, dass ich die Zeiten verwechsle. Ist nicht schlimm. Jetzt trinke ich eine Tasse Kaffee mit dir.»

      Vor ihnen lag ein unbeschwerter Tag. Sie würden vom Tonbachtal über den Überzwerchen Berg ins Schönmünztal wandern.

      Sie erklärte Finlay, dass Hannes an jenem Tag seinen Eltern helfen müsse, die im Café Frey eine grosse Trauergemeinde erwarteten. «Emma ist nicht mehr die Jüngste. Sie ist froh um Unterstützung.»

      «Gut, so können wir beide heute in Ruhe über deine Arbeit im Café Frey reden. Mir ist da einiges unklar.»

      Ihre Vorfreude auf den Wandertag trübte sich.

      «Es ist wunderschön hier und ich verstehe, dass es dir gefällt», nahm Finlay das Gespräch auf, sobald sie unterwegs waren. Sie schwieg erst einmal.

      «Trotzdem ist es nicht der ideale Ort für dich», fügte er an.

      «Es gibt viele junge Leute hier. Sie lernen die Hotellerie von der Pike auf kennen und sind stolz, sich in einem der renommierten Häuser weiterbilden zu dürfen. Das Tannwald macht sich gut als Referenz im Lebenslauf.»

      «Das mag für deine Freundin Brigitte stimmen. Du hingegen hast mit dem Hotelgewerbe nichts zu tun. Es war eine glückliche Fügung, dass du hier Deutsch lernen konntest. Mehr nicht. Zudem wird das Tannwald verkauft.»

      «Woher weisst du das?»

      «Kurzmeldung im «Economist». Es wurden die von der Erbin Isidore Rothfuss-Jacobs gehegten Verkaufsabsichten erwähnt.»

      «Eigentlich ist es gut für Izzy, dass sie noch immer mit Rudi Rothfuss verheiratet war, als er umkam», plappert sie ihrer Freundin Brigitte nach. «Die Scheidung hätte genauso gut bereits durch sein können. So bekommen nun sie und ihre Kinder alles.»

      «Alles beinhaltet auch die Schulden», gab Finlay zu Bedenken.

      «Ja, schon. Aber jene, die schon genug besitzen, erhalten oft noch mehr», widersprach Sarah.

      «Möglich. Aber das ist jetzt nicht unser Thema. Du spricht inzwischen perfektes Deutsch. Mir geht es darum, deine Zukunft vernünftig zu planen.»

      Am folgenden Tag quetschten sich Finlay und Sarah in Hannes’ alten VW Golf. Sie fuhren die 50 Kilometer zum stattlichen Munimatthof, der von einem Schweizer Ehepaar als Freilichtmuseum geführt wurde. Sarah besuchte den 400 Jahre alten Bauernhof zum ersten Mal. Beeindruckt betrachtete sie die kleinen Stuben, die imposanten Scheunen und Speicher, die Mühle und das Sägewerk, während Hannes sich mit Finlay über dies und jenes unterhielt. Die vielen jungen Familien mit kleinen Kindern verstreuten sich über das Gelände hin zum Streichelzoo mit den Tieren alter Rassen. Sarah hingegen interessierte sich für das Back- und Brennhäusle und natürlich für den Bauerngarten.

      «Schaut einmal, wie wunderschön!», rief sie aus. Sie deutete auf die Beete von Rittersporn, Lupinen, Margeriten, Rosen und leuchtendem Mohn, die mit niedrigen Buchshecken eingefasst waren. Dem Gartenzaun entlang waren Wicken gezogen worden. Sie konnte sich nicht sattsehen an der Pracht und dem ganzen Gemüse und den Kräutern, die zum Kochen und Heilen dienten.

      «Am liebsten würde ich von allen Pflanzen Samen mitnehmen und diese auf Emmas Balkon setzen», wandte sie sich an Hannes.

      Als sie so hin und her auf Deutsch und Englisch schwärmte, erhaschte sie Finlays’ aufmunternden Blick. Verlegen schaute sie weg, denn sie wollte vermeiden, dass er das gestrige Gespräch und damit seinen Rat zu studieren, wiederaufnahm. Auf keinen Fall wollte sie mit Finlay vor Hannes über ihre Zukunft diskutieren. Seit sie mit zehn oder zwölf Jahren begonnen hatte, Blätter und Blüten zu sammeln, hatte ihr Onkel sie immer wieder ermuntert, einmal Biologie zu studieren.

      Sie hatte jeweils gekontert: «Und was wäre, wenn ich Steine sammelte? Würdest du mir dann Geologie vorschlagen?»

      Natürlich wusste sie, dass Finlay sich als ihr Vaterersatz fühlte. Sonst wäre er nie hierhergereist. Sie wusste auch, dass sie seine Empfehlung, die Arbeit in der Bäckerei Frey so bald als möglich gegen einen Studienplatz in Basel zu tauschen, ernsthaft mit Hannes diskutieren musste.

      «Wer hat Lust auf ein Apfelschorle? Oder ein Bier? Ich habe Durst», sagte sie aus dem Nichts und steuerte Richtung Restaurant. Geduldig warteten sie erst auf einen freien Tisch und dann nochmals, bis ihnen eine junge Frau im badischen Dirndl mit Bollenhut die Getränke brachte.

      Nachdem Finlay nach England zurückgekehrt war, verfolgte Sarah der Gedanke, in die Schweiz zu ziehen. Je länger sie bei der Arbeit, und vor allem beim Joggen und Radeln, darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee. Schliesslich googelte sie alles, was es über die Stadt am Rheinknie zu erfahren gab und nahm sich noch im Juni eine Woche frei. Sie wohnte bei Hannes in seiner hübschen Wohnung in einem renovierten Bauernhaus in der Nähe von Liestal und fuhr täglich, erst mit dem Bus, und dann von Liestal aus mit dem Zug, in die Stadt.

      Die Universität zog sie magisch an. Sie setzte sich meistens auf eine Bank unter den Linden auf dem Petersplatz und blickte auf die Peterskirche und zum davorstehenden Denkmal für Johann Peter Hebel. Längst hatte sie das Wichtigste über diesen deutschen Dichter recherchiert, der in Basel und im Wiesental aufgewachsen war und viele alemannische Gedichte verfasst hatte. Sein Geburtshaus stand am Totentanz, direkt am Rhein. Sie hatte sich über die Adresse gewundert und sie als makaber empfunden, mit dem Universitätsspital ein paar Meter davon entfernt. Doch der Name war wohl älter als das Krankenhaus. Jedenfalls hatte sie gelesen, dass es ein Gemälde auf einer Friedhofsmauer gewesen war. Ein Tanz der Gerippe, der die Menschen des Spätmittelalters daran mahnte, dass der Sensenmann, the Grim Reaper, jeden, ungeachtet seines Standes, holt. Trifft noch heute zu, fand sie und dachte dabei an Rudi Rothfuss.

      «Du musst dich so bald als möglich fürs Wintersemester immatrikulieren», drängte Hannes bereits am zweiten Tag jener Woche. «Und natürlich deine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Als EU-Bürgerin bekommst du diese problemlos. Und wohnen kannst du bei mir. Hier ist es zwar eng, aber wir wären ja die meiste Zeit ausser Haus.»

      «Ich weiss, ich bin ja daran, das alles zu erledigen», beruhigte ihn Sarah. «Doch ich würde lieber in der Stadt …», zögerte sie, «… als auf dem Land leben.»

      Als sie Hannes betretenes Gesicht sah, erklärte sie: «Von hier aus würde ich mit Bus und Bahn viel Zeit verschwenden, um an die Uni zu gelangen.»

      «Du findest in Basel keine billige Wohnung», sagte Hannes.

      «Vielleicht doch?», hoffte sie «Ich habe mich schon etwas umgeschaut. Ich bin durch jene Viertel spaziert, die einen Park haben, und habe sie mir genau angeschaut.»

      «Wirklich?»

      «Ja. Es gibt da sehr schöne Häuser