Ich bin überzeugt, dass ein Konzept und das Leitziel der Arbeit moderiert werden müssen. Leitziel, Maßnahmen und Methode wurden für die ['blu:boks] in einer professionellen Beratung definiert. Das ist meiner Ansicht nach sehr wichtig für jede erfolgreiche konzeptionelle Arbeit!
Was sollte nach dem konzeptionellen Entwurf einer Kinder- und Jugendeinrichtung maßgeblich beachtet werden?
Torsten Hebel: Pragmatismus. Die erste Grundsatzentscheidung, die getroffen wurde, war, dass das Konzept für die Kinder und Jugendlichen da ist und nicht die Kinder und Jugendlichen für das Konzept. Das heißt, da, wo das Konzept nicht passt, muss es angepasst werden und nicht umgekehrt. Wir arbeiten immer sehr dynamisch: Was nicht funktioniert, wird geändert. Unsere Zielgruppe lag beispielsweise anfangs in der Altersstruktur 13 bis 17 Jahre. Es kamen anfangs aber nur Kinder von 8 bis 12 Jahren. Das Konzept musste logischerweise an diese neue Altersstruktur angepasst werden. Des Weiteren ist es wichtig, auch die Methoden immer und immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und an die aktuelle Situation anzupassen. Qualitätskontrolle und Evaluation sind unerlässlich. Wir haben eine ausgeprägte Feedbackkultur. Jeder Workshop wird jeweils von den Kindern, den Mitarbeitenden und den Lifecoaches ausgewertet. Daran erkennen wir, wie es tatsächlich in den Workshops läuft. Was funktioniert gut und was nicht. Zudem darf eine Konzeption nicht zu kompliziert werden. Weniger ist mehr. Es geht darum, in der Einfachheit der Dinge den Erfolg zu erzielen. Und diese Einfachheit gilt es konsequent durchzuziehen.
Hat Ihr Konzept in der Eröffnungsphase der ['blu:boks] BERLIN im Sinne der Vision funktioniert? Welche Erfahrungen haben Sie in den ersten Wochen gesammelt?
Torsten Hebel: Teil unseres Konzeptes war es, die sogenannte „Kick-Off-Woche“ als Startpunkt für die Arbeit zu setzen. Ein großes Zelt mit Bühne und Lichtshow wurde aufgebaut, es gab Workshops am Vormittag und eine „Open Stage“ am Abend. Das hat die Kinder und Jugendlichen angezogen. Kein Flyer, keine Einladung und kein Zeitungsartikel werden Kinder je so begeistern können wie die Erfahrung, auf einer Bühne zu stehen. Das allein reichte aus, damit sich die Arbeit im Bezirk herumsprach. Die ganze Woche über besuchten uns über 300 begeisterte Kinder und Jugendliche aus dem Bezirk. Und 85 kamen ab dann auch mit ihren Freunden in unsere regulären Workshops unter der Woche. Gleichzeitig hatten wir als Team aber nicht viel Zeit, den Erfolg und Misserfolg der ersten Wochen zu messen. Wir waren zu sehr damit beschäftigt, uns miteinander abzustimmen. Das erwies sich als schwierig und führte am Anfang zu erheblichen Problemen. Wenn einzelne Mitarbeitende das Konzept der Arbeit nicht mittragen oder das Leitziel verfehlen, dann funktioniert die Zusammenarbeit nicht. Da habe ich Fehler gemacht, zu lange an Menschen festgehalten und Dinge laufen gelassen, die nicht gut waren. Manche Wege mussten sich dann schmerzlich trennen. Aber in der Startphase einer Gründung reagiert man öfter, als dass man agiert!
Wie hoch ist die Gefahr, gerade in der schwierigen Anfangsphase die eigentliche Vision aus den Augen zu verlieren?
Torsten Hebel: Sicherlich groß. Visionäre, die eine Arbeit beginnen, sollten immer ein Netzwerk um sich haben, in welchem sie ergänzt werden und Rücksprache halten können. Sie sollten auch Freunde um sich sammeln, denen sie unabhängig von ihrem Arbeitsumfeld begegnen. Diese Beziehungen machen Mut und können in kritischen Situationen bestärken und richtungsweisend sein. Das kann eine Gemeinde sein oder eine andere motivierende Gruppe, aber ganz allein ist es schwer.
Es gibt überall Not auf der Welt. Woher weiß ich, wo ich mich am sinnvollsten engagieren kann?
Torsten Hebel: Auch da gibt es sicherlich etliche Antworten. Manchmal findet man die Not in seinem unmittelbaren Umfeld. Unabhängig davon, ob es mit einem selbst oder seiner eigenen Lebensgeschichte zu tun hat. Man kommt daran gar nicht vorbei. Da gilt es in dem Moment etwas zu tun und einzugreifen. Das sehe ich als meine Aufgabe als Mensch und Christ: dort zu helfen und diese akute Not zu lindern. Wie schon erwähnt, bedeutet mir das Thema Wertschätzung und Resilienz viel, weil es in meiner Biografie begründet ist. Es ist mein Lebensthema. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, heißt es in der Bibel. Wer ist dein Nächster? Wo sind die kürzesten Wege zur Not des Nächsten? Ich gehe davon aus, dass man andere nur anstecken kann, wenn man selbst brennt. Am leichtesten brennen wir für das, was uns wirklich begeistert oder angeht. Gerade wenn es schwierig wird, ist es gut, eine Vision zu haben, die mit einem selbst zu tun hat. Es geht letztlich immer darum, seine eigenen Ressourcen zu nutzen.
2.2 Denkanstöße
Egal wie groß oder klein Ihr Projekt ausfallen wird: Diese Fragen sollen für Sie eine wegweisende Hilfe für die Umsetzung Ihrer Planung sein. Nehmen Sie sich daher genug Zeit, Ihre Antworten aufzuschreiben und/oder mit Freunden und Freundinnen zu diskutieren.
• Welche konkreten Nöte oder gesellschaftlichen Problemfelder sehen Sie im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen, die Ihnen am Herzen liegen?
• Können Sie in Ihrem direkten oder indirekten Umfeld Kinder und Jugendliche benennen, die von diesen Nöten betroffen oder mit diesem Problemfeld konfrontiert sind?
• Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie diesen Nöten entgegenzuwirken ist? Notieren Sie sich diese Überlegungen in Grundzügen.
• Kennen Sie Menschen, die mit Ihnen diese Vision teilen, fördern und umsetzen können? Notieren Sie alle, die Ihnen dabei einfallen.
• Welches konkrete Leitzziel ergibt sich aus Ihrer Vision?
• Welche ersten konkreten Schritte ergeben sich nun für die Umsetzung Ihrer Konzeption?
• In welcher Position sehen Sie sich bei der Umsetzung Ihrer Vision (Leiter/Leiterin, Ermutiger/Ermutigerin, Mitarbeiter/Mitarbeiterin usw.)?
• Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für Ihre Arbeit / Ihr Projekt aus den Erkenntnissen dieses Kapitels?
2.3 Erlebnisbericht
Lara ist seit der Kick-Off-Woche in der ['blu:boks] BERLIN im Tanzworkshop. Die ersten Monate verbrachte sie die Pausen meist allein und vermied jeglichen Augenkontakt mit Mitarbeitenden und anderen Teilnehmenden. Ihre Körpersprache drückte lange Zeit nur eines aus: Lasst mich in Ruhe, ich möchte nicht angesprochen werden. Dennoch kam sie treu zu jedem Angebot der ['blu:boks] BERLIN. Sie fuhr auf die Sommerfreizeiten mit, nahm an allen Ausflügen in den Ferien und an Wochenenden teil und taute Stück für Stück auf. Lara ist das vierte von sechs Kindern in ihrer Patchworkfamilie. Ihren Vater hat sie bisher nicht kennengelernt, wünscht es sich aber sehr. Bis auf einen älteren Bruder haben alle ihre Geschwister einen unterschiedlichen Vater oder eine andere Mutter. Lange Zeit fühlte sich Lara rastlos und nicht geliebt. Über den Ausdruck von Tanz und Bewegung öffnete sie sich langsam und fand einen Weg, sich, vorerst ohne Worte, zu äußern. In der zweiten Bühnenproduktion bat Lara darum, eine kleine Sprechrolle übernehmen zu dürfen, die sie hinter einer Schattenwand vortrug. Stolz und glücklich berichtete sie anschließend den Mitarbeitenden, dass sie bei der nächsten Produktion bereit sei, eine Hauptrolle zu übernehmen. Nach nunmehr sechs Jahren als Teilnehmerin ist Lara ein quirliger und selbstbewusster Teenager. Sie schreibt in einem Brief an die Mitarbeitenden: „Ich bin ja echt lange in der boks dabei. Ich bin nicht mehr so schüchtern in der Schule, wie früher. Ich traue mich sogar vor der Klasse zu reden und habe mehr Leute kennen gelernt und Freunde gefunden. Mein Leben hat sich irgendwie verändert. Ich bin froh, dass ich hier tanzen lernen und mich mit Freunden treffen kann. Wir dürfen hier über alles reden. Es ist einfach nur cool hier, das ist das Beste was mir je passiert ist! Die blu:boks ist mein Zuhause.“