Eine Einführung aus Sicht der Jugendarbeit
Die Zielsetzung wird schon im Titel benannt: Mehr Jugendkirche in Kirchenräumen. Da stellt sich die Frage: Von wem kommt dieser Wunsch? Oder ist es gar eine Forderung? Und an wen sind Wunsch oder Forderung adressiert? Wollen sich Jugendliche in der Kirche treffen? Braucht die Jugendarbeit Kirchenräume? Sollen im Zuge eines neuen Raumkonzepts mit Einsparpotential die klassischen Jugendkeller und Jugendräume vom Gemeindehaus in die Kirche verlagert werden? Je nachdem, mit welchen Ohren man hört oder liest, nähert man sich diesem Thema mit anderen Erwartungen oder Befürchtungen. Einige Anmerkungen aus Sicht der Jugendarbeit sollen den Hintergrund aus Sicht der Jugendarbeit beschreiben und die Zielsetzung dieses Jugendkirchenmagazins unterstützen.
Jugendarbeit und Kirchenraum – zwei Welten begegnen sich
Wenn man einen Blick in die Geschichte der Jugendarbeit wirft und überlegt, welche Orte und Räume wichtig waren, stellt man fest: Der Kirchenraum kommt nicht vor. Fahrten und Freizeiten, Zeltlager und Reisen beziehen ihren Reiz daraus, dass sie nicht am Heimatort, sondern in der Ferne stattfinden. Wichtige und prägende Orte waren die Lagerplätze und Freizeithäuser, die mit großem Einsatz erschlossen und aufgebaut wurden. Am Heimatort lag die Konzentration darauf, in Gemeindehäusern und eigenen Vereinshäusern geeignete Räume für die Versammlungen und Treffen der Mädchenarbeit und Jungmännerarbeit zu erschließen. Diese Räume sollten möglichst gute Rahmenbedingungen für eine Jugendarbeit bieten, die Kinder und Jugendliche ganzheitlich (Leib, Seele, Geist) anspricht. Zusammenfassend kann man sagen: Der Kirchenraum wurde von der Jugendarbeit in den Anfängen nicht wahrgenommen und nicht in Anspruch genommen.
In der jüngeren Geschichte von Jugendarbeit und Kirchenraum spielen die Jugendgottesdienste eine wichtige Rolle. Ganz selbstverständlich fanden die Jugendgottesdienste von Anfang an in Kirchenräumen statt, weil man eben Gottesdienst in der Kirche feiert. Doch bis heute wirkt die Kirche in einem Jugendgottesdienst eher als ein etwas fremder Veranstaltungsraum, der für Musik und Videos mit Technik ausgestattet werden muss. Die Chancen des Kirchenraumes werden ingesamt gesehen nur selten in die Gestaltung von Jugendgottesdiensten einbezogen.
Zum Weiterdenken
Auf dem Hintergrund dieser in groben Strichen skizzierten Geschichte von Jugendarbeit und Kirchenraum wird deutlich, dass hier noch großes Entwicklungspotential liegt. Der Kirchenraum muss für weite Teile der Jugendarbeit erst noch erschlossen werden. Durch die Erfahrungen und Ideen, die im Rahmen des Stuttgarter Jugendkirchenfestivals und in anderen Jugendkirchen gemacht wurden, können sich andere inspirieren lassen, einen Kirchenraum für Jugendliche auf eine andere Art und Weise erlebbar zu machen. Kleine Schritte könnten gegangen werden, indem der Kirchenraum bei der Gestaltung von Jugendgottesdiensten konzeptionell einbezogen wird.
Freiräume zum Experimentieren
Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Annäherung von Jugendarbeit an den Kirchenraum kann in den 10 Zumutungen gesehen werden, die von der 12. Württembergischen Landessynode am 26. März 1999 verabschiedet wurden. Zumutung drei lautet: „Wir nehmen wahr, daß junge Menschen ein besonderes Verhältnis zum Heiligen und eine spirituelle Sehnsucht haben, die unsere kirchliche Praxis in Frage stellt und zugleich bereichert. Dabei haben Räume, Zeiten, Körper, Symbole und Rituale besondere Bedeutung. Wir ermutigen dazu, sich gemeinsam mit jungen Menschen christlicher Spiritualität zu öffnen, dafür Formen zu entwickeln und sie zu praktizieren. Nötig sind dazu Freiräume zum Experimentieren.“
Wie sich diese Zumutungen konkret umsetzen lassen, darüber wurde in den Folgejahren durchaus kontrovers diskutiert. Nach verschiedenen Anläufen wurde das Projekt „Jugendkirche in Württemberg“ mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg als Auftraggeber und dem Evangelischen Jugendwerk in Württemberg als Projektträger genehmigt. Innerhalb des Projekts wurde eine begriffliche Unterscheidung zwischen Jugendkirche und Jugendgemeinde getroffen. Die Jugendkirche setze stärker auf niederschwellige Angebote, biete punktuelle und zeitlich beschränkte Beteiligungsformen. Die Jugendgemeinde dränge stärker auf eine verbindliche Gemeinschaftsform unter Jugendlichen, zu der eine feste Organisations- und Beziehungsstruktur gehöre.1
Im weiteren Verlauf der Entwicklung von Jugendkirchen und Jugendgemeinden hat sich gezeigt, dass diese Begriffsklärung in der Praxis vor Ort kaum eine Rolle spielt und nur dann zwischen „Jugendgemeinde“ und „Jugendkirche“ unterschieden werden kann, wenn die dahinterstehende inhaltliche Konzeption beschrieben wird. Folgende Grundunterscheidungen haben sich herauskristallisiert, die helfen, die situationsspezifischen Ausprägungen zu unterscheiden.2
Zum Weiterdenken
Das vorliegende Magazin legt den Schwerpunkt auf die konzeptionelle Einbeziehung des sakralen Raumes. Dadurch kann der Sehnsucht Jugendlicher nach etwas Heiligem und nach spirituellen Erfahrungen Raum gegeben werden. Bis einzelne Kirchen zu einem Freiraum werden, in dem Jugendliche experimentieren können, muss aber jeweils ein intensiver Prozess stattfinden. Ideen der Jugendarbeit, Erwartungen der Gemeinde, äußere Notwendigkeiten, pädagogische und theologische Fragestellungen müssen miteinander bedacht und in Beziehung gesetzt werden, damit Freiraum zum Experimentieren entstehen kann.
Jugendkirche auf Zeit
Eine Anfrage, die immer wieder an die Jugendkirchen herangetragen wird, lautet: Das sei doch nur in einer Stadt mit mehreren Kirchen denkbar, dass eine Kirche dauerhaft als Jugendkirche zur Verfügung gestellt wird. Die herausragenden und oft beschriebenen Jugendkirchen-Projekte wie LUX, die evangelische Junge Kirche Nürnberg, oder JONA, die katholische Jugendkirche Frankfurt, legen diese Folgerung nahe.
Doch die Entwicklung der Stuttgarter Jugendkirche hin zum Stuttgarter Jugendfestival gibt eine Richtung an, die auch für kleinere Städte oder Distriktgemeinden eingeschlagen werden könnte. Beim Stuttgarter Jugendkirchenfestival wird die Martinskirche zeitlich begrenzt für 8 Wochen zwischen Palmsonntag und Pfingsten zur Jugendkirche umgestaltet. Wenn man diese zeitliche Flexibilisierung konsequent weiterdenkt, kann man auch zu weiteren flexiblen Lösungen kommen.
Hans Hobelsberger beschreibt bei den katholischen Jugendkirchenmodellen folgende Schwerpunktsetzung und trifft eine Unterscheidung zwischen drei Modellen: „Die sichtbarste Ausprägung des Raumkonzepts erfährt Jugendkirche in architektonisch erkennbaren Kirchen, die ‚Kirche‘ im klassischen Sinn sind. […] Wir können hier wiederum unterscheiden zwischen: