Sie steht auf und geht hin und her in ihrem mit so viel Liebe geschmückten Heiligtum, die Augen, die sanften, auf den Boden gerichtet, ihre schmalen Hände an die Schläfen gedrückt, als könne sie die Gedanken bannen, die da anstürmen.
»Er liebt mich, ich fühl's, wenn er meine Hand berührt, seine Blicke brennen auf mir, wenn ich mich auf meine Arbeit beuge. Und er will mich nicht in seiner Nähe dulden.
Nein, er hat die Türe vor mir geschlossen und er weiß doch, daß ich ihn in seiner Arbeit nicht störe. Was habe ich an mir, das zum Fürchten ist? Als ich klein war, sagten sie, ich sei ein unheimliches Kind. Ich sähe die Toten. Aber ich sehe doch jetzt nichts mehr. Nicht den Schönsten, nicht die Gisela. Und es ist etwas an meinen Händen und meinen Haaren, das er fürchtet.« »Oh, das ist zu wenig,« klagt die Seele, »es ist etwas, das ihm Qual macht.«
»Das sind nicht nur Schleier, das ist eine eiserne Wand, die dahinter verborgen ist. Meine Seele sucht die seine und findet sie nicht mehr. Bitter und süß zugleich ist meine Liebe geworden. Warum lief ich so lange blind herum und versteckte mich vor meiner eigenen Seele und erstickte ihre Klagen.«
»Du schaltst sie töricht, deine Seele, die ist's nicht – du bist's, Rosmarie, die du dich vor dir versteckst und von seinen hie und da zugeworfenen Gnaden gelebt hast.«
»Nein, sag das nicht ›zugeworfenen Gnaden‹ – ein so bitteres Wort sagst du von deiner Liebe, Seele?«
»Spinn deine rosenfarbenen Nebel, Rosmarie, und verstecke dir ein Weilchen noch die eiserne Tür – du weißt ja doch, daß sie vorhanden ist. Bist du denn eine Frau hier in seinem Hause? Bist du nicht ein Gast, wie die Tanten, den er lächelnd Hausfrau spielen läßt, wie du es ehemals mit deinem Teegeschirr tatest. Mit deinen Dienstboten und deinen Zimmern spielst du Frau, wie du es mit deiner Silbertanne getan. – Hast du denn ein Recht, in sein Atelier zu kommen, seine Räume, – du fühlst schon lange, daß er es nicht liebt, und heute hat er die Tür vor dir geschlossen.«
Sie steht vor ihrem Spiegel, der schmal und lang in die Wand eingelassen den Garten, der draußen liegt, widerspiegeln und seine Freundlichkeit hereintragen soll. Sie sieht ihre großen, schmerzerregten Augen, aus denen ihre Seele fragt und weint, und ihr schönes stolzes Gesicht, zu dessen beiden Seiten die langen goldenen Flechten hängen. Ihre weiche, feine Gestalt, an der nichts verdorben und verkleinlicht ist, in ihrem grauen Tuchkleide, das um den Hals eine breite Venetianerspitze abschließt. Und ängstlich wandern ihre Augen an ihrem Bilde hin, als müsse ihr plötzlich das Seltsame, Unheimliche entgegenspringen, vor dem Harro sich fürchtet.
»Sind meine Haare nicht wie gesponnenes Gold und weich und duftend? Könnte ich nicht sein geliebtes Haupt in die goldene Flut betten, und sind nicht meine Arme, die ich um seinen Hals schlingen könnte, weißer als alles, was es Weißes gibt?
Oder sieht er einen schwarzen Flecken in meiner Seele, vor dem ihm graut? Aber wenn Gottes Augen selbst herein sähen, so fänden sie viel, was klein ist und am Boden klebt. Unkraut und Brennesseln. Aber die schöne Liebe geht doch durch den armen Garten. Festlich geschmückt ist meine Liebe und trägt ihren Rosenkranz, und Harro selbst sieht, daß ihr Atem durch alles weht.«
»Ach, Rosmarie, du bist ein törichtes Kind. Er will das alles gar nicht. Er ist ein stolzer Mann und er hat seine Kunst, der er dienen muß, sie ist seine strenge Herrin. Du mußt demütig sein. Nicht verlangen, daß er dir zu viel von seiner Seele gebe. Du mußt zufrieden sein mit den Brocken, die er dir zukommen läßt.«
»Nein, Rosmarie,« spricht die Seele: »Du mußt nicht zufrieden sein, das ist der Tod. Du gibst alles.«
»Alles?« Eine dunkle wunderliche Welle streicht über ihr Herz und färbt ihr die Wangen mit heißem Rot.
»Gibst du alles?«
Die Seele rüttelt an Türen mit eisernen Schlössern: »O Rosmarie, sallo dio, daß du dumm bist. – Tumb sagt Tante Helene ... Oh, die Gedanken, die seltsam quälenden Gedanken. Wie eine Glut über mich ...«
Sie ist längst vor ihrem Spiegel geflohen und hat sich in den dunkelsten Winkel gesetzt und ihren goldenen Kopf in ein Seidenkissen versteckt.
Ihr Herz klopft zum Zerspringen und unbarmherzig hämmern die Gedanken.
»Du glaubtest, du stehest als Königin mitten in Harros Königreich – aber nein, du stehst draußen in der Kälte und im Schneewind, und die Raben schreien um dich.
Die eiserne Türe ist zu, und durchs Schlüsselloch magst du sehen, wie es da innen schön und lieblich ist und wie es wohl blühen mag von Sonnenblumen und blauen Glockenkerzen und Rosenbüschen und Lauben, in denen die Goldflecken auf dem Boden liegen. Betrüg dich nicht mehr, Rosmarie, wie du es all die Zeit getan. Sieh ihm fest in die Augen. Laß die törichten Tränen, die machen dich nur schwach und jämmerlich. Zwinge ihn, daß er dir Rede steht. Wenn er dich nicht liebt, wie die glücklichen Frauen geliebt werden, so ist er doch immer dein Freund gewesen. Und du trägst seinen Namen, darum soll er keine Türen vor dir schließen. Und irgendwo in deiner armen Seele wird doch noch ein Fetzen Stolz sein.«
Da springt ein helles Hämmern in ihr auf, wie wenn man auf einen Schild schlägt.
»Ich bin da, Brauneckerin. Und dumme Tränen verbiete ich dir. Und nicht weich werden, wenn du seine lieben – o seine lieben Augen siehst. Wenn du ja nur seinen Schritt hörst, so wirst du weich, du bist dankbar, wenn er sagt: Rosmarie, fleißig gewesen? Laß dir keine Brocken mehr zuwerfen,« hämmert das Klingen und Klopfen auf dem alten Schild.
Sie erhebt sich. Sie streicht ihre Locken zurück, die ihr ins Gesicht gefallen sind, sie braucht keinen Blick nach dem Spiegel zu werfen. Ihre Seele ist so klar und rein von den vergossenen Tränen, daß sie nicht daran denkt, bei dem Hilfe zu suchen, was sie vor tausend anderen voraus hat.
Sie geht durch den kleinen Wintergarten, in dem die Chrysanthemen blühen, und klopft.
Ein Rücken, ein Schurren, und: »Bist du's, Rosmarie?«
»Ich bin's, öffne!«
Die Tür geht auf. Harro steht da, ganz bestaubt und ärgerlich. Auf dem Boden ein unordentlicher Haufen von Mappen und Skizzenblättern, manche durchgerissen.
»Entschuldige. Es ist ein Greuel. Ich suche. Damit kann Feuer gemacht werden.«
»Mit all dem?«
»Ha, alte Schalen. Und was ich brauchte, doch nicht darunter. In Ewigkeit nicht ... Die Köchin kann damit Kaffee kochen.«
Rosmarie kniet auf den Boden nieder und greift nach einer Ölskizze. Ein nacktes, über einen Schemel gebeugtes, sehr junges Mädchen mit unedlen Formen und einem halb stumpfsinnigen, halb jämmerlichen Gesichtsausdruck.
»Ein Modell,« erklärt Harro. »Abscheulich. In Berlin vom Modellmarkt. Ich habe noch schrecklichere. Nein, ich glaube, es eignet sich doch nicht für die Sophie und die Babett, zum Verbrennen und zur Aufklärung.«
»Wie unglückselig das Mädchen aussieht. Sie tat es wohl um Geld, Harro.« »Sie sehen nicht alle so aus. Vielleicht habe ich den Ausdruck noch übertrieben ...«
»O nein. Du malst die Seele, Harro, auch wenn du's nicht weißt. Ist das furchtbar, so etwas tun müssen! Und du warst nicht allein. Es waren noch andere da ... die Arme.«
»Ja, du lieber Himmel, Rosmarie, wie sollen wir es denn machen. Die hat uns auch weh getan. Das soll dann eine freudige Kunst geben! – Pah – Was wolltest du übrigens?«
»Ich kann dir räumen helfen.«
»Das macht Märt. Laß deine weißen Hände davon. Sieh mich an, wie staubig ich bin.«
»Da ist soviel darin von deiner Arbeit. Vielleicht finde ich doch etwas Schönes.«
»Vergeblich. Alter Kram, abgenagte Knochen.«
»Aber