Rosmarie lehnt wortlos an seiner Brust.
»Sieh auf, Holdseligste, kannst du jetzt nicht dein ganzes Herz zusammennehmen!«
Oh, die lieben, lieben Worte, sie hat sie auf ihr Herz herabtauen lassen wollen. Nun flüstert sie:
»Harro, ich will gar nicht, daß du jetzt hier bleibst. Und ich danke es dem Vater tausendmal, daß er dich jetzt fortschickt. Und all das – das Häßliche ganz allein auf sich nimmt. Und ich habe Mut, Harro. – Und alle meine Kerzen brennen.«
Und Harro beugt sich herab und küßt zum erstenmal ihre reine weiße Stirne. Sie ist ihm so heilig in ihrer erst gestern erwachten Jungfräulichkeit. Und seine Schonung zeigt, daß er ihrer wert ist. Noch bebt sie ja wie ein schwaches Schilfrohr in seinem Arm, es ist noch Frühling, allererster Frühling in ihrem kaum dem Tod entrissenen Herzen, und der Sommer mit seiner Strahlenglut ist noch ferne.
Und so scheiden sie. In Harros Herzen schlagen alle Lerchen zusammen, und ein Glanz und eine Weichheit ist in seinen Augen, wie er durch den strahlenden Morgen geht an jenem ersten Schöpfungstag. –
Fürst und Fürstin speisen in bedrückendem Schweigen in ihrem hohen, sonndurchstrahlten Hotelzimmer. Der Fürst macht auch nicht den geringsten Versuch, das Morgengespräch zu wiederholen. Die Fürstin will nicht beginnen, zum ersten Male fürchtet sie sich ein wenig vor ihm, und das tut ihr ganz außerordentlich gut.
Endlich erhebt sich der Fürst: »Ich werde jetzt nach Rosmarie sehen, Harro ist abgereist, und ich denke, wir werden ihn erst in Brauneck wiedersehen.«
Die Fürstin sagt fast unterwürfig: »Ich werde mitgehen.« »Um so besser.«
Und die beiden gehen den kurzen Weg, in das Gäßchen hinein kann man doch nicht fahren.
Rosmarie kommt ihnen entgegen mit blühenden Wangen, wie zarte Kletterrosen, die nach innen hold erröten. Der Fürst ist sehr erstaunt, das hat er nicht erwartet nach dem Abschied heute morgen. Sie küßt ihrer Mutter, die ganz blaß geworden ist, die Hand: »Mama, ich danke dir, daß du kamst. Ach, wie hast du so Schlimmes von mir denken müssen!«
Die Fürstin erwidert: »Du gibst also noch nichts zu und willst meine eigenen Augen nun ins Gesicht Lügen strafen!«
»Ich meine, wir lassen diese Erörterung,« warf der Fürst nervös ein.
»Lieber Vater, es muß doch gesagt sein. Mama hat das Recht, es zu erwarten. Ich kann freilich auch jetzt nicht mich zu etwas bekennen, was ich nicht getan habe. Aber daß Mama sonst allen Grund hatte, mit mir unzufrieden zu sein ... O Mama, ich habe darum gelitten, sehr.«
»Ich bitte dich, Charlotte, laß das genug sein,« rief der Fürst mit so gequälter Stimme, daß selbst die Fürstin nun sich mit einem stummen Achselzucken begnügte.
So wurde denn zur großen Erleichterung des Fürsten vorderhand die Geschichte begraben, es ahnte ihm allerdings, daß sie wohl noch einmal umgehen würde.
Am Nachmittag ließ er sogar die beiden Damen allein, während er seine Post erledigte. Von dem großen Ereignis des gestrigen Tages war nur in jener Andeutung die Rede gewesen.
Die Fürstin saß in Rosmaries Korbstuhl, sie sah aus, als ob sie des Runzelmittels der Pariserin bedürfte. Man sah ihr den anstrengenden Berliner Winter mit Diners und Soireen, das ganze aufreibende Dasein einer Mondaine an. Die beständige Jagd nach dem Vergnügen, die, wenn man sie mit der nötigen Inbrunst betreibt, zur allerhärtesten Arbeit wird. Sie klagt auch beweglich.
»Berlin war mir über. Dein Vater ist ja so riesig exklusiv, wie es jetzt gar nicht mehr Mode ist, und da trifft man immer die gleichen Menschen. Und schließlich mögt ihr euch in Brauneck als noch so große Herren fühlen, was sind wir denn in Berlin, wo jeder Amerikaner-Eisenbahnaktienmensch es uns zuvor tun kann! Du solltest sehen, wie die leben! Nicht einmal ein Auto habe ich und muß mich mit den heiligen Gäulen behelfen, die ewig geschont werden müssen. Wenn ich denke, was dein Vater an seine alten Geisterburgen vergeudet! Wir können doch auch nur in einer wohnen. In Weitersberg kracht jeder Stuhl, wenn man sich darauf setzt, und in die Gobelins sind die Motten gekommen. Ich wollte die Gobelins in Berlin haben; es hätte in der Zeitung gestanden. Sie sollen ja jetzt einen fabelhaften Wert haben. Aber nein – in Weitersberg müssen sie bleiben.«
»Liebe Mama, sie werden wohl nirgends so gut hinpassen, sie sind ja für die Wände gewebt worden.«
»Nun, daß du in allem deinem Vater recht gibst, weiß ich ja, und ich denke, ihr werdet dort wohnen wollen.«
Es ist das erstemal, daß sie die Zukunft erwähnt. Rosmarie wird dunkelrot: »Nein, Mama, daran haben wir nie gedacht.«
Die Fürstin richtet sich steil in die Höhe: »Doch nicht in der Ruine, das kann dein Ernst nicht sein!«
»Nein, aber in dem neuen Haus, das Harro baut.«
»Ein Haus, nun ja, er kann es ja mit deinem Gelde ausbauen!«
»Oh, es ist ganz recht, wie es ist. Es wird sehr schön, du wirst erstaunt sein. Harro hat so viel selbst gemacht. Es wird noch lange nicht ganz fertig sein. Der Festsaal oben.«
»Ein Festsaal!«
»Und noch viel anderes Schöne. Harro arbeitet doch seit Jahren daran.«
Rosmarie erschrak. Hatte sie nicht schon zu viel gesagt? Das Gesicht ihrer Mutter veränderte sich fast erschreckend. Rote Flecken sprangen auf unter ihren dunkel umränderten Augen, in die ein unstetes Flackern kam, das Rosmarie immer als Vorboten von schlimmen Szenen kannte. Aber diesmal ging noch das Wetter an Rosmarie vorüber. Ganz unvermittelt brach die Fürstin in die bittersten Klagen aus über ihr eigenes Leben. Wenn Frauen zu klagen anfangen, pflegt die Logik in unerreichbare Gefilde zu entfliehen. So erweckte die Vorstellung von dem schönen Haus Thorstein die Erinnerung an irgend welche gesellschaftliche Brüskierung, die die Fürstin erlebt zu haben glaubte. Und damit war eine bunte Pyramide umgestoßen.
Rosmarie mußte mit Erstaunen hören, welch leidensvolles Dasein ihre Mutter führe. Wie sie sich nun vor Berlin ekele, vor der preußischen Steifheit und Langeweile, und vor dem Geisterschloß Brauneck fürchte. Rosmarie müsse selbst zugeben, daß sie Grund dazu habe! Aber um Gottes willen nicht davon reden, sonst würde die Sache schlimmer, und keine Kammerfrau der Welt bliebe trotz noch so hohen Lohnes bei ihr. Ob Rosmarie nicht selbst zugeben müsse, daß es wahrhaft entsetzlich sei, sein Leben täglich unter so vielen toten, gemalten Augen zubringen zu müssen und nie für voll angesehen zu werden und das beständig zu fühlen bekommen, daß noch kein Sohn da sei.
Natürlich nur bis jetzt. Sie sei überzeugt, wenn man ihr das letztemal nicht mit Verordnungen und Verboten das Leben vergällt hätte, so wäre alles gut geworden. Allein diese altmodischen Ärzte, die man in Brauneck konserviere, wie alles andere, bis sie abgestanden geworden, seien schuld daran. Niemals würde sie sich denen wieder ausliefern lassen. Auch über die ganze Zeit Brauneck nicht wieder betreten, wo sich Türen, Menschen, Bilder gegen sie verschworen hätten.
»Ja, das haben sie, Rosmarie, und du kannst nichts dagegen sagen.«
Und Rosmarie schlang ihre Arme um ihre heftig schluchzende Mutter.
»Arme Mama!« flüstert sie und streicht ihr über die zuckenden Achseln und hört die immer wieder ausbrechenden Klagen und Anklagen mit solch zarter Teilnahme an, unter der ein sanftes Mitleiden liegt für die tiefe Zerrissenheit, die all diesen Worten zugrunde liegt. Sie ist ja so reich. Alle ihre Kerzen der Liebe und des Erbarmens brennen.
Und seltsam, mehr als seltsam, der Fürst findet seine beiden Damen in einer ihm ganz wunderbaren sanften Stimmung vor.
Noch immer darf er das große Ereignis nicht berühren, Rosmaries Augen warnen ihn davor. Aber welche Wohltat, daß sich