Meine neuen Pariser Frühsommerkostüme sind eingetroffen und im ganzen befriedigend. Zu manchem wird man freilich in Brauneck scheel sehen, wo man das Altväterische, Biedere liebt und einen am liebsten auf das Matronenhafte festnagelte. Nun, ich hoffe, nur kurz in Brauneck zu bleiben. Die Luft ist dort so tot und schwer. Jeder Gegenstand von Pietätsstrahlen umgeben und unverrückbar dort, wo er einmal sitzt. Und nicht einmal ein Auto habe ich noch, mit dem ich mich doch schnell einmal dieser Atmosphäre entziehen könnte. Und dann kommen die Verlobungsfeierlichkeiten und vermutlich einige offizielle Empfänge (fürchterlich langweilig und angreifend!). Ach, habe nur ein wenig Mitleid mit Deiner Charlotte.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Goldmarie
Im Braunecker Schloß sind wieder festliche Vorbereitungen im Gange. Die Fürstin ist zurückgekehrt mit der Prinzessin, die sich im letzten Jahre so verändert hat, daß die Leute sie ungläubig anstarren, als sie nun mit ihrer Mutter vorüberfährt. – Kann das die Prinzessin Rosmarie sein, die wunderschöne junge Dame!
Und was noch seltsamer ist, die feinsten Nasen in Brauneck haben nicht bemerkt, was geschehen ist, bis ein schokoladebrauner Lakai bei den Honoratioren die Runde macht und ausrichtet: »Seine Durchlaucht lassen den Herrschaften mitteilen, daß sich Prinzessin Rosmarie mit dem Grafen Thorstein auf Thorstein verlobt hat.«
Dies ist eine überwältigende Neuigkeit. Dem Schokoladebraunen folgt bald ein Kindertrüppchen von Haus zu Haus, und die Frau Apotheker sieht man sofort im Visitenanzug zu der Frau Präzeptor, ihrer Intimsten, stürzen.
Fürst und Fürstin und die Verlobten nehmen am Dienstag, dies erzählt der Schokoladene auf Befragen, Besuche an.
Also das war das große Los, das der Ruinengraf gezogen! Von dessen Baueifer sich schon in der ganzen Umgegend Legendenkreise gebildet haben. Alles in Thorstein solle ja Gold und Marmor sein. Mit Gold sogar die Wände belegt, und eine ganze Horde Italiener arbeite drüben, die im Tag zehn Mark bekämen. Kein Mensch hat zwar noch den Bau gesehen, aber dadurch wird er nur noch großartiger.
Bisher war man geteilter Meinung gewesen. Entweder der Ruinengraf habe zwischen dem Steinwert einen in den Kriegsläuften verborgenen Goldschatz gefunden. Ja, diese Ansicht ist entschieden die populärere.
Andere, mehr realistische Naturen neigen zu der Annahme, der Thorsteiner habe das große Los gezogen. Denn woher sollte der arme Teufel von einem Ruinengrafen plötzlich das Geld haben?
Und ihm selbst hat man keine Verbesserung seiner Lage angesehen. Seine Lodenröcke waren noch genau so grün, und sein alter Filzhut schlug schon bald zum drittenmal in eine andere Farbe über.
Auch wollte man wissen, daß er bei dem Bau, selbst bei dem Behauen der Steine, geholfen habe, auch überall dabei sei, wo es eine besonders schwere oder heikle Aufgabe gebe.
All die vielen kleinen Fenster in den spitzgiebeligen Häusern sind zu Augen geworden, und jedem vorbeieilenden Lakaien folgt ein Kinderschwarm, und die Kühnsten schreien: Hochzeit! Hochzeit! Die sämtlichen Damen machen einander Besuche an diesem schönen, heißen Julimorgen, an dem die Sonne mit so goldenem Glanze die vier dicken Türme von Brauneck überschüttet. Und an keinem Fenster bleiben die kleinen Vorhänge, die man dort zu Lande Neidhammel heißt, unverrückt, als nun um zehn Uhr auf einem hohen leichten Kutschierwagen, dessen zwei schöne Goldfüchse er selbst lenkt, der Ruinengraf hereinfährt. Die meisten erkannten ihn übrigens erst, als er vorüber war. Denn auch der treue alte Filzhut und die Lodenjoppe war verschwunden, und in dem Diener, der hinten auf saß, konnte kein Braunecker den treuen Märt erkennen, der mit seinem Herrn nun so manche Wechselfälle mit erlebt hatte. Das Gefährt mit den Füchsen war ein Geschenk des Fürsten zum heutigen Tage; der Fürst wollte, daß sein Schwiegersohn im eigenen Wagen angefahren komme.
Der Fürst war Harro entgegengegangen – bis zur großen Pforte, die in die Waffenhalle führt und die nur bei Festlichkeiten benützt wird. Die Herren sehen sich ja jede Woche, aber mit dem heutigen Tag tritt doch ein Neues in ihr Leben ein, und als sich Harro herabneigte, um dem Fürsten die Hand zu küssen, legte der ihm die Hand auf die Schulter, und seine schönen dunkeln Augen wurden feucht.
»Du weißt, Harro, wie du mir danken kannst.«
Gestern hatten sich Rosmarie und ihre Stiefmutter erst wiedergesehen. Rosmarie war der Fürstin mit klopfendem Herzen, aber doch mit einer leisen Zuversicht entgegen gekommen. Mama mußte doch bemerkt haben, welch unsägliche Mühe sie sich gegeben hatte, ihr in allem entgegenzukommen und es bei ihrem Vater so viel als möglich nach ihren Wünschen einzurichten.
Und die Fürstin war auch fast liebenswürdig gewesen. Wie sie sich mit Harro stellen würde, das wußte freilich noch niemand. Weder Rosmarie noch ihr Vater sind ganz ohne Sorge darüber.
Und dann hat die große Freude bei Rosmarie alles andere verschlungen. Heute kommt er, das schreibt ein goldener Sonnenpfeil an die Wand ihres Schlafzimmers, das rauscht in der Linde, jedes glitzernde Wellchen des Flusses im Tale trägt es auf seinem Rücken und gibt es dem nächsten weiter. Die Schwalben, die wie dunkle Pfeile zu vielen Hunderten die Schloßmauern umschwirren, rufen es einander schrillend zu.
Wie der Morgenwind heute mit dem grünen Busch auf dem roten Turm spielt, daß es aussieht, als habe er seine Feder noch einmal so keck aufgesetzt, und dazu blinzelt sein glänzendes Auge unter dem schweren Lid hervor: Ich weiß, wer kommt! Die ganze Luft ist so voll Freude, daß man meint, man atme sie ein, die Seligkeit. Ach, daß es heute auch traurige und einsame Menschen gibt, die auf niemand warten können als vielleicht auf den Tod!
Lisa muß sich reichlich beschenken lassen, denn ein bißchen Freude soll doch jedermann haben, mit dem Rosmarie heute in Berührung kommt, sonst bedrückt sie die eigene Seligkeit zu sehr.
Und so kam sie zum Frühstück, wo ihre Eltern sie erwarteten, in ihrem lichten, zarten Batistkleid, das unter der Brust von einer blauen Seidenschleife zusammengehalten wird. Sie kam, als bringe sie den ganzen Sommertag in das hohe, schattige Gemach, in dem die Vorhänge gegen die Sonne heruntergelassen sind.
Die Fürstin sah auf, sie sieht fahl und verlebt aus und abgespannt. Bei Rosmaries Anblick wird sie fast graugelb. Des Vaters Augen leuchten auf. Haben denn die alten Wände wohl je so etwas Schönes gesehen? Die vielen, gemalten Augen schauen von den Wänden herab, manche in tiefem Schatten, manche von einem Sonnenpfeil erhellt.
Es ist eine Dame da im steifen Silbermieder, mit imponierender Hakennase, deren Augen so gerichtet sind, daß sie den Beschauer verfolgen. Hat sie denn je so gestarrt wie heute, die alte Brauneckerin, die die kalkweißen Hände so feierlich auf ihr silberbeschlagenes Buch gelegt hat? Sieh sie dir an, alte Dame, das letzte, das holdeste Kind von Brauneck! Rosmarie küßt ihrer Mutter die Hand und lächelt sie an mit dem suchenden Blick, der nach ein wenig – nicht Liebe, nur Duldung verlangt. Was sie aus den Augen trifft, ist etwas Unergründliches, etwas, was sie noch nie gesehen hat.
Dann beut sie ihrem Vater die Wange dar, daß er sie küsse, ein wenig muß sie sich zu ihm herabneigen, sie ist ja größer als er.
Es trägt ihr sofort die Bemerkung ihrer Mutter ein: »Rosmarie, du bist wieder gewachsen, nun mußt du dich nur mehr vor den Kronleuchtern in acht nehmen!«
»Das will ich tun, Mama; ich kann ja Harro vorausgehen lassen. Wo er durchkommt, komme ich auch durch.
Vater, hast du schon den Duft von der Linde gespürt, er hüllt das ganze Schloß ein, sie blüht auf der Nordseite, o wie es darin summt und orgelt.«
Sie setzt sich an ihren Platz ihrem Vater gegenüber neben der Fürstin und fängt an, den goldschimmernden Honig auf ihr Brötchen zu streichen, und ihr Vater sieht ihr mit Freuden zu, wie es ihr so herrlich schmeckt.
»Iß recht viel davon, der Honig paßt so recht für dich, dann wirst du recht klar und süß.«
Keins hat noch mit einem Worte des großen