Es kommt der Rebengang, auf den die Sonne nun nicht mehr die schönen blanken Flecken wirft, er ist schon fast kahl, nur einzelne glutrote Blätter hängen noch daran. Und nun kommt der tiefe Kastanienschatten unter dem Lindenstamm. Da liegt der Boden voll goldener Blätter und immer neue senken sich in sanften Kreisen herab wie große müde Falter. Und nun wendet sich der Weg nach Norden, wo der Wald bis fast zu den Schloßmauern heransteigt. Dort die Buche ist ein flammender Goldberg zwischen den dunkeln Tannen. Es senkt sich ein smaragdgrüner Rasen den Berg hinab, der noch beperlt ist vom Tau, der rote Turm hat hier seinen trotzigen Fuß in den Felsen gestemmt, aus dem er herauswächst, die Blume des Steins. Sein Helmbusch schneidet in den tiefblauen Himmel, und die Dohlen und Krähen umfliegen ihn, er hütet seine Geheimnisse. Überall rauschen und knistern die Blätter herab.
Dort blüht noch ein fremdes Wunderbäumchen im rosa Federschmuck. Die Rose deutet mit der Hand dahin: »Das liebe Bäumchen tut, als wäre nicht Sterbenszeit, und schmückt sich wie zum Feste. Du liebes Bäumchen, gib mir doch einen Zweig von dir.«
Er schneidet ihr eine der feinen rosa Ruten ab und sie hält die in ihren schmalen weißen Händen... und drückt ihre blassen Lippen auf die Blüten. Plötzlich lächelt sie fein und eigen.
»Was ist's Rose,« fragt er. »Woran denkst du?«
»An die alten Braunecker, und wie die ihre Heimat so lieben, daß sie die himmlischen Gärten verlassen mögen und gerne hier an den alten Mauern hinstreichen. Als ich ein Kind war, sah ich ja manchen von ihnen ... Harro, ich glaube, die alte Erde, die blut- und tränenbefleckte, sie hält ihre Kinder doch fest.«
»Für mich ist diese Erde schön genug, ich sehe mich ja erst in sie hinein,« sagte Harro. »Jeder Frühling ist schöner als der letzte, jeder Herbst ist goldener. War es je so schön wie heute, hast du je solche Glut der Farben, solche blauduftige Ferne, solche smaragdenen Wiesenflächen gesehen? Mir hat es die Gottheit schön genug gemacht und ich begehre nichts Besseres. Und nun komm, Liebste, von hier an trage ich dich...«
Er nahm sie auf seine Arme und gab dem Pony einen kleinen Schlag: das wohlgezogene Tier würde allein in seinen Stall trotten.
»Bin ich denn nicht zu schwer für dich, den ganzen Weg, Harro?«
»Wenn du deinen Arm um meinen Hals legen kannst, so trage ich dich bis zum Thorstein, wenn du wolltest. Du bist leichter geworden, Rose...«
»Nun, dann drück ich dich nicht schwer, Harro; es war doch bedenklich, daß du mich gleich an jenem Weihnachtsabend auf den Arm nehmen mußtest, was hast du mich schleppen müssen!«
Er sah auf sie herab, wie er mit ihr den schmalen steilen Weg zwischen den dunkeln Riesentannen hinschritt, der zum Mauerpförtchen führte. Da gähnt die finstere Höhlung, einen Augenblick stehen sie noch davor unter den dunkeln Stämmen, dann verschlingt sie das Dunkel und der Park sieht sie nicht mehr.
»Sag etwas ganz Schönes und Liebes, Rose,« flüsterte er, »daß ich fühle, wie du weißt, wie gerne ich dich getragen habe. Weißt du es?«
»Doch, ich weiß es, Harro, du hast mich getragen wie der Riese Christoph im Dom zu Erfurt das Christkind. Ist das nun recht?«
Er lächelt. »Ich wußte, du findest immer das Schönste.«
Und nun legt er sie auf ihren Stuhl unter der goldenen Linde auf dem Lindenstamm.
»Es ist noch so schön warm, Rose. Es wird dir so wohl tun, wenn du hier ruhen kannst.«
Er bettet sie in ihre vielfarbigen Kissen und zieht die leichte Seide um ihre schlanke Gestalt zurecht. Dabei berühren seine Hände ihre Füße in den zarten offenen Goldschuhen. »Kalt, Rose, bist du, ich hole dir eine Decke.«
»Nein, Lieber, du weißt nicht, wie das drückt, so schwer.«
»Rose, sie sind aber kalt, eiskalt, deine Füße.«
»Ach, laß sie kalt sein, sie schmerzen doch nicht mehr.«
»Taten sie das? Deine armen geliebten Füße.«
»Ja,« sagt sie fast feierlich, »die haben auch gelitten. Nun geben sie Ruhe. Laß sie mir. Daß sie nicht wieder anfangen.« So muß er sie lassen. Sie sieht aus, als wolle sie einschlafen: er denkt, wenn sie schläft, werde ich sie zudecken.
»Ich bin müde, Harro... So müde, und du nimmst mich in deinen Arm. Ach sieh, da kommen die schönen Blätter.« Sie sieht lächelnd hinauf zu ihrer Linde. Wie die Blätter sich lösen und drehen und herabgleiten in der stillen Luft und auf ihr glänzendes Gewand fallen. »Ganz schläfrig wird man bei dem Zusehen.«
Und wie schön hält er sie in seinem Arm. »Wie ruhig ist sie nun,« denkt er, »und dieser fürchterliche Sturm heute nacht. Und das wird ja wieder kommen, es muß, wieder und wieder, bis die letzte Kraft erschöpft ist. Allmählich wird er lernen, ruhig daneben zu stehen und vielleicht stumpft er sich sogar ab... Wird der Schleier der Gisela immer bereit sein?... Das Unfaßbare, das man nicht befehlen, nicht erflehen kann, auf das man in Demut warten muß?«
Und nun schläft sie wirklich ein, aber plötzlich öffnet sie wieder ihre Augen, die sind schon ganz voll Schlaf.
»Es war so schön bei dir, Harro,« flüstert sie, »unter dem Schleier der Gisela.«
Er glaubte, sie spreche von seinem Bild. »Still, still, Liebste,« flüstert er, und seine Lippen berühren ihre kühle Stirn. »Schlafe jetzt.«
Und nun schläft sie wirklich. Aber ihr Haupt ist bald so an seine Brust gesunken, daß er seinen Arm nicht unter ihr wegzuziehen wagt, sie müßte aufwachen. Ihre kalten Füße deckt er ängstlich, und er hat sie wenigstens in den Saum ihres Kleides eingehüllt, aber sie muß sich gestreckt haben, nun scheinen sie wieder hervor. »Die goldenen Freudenschuhe.« Er seufzt bitterlich. »Was jetzt kommt, ist die Hölle,« denkt er. Sie schläft ihm auch zu tief. Wenn sie aufwacht, wird die Not angehen. Er muß dankbar sein für jeden Augenblick, den sie noch ruht. Tante Ulrike steht an der Glastüre, er winkt ihr ab. Und die Blätter tanzen von der Linde, bedecken die alten Steinplatten, die einst die Tränen der Hexe benetzt haben... Sie fallen auf das weiße Gewand, auf das blasse Goldhaar...
Da erscheint Ulrike wieder. Er winkt ihr, sie kommt mit vorsichtigen Schritten, aber die Blätter rauschen doch, darüber muß er die Stirn runzeln. Sie beugt sich und legt ihre Hand auf die Goldschuhe, sie zuckt zusammen, sie greift nach der herabhängenden Hand, der sanft gelösten, sie zittert...
»Harro, mein armer Harro, o mein armer Harro!« ruft sie mit einer Stimme, wie man sie nicht über Schlafende hingehen läßt. »O mein armer, armer Harro!«
Er fährt zusammen, er begreift – es ist, als ob sich eine eiskalte Hand auf sein Herz lege und es zusammenpresse. Er zieht seinen Arm unter ihr hervor, keinen Blick mehr wirft er nach ihr, er taumelt an die Steinbrüstung... da bricht er zusammen, den Kopf auf die Platten gelegt... Ein lähmendes, würgendes Entsetzen... ein Abgrund, an dem die Seele in entsetzliche Tiefen hinunterstarrt, tut sich ihm auf... Da berührt ihn die Hand seiner Tante.
»Harro, komm und sieh sie an. Komm, mein Sohn, mein armer Sohn... Es wird dir leichter.«
»Ich kann nicht,« stöhnt er, »nie wieder... nie wieder...«
»Du mußt, Lieber... du mußt sie sehen, du wirst sie dann nicht mehr in die Qual zurückreißen wollen.«
Da erhebt er sich taumelnd... sie legt ihre starken Arme um ihn... er drückt seinen Kopf an ihre Schulter, sie braucht ihre ganze Kraft, seine Last zu tragen.
Ein Krampf schüttelt ihn. »Laß,« flehte er, »nie wieder, nie wieder.«
»Sieh hin,« befiehlt sie.
Er stößt einen wilden Schmerzensschrei aus wie ein verwundetes Tier. Sie ringt fast mit ihm, und dann nimmt er die Hände vom Gesicht.
Da liegt still und feierlich seine Rose, ein letztes geheimnisvolles Lächeln auf den noch blaßroten Lippen, die Augen halb geschlossen, das schöne Haupt zur Seite geneigt... Von seinem Herzen fällt