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Ein paar Stunden später hörte der Regen auf. Der aufgefangene Niederschlag brachte einen asche- und gummiartigen Nachgeschmack mit sich, tat aber trotzdem gut. Autumn, O'Brien und Duckie hatten jeden verfügbaren Behälter damit gefüllt. Frank kam nun endlich dazu, sich den Dreck aus den Haaren zu spülen und die schmutzigsten Stellen an seinem Körper zu waschen. Als das Wasser aufgebraucht war, konnte er sich beileibe nicht als sauber bezeichnen, fühlte sich aber wenigstens erfrischt.
Hinterher begab er sich mit Quebra hinaus in die Sonne. Von Mills fanden sie nicht mehr viel. Sie entdeckten einen Schuh, in dem ein Fuß steckte, aber es war eben nur ein Schuh. Quebra stieß eine rote Masse an und kam zu dem Schluss, es sei vielleicht ein Bein, doch dann entdeckten sie den Schädel – ihren blauroten, starrenden Kopf, der einfach so im Rinnstein lag.
»Begraben wir sie«, schlug Frank vor.
»Warum?«, fragte Caitlin, die ihnen gefolgt war.
Als er sich umdrehte, betrachtete sie argwöhnisch den abgetrennten Kopf. Autumn stand am Vordereingang des Krankenhauses, sah sich aber nicht bemüßigt, ihre Schwester zurückzuholen.
»Sie wollte uns umbringen, richtig?«, fragte Caitlin. »Ich meine, selbst wenn nicht, hat sie uns immerhin vorher all diese Lügen erzählt. Sie war ein schlechter Mensch.«
»Schlecht.« Frank ließ sich das Wort durch den Kopf gehen, während Quebra den Klappspaten aus seinem Rucksack öffnete. »Mag sein. Ich weiß es nicht.«
Schließlich erklärte er Caitlin: »Es geht nicht um sie. Leben hat einen Wert. Ich kann sie nicht einfach so liegenlassen. Sieh sie dir an.« Mit sie meinte er Mills' Kopf, und den starrte Caitlin nun mehrere Augenblicke schweigend an. Dann blickte sie zu Frank hinüber. »Glaubst du das wirklich, oder willst du mir nur eine Lektion erteilen?« Er lächelte. »Gott, bist du zynisch.« »Ich bin neunzehn Jahre alt!« Natürlich, Neunzehnjährige dachten, sie wüssten alles. Sie hatten erfahren, dass die Welt scheiße war und der Weihnachtsmann nicht existierte … dass ihre Eltern schon als Minderjährige Erfahrungen mit Alkohol gemacht hatten und alles von hier bis zum Nordpol so lala war. Die Welt jetzt, also nach dem Höllengänger und dem Kollaps, musste Teenager zwangsläufig in ihrem naiven Zynismus bestärken. »Ich verstehe«, entgegnete Frank. »Das tue ich wirklich, aber … gut, es könnte sein, dass ich dir eine Lektion erteilen will, ja. Die lautet, dass du, falls du dich nicht immer noch an eine jener dummen, rosaroten Vorstellungen vom Wert des Lebens klammerst, einen Scheißdreck hast. Schließlich besitzen wir kein Geld mehr, nicht wahr? Oder materielle Güter. Alles, was uns noch bleibt, ist das Hier und Jetzt, und selbst das nur unter Vorbehalt. Deshalb begraben wir Mills, deshalb denken wir darüber nach, was das alles bedeutet, und haben …« »… etwas zu tun?«, ergänzte das Mädchen. Es war die richtige Antwort – nicht einen Grund zum Weiterleben, wie Frank fast gesagt hätte. Ein wenig gesunder Zynismus hatte durchaus auch etwas für sich. Er nickte ihr zu. »Wirst du Quebra nun helfen?« Sie tat es. Die ganze Gruppe stellte sich um das winzige Grab herum auf, während der Soldat die Erde mit seinem Spaten festklopfte, ehe sie einen Moment lang still blieben, weil niemand etwas Gescheites zu sagen wusste. Dann spuckte Dodger auf das Grab, womit die Lektion vorzeitig beendet war, und sie zogen weiter.
Kapitel 3
Mills hatte die Faust des Little Ones schätzungsweise nicht einmal halb ausgefüllt. Herrgott, das Gebäude, von dem Quebra auf ihn geschossen hatte, war nur so hoch wie die Unterschenkel des Geschöpfs. Es hatte sie absichtlich so vom Boden gepflückt, dass ihr Kopf noch zu sehen gewesen war und abplatzen konnte. Das glaubte Frank ganz sicher. Wieso wurde die Welt nur so bestraft? Er ging davon aus, dass es wahrscheinlich zehntausend unterschiedliche Erklärungen religiöser Art gab, doch die meisten frommen Großvereine hatten sich schon vor langer Zeit selbst den Garaus gemacht. Jetzt gab es nur noch Kulte, die unter anderem für Christus, Allah oder Buddha einstehen wollten, Frank aber bisher allesamt wie ein Haufen wahnhafter Irrer vorgekommen waren. Sie traten unter den gestörten Nomadenbanden auf, deren Wege Chia und er auf ihrer Wanderschaft zwangsläufig gekreuzt hatten. Ohne die Anmut und Staffage der gefallenen Weltkirchen wirkten diese Männlein und Weiblein allerdings wie bloße Straßenprediger. Frank vermutete, die frühen Propheten seien recht ähnlich wahrgenommen worden, nur dass diese Meere hatten teilen können; darin bestand der Unterschied. Er hätte sich jeder Vereinigung angeschlossen, deren Anführer Wasser in Wein verwandeln konnte, das musste er aber erst noch erleben.
Sie und ihre törichten Erklärungen einmal ausgeklammert: Weshalb wurde die Welt bestraft? Denn das wurde sie wirklich, so viel stand fest. Frank war von jeher Atheist, doch dass alledem etwas verdammt Grausames innewohnte, ließ sich nicht in Abrede stellen.
»Kommen wir auf deinen Anfall von vorhin zu sprechen«, sagte Chia zu ihm, womit er Franks trübseligen Tagtraum störte. »In dem Van.«
»Ich bin einfach ohnmächtig geworden«, rechtfertigte sich Frank. »Mein Kreislauf. Du weißt ja, was mit mir los ist.« Dennoch blieb Fakt, dass sein Traum ausgesprochen anschaulich gewesen war und äußerst seltsam dazu, und dass Frank rückblickend das Gefühl hatte, er sei dabei die ganze Zeit über wach gewesen. Eine Halluzination, hervorgerufen durch … wodurch? Sauerstoffmangel? So gravierend, dass er die Graue Frau gesehen hatte, aber andererseits doch nicht bewusstlos geworden war?
»Pass auf«, entgegnete er Chia, während er seine Stimme gedämpft hielt. Die beiden gingen hinter der Gruppe her, und einige hatten die Worte, die Frank nun loswerden wollte, zwar schon einmal gehört, aber er äußerte sie trotzdem gerne mit Bedacht. »Chia, du weißt, ich möchte, dass du mich verlässt, falls ich eines Tages zur Belastung werde.«
»Und du weißt, dass das nicht infrage kommt.«
»Aber dann sterben wir beide. Was bringt das denn?« Sie würden unter dem breiten Plattfuß eines Little Ones zu einem einzigen Brei zermalmt, und niemand könnte danach mehr erkennen, dass sie einmal zwei gesonderte Menschen gewesen waren.
»Ich weiß, Frank. Ich weiß, dass ich unvernünftiges Zeug treibe, zum Beispiel, indem ich versuche, dir ständig den Arsch zu retten, aber die kleine Rede, die du vor dem Mädchen gehalten hast, ist bei mir hängengeblieben – das mit dem Wert des Lebens.«
»Mein eigenes meinte ich damit nicht«, entgegnete Frank kaltschnäuzig.
»Ich trage eine rosarote Brille, Frankie. Durch sie werden Blutspritzer zu Ölflecken. Sie verwandelt einen Sonnenuntergang in ein Gemälde der großen Meister. Sie verleiht deinem beschissenen Leben eine Bedeutung!«
»Ich hasse dich«, nuschelte Frank aus einem Mundwinkel, während er sich bemühte, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Weiß ich«, erwiderte Chia und ging voraus. Nettigkeiten klangen in diesen Tagen wie nichts dergleichen, waren aber womöglich so innig gemeint wie nie zuvor.
»Also, wohin geht unsere Reise denn am Ende?«, fragte O'Brien. »Schwebt jemandem ein spezifischer Ort vor?«
Quebra schaute Chia an. »Dorthin, wo wir gewesen sind? Vor Mills?«
»Wir können nicht zurück«, erklärte der Alte gleichmütig.
»Und auch sonst