»Mutter?« sagte das Kind wie träumend und sah den Vater zweifelnd an. »Ich habe wirklich eine Mutti wie andere Kinder auch?«
»Ja, mein Liebchen«, bestätigte er mit einer Stimme, die nicht ganz klar klang. »Schau mal, dort sitzt sie. Geh und mach hübsch artig deinen Knicks?«
»Aber der Harras auch?«
»Wenn es sein muß.«
Ilsetraut nickte, zog ihren vierbeinigen Spielgefährten zu der neuen Mutter hin und war erst zufrieden, als dieser seine dicke Pfote in die schlanke Hand Gerswints gelegt hatte.
»Streichele ihn doch, Mutti, dann wird er dich nicht beißen. Muttis dürfen nicht gebissen werden, das weiß Harras auch.«
Erst als der Hund gestreichelt war, duldete das Kind, daß er sich zu Füßen seines Herrn streckte. Dann wandte es sich der neuen Mutter zu und sah sie aus den wunderschönen Kinderaugen unentwegt an.
»Du bist meine Mutti?«
»Ja, Ilsetraut.«
Sie reichte Gerswint den Strauß.
»Der ist vom Papi. Schau mal nach, da steckt noch was drin.« Und schon hatte sie aus den Blumen eine Kette gezogen, deren Kostbarkeit Gerswint mit einem Blick erfaßte.
»Die ist auch von Papi. Komm, ich will sie dir umbinden.«
Mit ihren dicken Patschen mühte sie sich, die Kette um den schlanken Nacken der Mutter zu legen.
Als ihr das gelungen war, mußte Gerswint wieder einen langen Blick über sich ergehen lassen. Dann ein abgrundtiefer Seufzer, ein Nicken des lockigen Köpfchens.
»Du siehst viel schöner aus als die anderen Muttis alle. Keiner hat so eine schöne Mutti wie ich. Ich will dich liebhaben.«
»Na also«, bekräftigte Papa Hungold, der genau wie die anderen die Annäherung zwischen Mutter und Tochter mit atemloser Spannung beobachtet hatte.
»Also scheint das Töchterlein Ihre Wahl zu billigen, Baron«, schmunzelte der alte Herr und hatte sein Vergnügen daran, es rot auf der Stirn des Mannes aufflammen zu sehen. Hellersen zog seine Tochter hastig zu sich heran – wie es schien, um seine Verlegenheit zu verbergen.
»Hummelchen, du mußt jetzt wieder zu deinem Fräulein oder zur Barbe zurückkehren.«
»Ach, Papi, Papilein«, schmeichelte die Kleine. »Nur einmal auf Muttis Schoß sitzen will ich.«
»Kind, das ist doch unmöglich! Schau doch mal, ein wie schönes Kleid die Mutti anhat. Du würdest es ihr verderben.«
»Schadet nichts«, lachte das Kind unbekümmert. »Dann kaufst du ihr ein neues.«
Und schon war sie bei der Mutter, die sie lächelnd auf den Schoß hob.
»Mutti, ich will dir doch nur einen Kuß geben«, schmeichelte das Kind und drückte ihr Mündchen auf Gerswints Lippen. »Darf ich noch ein wenig hier sitzen, Mutti?«
»Wenn du magst, Ilsetraut.«
»Siehst du, Papi, die Mutti hat’s erlaubt«, lachte die Kleine zum Vater hin und setzte sich auf der Mutter Schoß zurecht.
»Aha, Baron, abgesetzt sind Sie jetzt«, lachte Papa Hungold behaglich. »Die erste Stelle nimmt jetzt die Mutti ein.«
»Das scheint mir fast so«, lächelte Swen und wandte sich seiner Braut zu.
»Das Kind ist dir doch nicht lästig, Gerswint?« fragte er beunruhigt; aber sie sah ihn verwundert an.
»Wie kommst du auf diesen Gedanken, Swen? Ich weiß doch, daß ich an diesem Kinde Mutterstelle vertreten muß.«
Das klang so einfach, so selbstverständlich, daß der Baron die Lippen beschämt auf die feine Hand drückte, die seit heute seinen Verlobungsring trug.
*
Die Wochen bis zur Hochzeit waren schnell vergangen. Erst zwei Tage vorher kehrten Frau Elisa und Gerswint von Berlin zurück. Sie waren vergnügt wie schon lange nicht und schienen die vorwurfsvollen Blicke des Barons, mit denen er sie im Waldhause begrüßte, nicht zu sehen.
»Es ist doch dem Menschen recht bekömmlich, wenn er hin und wieder Großstadtluft genießt«, sagte Frau Elisa, als sie am Abend mit ihren Kindern – selbst Edna und Bolko waren dabei – zusammensaß.
»Du hast ja jetzt die Mittel, wieder in die Großstadt zu ziehen, Mama«, bemerkte Swen kühl. Allein Frau Elisa winkte lächelnd ab.
»Das will ich ja gar nicht. Ich habe mich im Gegenteil im Trubel Berlins nach dem stillen Waldhause gesehnt. Ja, mein lieber Swen, man wird eben alt«, setzte sie mit Humor hinzu, als sie das verdutzte Gesicht ihres Schwiegersohnes sah.
»Ich verstehe dich wirklich nicht, Mama.«
»Wirst du gleich, mein Sohn, wenn ich dir erkläre, daß mein ständiger Wohnsitz weiter das Waldhaus bleiben wird. Ich werde mir alles genauso einrichten wie Hungolds; ich werde mir ein Auto halten, mit dem ich dann fahren kann, sooft ich Stadtluft genießen will.«
»Ist das dein fester Entschluß, Mama?«
»Mein ganz fester, Swen. Ich finde es auf die Dauer nicht mehr schön in der Stadt. Außerdem will ich doch in der Nähe meiner Kinder bleiben.«
»Mama, wenn ich alles erwartet habe, das nicht«, sagte der Baron überwältigt. »Daß ich mich über deinen Entschluß freue, das brauche ich dir ja wohl nicht noch zu sagen.«
»Nein, Swen, denn dazu kenne ich dich jetzt zu gut. Ich habe mich einst vermessen, auf dich herabzusehen. Daß ich das jetzt offen und frei bekenne, soll die Sühne für meine Anmaßung sein. Heute weiß ich, daß, wärest du nicht gewesen, wir nicht so sorgenfrei in die Zukunft schauen könnten; denn dein eiserner Wille ist es gewesen, mit dem du uns bezwungen und auf den Weg geführt hast, auf dem Onkel Leopold uns haben wollte.«
»Mama, wenn du das einsiehst, dann mußt du auch verstehen können, daß Edna und Bolko nicht anders handeln konnten und darfst ihnen nicht länger zürnen«, bat er mit seiner warmen Stimme. »Schau mal, Mama, die beiden können ja nie von Herzen froh werden, solange du ihnen noch gram bist.«
Frau Elisa sah in die blitzenden blauen Männeraugen und lächelte.
»Du magst recht haben, Swen. Kommt her, Kinder!«
»Mama!« jubelte Edna und schmiegte sich freudezitternd an die Mutter, während Bolko die feine Frauenhand zärtlich küßte. So eng verbunden war die stolze Frau noch nie mit ihren Kindern gewesen, so zärtlich hatte sie noch nie in die schönen klaren Gesichter geschaut wie jetzt.
Und so glücklich und zufrieden war sie auch noch nie in ihrem Leben gewesen.
*
Zwei Tage später fand die Hochzeit Gerswints und Swens statt. War die Verlobungsfeier nur schlicht und klein gewesen, so war jetzt die Hochzeitsfeier um so glänzender und größer.
Der Baron hatte außer sämtlichen Verwandten auch die Gutsnachbarn und maßgebenden Persönlichkeiten der Stadt geladen. So hatte es Onkel Leopold gewünscht. Es herrschte ein gar frohes Leben und Treiben in Waldwinkel, das Jahrzehnte hindurch jedem Frohsinn unzugänglich gewesen war.
Bei dieser Hochzeitsfeier konnte Frau Elisa wieder einmal beweisen, daß sie Feste zu veranstalten verstand wie kaum eine andere Frau. Es war alles so schön, so festlich und harmonisch, daß die Gäste noch wochenlang mit Begeisterung von dieser Hochzeitsfeier sprachen.
Als man die Braut sah, hielt man buchstäblich den Atem an vor Entzücken. Konnte es überhaupt so etwas Wunderschönes geben?
Nur der Bräutigam – der eine so gute Figur machte, daß er sich mühelos neben der reizvollen Braut behaupten konnte – war ihnen viel zu gelassen. Sie konnten nicht verstehen, daß ihm das Glück, eine solche Frau sein eigen zu nennen, nicht