Damit schließe ich und wünsche jedem von Euch ein glückliches Leben und ein segensreiches Schaffen.
Leopold von Hellersen.
Der Anwalt schwieg einen Augenblick, und sein Blick ging zu Wieloff hin, der teilnahmslos auf seinem Stuhl saß. Als der Justizrat ihn ansprach, fuhr er nervös zusammen.
»Herr Wieloff, was ich jetzt verlese, betrifft Sie.«
Er griff nach einem neuen Dokument, und wieder setzte die ernste, streng-amtliche Stimme ein:
Ich, Leopold von Hellersen, vermache aus meiner Hinterlassenschaft meinem langjährigen und treuen Mitarbeiter Roger Wieloff ein Erbe von hunderttausend Mark, die er sich in meinen anstrengenden Diensten redlich verdient hat. Ich wünsche ihm, daß sein Leben noch einmal froh und glücklich werden möge.
Leopold von Hellersen.
Jetzt erst schwieg die strenge Stimme ganz, und tiefe Stille herrschte im Raume. Die Augen Frau Elisas und ihrer Kinder hingen voller Angst und Erwartung an dem unbeweglichen Antlitz des Barons; denn er hatte ja das letzte und entscheidende Wort zu sprechen.
Er erhob sich von seinem Sitz, fuhr sich einige Male hastig über Stirn und Augen und wandte sich dann mit einer Verbeugung an Frau Elisa, die wie leblos in ihrem Stuhl lehnte.
»Liebe Tante Elisa! Soeben hat noch einmal der Mann zu uns gesprochen, der nur unser aller Bestes im Auge gehabt hat. Mir hat er mit einem reichen Erbe zugleich eine schwere Verantwortung auf meine Schultern geladen, die ich im vergangenen Jahre mehr als einmal gar drückend und quälend gespürt habe.
Wie oft habe ich mich voll banger Zweifel gefragt: Werden sie es schaffen, werden sie ihr Probejahr so bestehen, daß ich am Abschluß ihnen ruhigen Gewissens ihr Erbe in die Hände geben kann?
Aber heute weiß ich, daß ich es kann, und sage Gott sei Dank!
Denn du, Tante Elisa, hast dich bemüht, mit dem wenigen auszukommen, das dir Onkel Leopold aussetzte, obgleich du früher mit ganz anderen Summen zu rechnen gewohnt warst. Du hast auch tapfer das Leben im Waldhause ertragen, das dir nach dem Großstadtleben doppelt eintönig erscheinen mußte.
Du hast auch arbeiten gelernt; denn dein Hausstand ist in tadelloser Ordnung, was man wohl kaum deiner unbeholfenen Hausgehilfin allein zuschreiben kann. Also hast du die Probe bestanden.
Du Bolko, hast arbeiten gelernt, was dir nach dem verwöhnten Nichstuerleben sauer genug fiel. Du hast in dem einen halben Jahr mehr gelernt als mancher andere während seiner ganzen Lehrzeit.
Du, Edna, hast Pflichten übernommen, die dir alle Ehre machen. Hast es sogar aus dir selbst heraus getan, was um so anerkennenswerter ist.
Und Elke ist ein gewissenhaftes kleines Mädchen, das später bestimmt eine gute Gutsherrin und Hausfrau abgeben wird.
Das ist, was ich euch zu sagen habe.«
»So halten Sie die Erben für berechtigt, ihr Erbe anzutreten, Herr Baron?« fragte der Anwalt in amtlichem Ton, und Swen antwortete mit einem festen »Ja!«
Dann eilte er auf Frau Elisa zu, die noch immer erschreckend blaß war, und beugte sich über ihre Hände, die sie ihm entgegenstreckte.
»Swen, wenn du dich auch nur ein klein wenig mit uns freust, dann vergib und vergiß«, bat sie mit zuckenden Lippen, und in seinen Augen leuchtete es auf.
»Aber gern, Tante Elisa, von Herzen gern«, entgegnete er und drückte gleich darauf Edna an sich, die ihm ganz einfach um den Hals fiel.
»Swen, mein Gott, Swen! Ich verliere noch den Verstand vor Glückseligkeit!« jubelte sie. »Ich bin die Herrin von Lützen?«
»Wovon wir dankend Kenntnis genommen haben«, meinte Bolko trocken in ihren Jubel hinein, schob sie zur Seite und streckte dem Vetter beide Hände entgegen, die so merkwürdig bebten.
»Wie mir zumute ist, kann ich nicht beschreiben, Swen, du Guter«, sagte er mit einer Stimme, der man seine Erregung anmerkte. »Was wären wir jetzt, wenn du nicht selbstlos für uns gesorgt und dich unser angenommen hättest. Wieviel, wie grenzenlos viel haben wir alle dir abzubitten.«
»Bolko, Bengel, werde nicht rührselig!« sagte Swen und hatte doch selbst Mühe, seine Rührung zu verbergen. »Was habe ich viel getan? Ihr habt mir ja alles leicht gemacht.«
»Na, ich danke«, zweifelte Bolko. »Ein prachtvoller Kerl bist du. Ich glaube, ich könnte mich ohne Muck für dich totschlagen lassen.«
»Nur ja nicht«, lachte der Baron herzlich, meinte dann aber wieder sehr ernst: »Wenn ich dir einen Rat geben darf, Bolko: Gehe unbeirrt den Weg weiter, den du so tapfer beschritten hast. Lerne weiter, lerne immerzu! Hirschhufen hat einen ganz vorzüglichen Verwalter, der dir gerne beibringen wird, was er selbst weiß, und das ist gewiß nicht wenig.«
»Swen, ich kann ja gar nicht anders, als diesen Weg weitergehen; sonst würde ich mich ja meines Erbes unwürdig zeigen.
Aber jetzt will ich unser Nesthäkchen zu dir lassen; es scheint mächtig viel auf dem Herzen zu haben«, lachte er und machte der kleinen Schwester Platz, die stürmisch zu ihrem Vormund drängte.
»Sag, Swen, Wallen gehört mir, mir ganz allein?« fragte sie aufgeregt. »Und muß ich nun auch dorthin ziehen und ganz allein dort wohnen?«
»Bis du das kannst, werden immerhin noch einige Jährchen vergehen, du kleinste Herrin«, lachte der Baron. »Zuerst wirst du mal im Schulunterricht fleißig lernen. Und bis du soviel kannst, wie du als Gutsherrin brauchst, dürftest du bereits eine heiratsfähige junge Dame geworden sein. Dann nimmst du dir einen Mann.«
»Und der muß dann tun, was ich will?« fragte sie immer aufgeregter und konnte nicht begreifen, warum alle so lachten.
»Du nimmst dir ja viel vor, Kleines«, schmunzelte der Baron und wandte sich dann an Gerswint, die gleichmütig in ihrem Stuhl lehnte, während alles um sie her in freudigster Erregung war. Was ist das nur für ein sonderbares Menschenkind, schoß es ihm durch den Sinn. Schön und kaltherzig wie eine Seejungfrau. Und sie soll ich nun heiraten?
Brüsk wandte er sich ab.
Nein, es war ihm jetzt nicht möglich, zu ihr zu gehen. Er würde sich zu Worten hinreißen lassen, die besser ungesagt blieben. Also freute er sich weiter mit den andern. Hielt dann später, als sich alle ein wenig beruhigt hatten, eine sehr stimmungsvolle Gedenkfeier für den Verstorbenen ab und führte dann alle Anwesenden in den Speisesaal, wo ein Festessen auf sie wartete.
*
Swen von Hellersen rüstete sich zu einem Gange, vor dem er sich geradezu fürchtete.
Wenn er auch ein Jahr Zeit gehabt hatte, sich mit dem Gedanken abzufinden, Gerswint zu seiner Frau zu machen, so hatte er sich immer noch nicht so weit überwinden können, mit Gleichmut sich in das Unabänderliche zu fügen.
Ich hoffe, Swen, daß es Dich nicht zu große Überwindung kosten wird, Gerswint zu heiraten, hieß es in dem Brief, den Leopold von Hellersen seinem Neffen hinterlassen hatte. Ich wüßte nämlich kein weibliches Wesen, das sich besser als Herrin von Waldwinkel und Mutter Deiner späteren Kinder eignen würde als gerade die kühle, schöne Gerswint. Ich habe ihren Werdegang mit Interesse verfolgt und kann Dir daher mit ruhigem Gewissen sagen, daß Du keine Unwürdige zu Deiner Gattin machen wirst. Ist Gerswint auch hochmütig und kühl, so ist sie doch gesund an Leib und Seele. Ist eine echte Ortleff, die nie vergessen wird, daß sie diesem Geschlecht entstammt, aus dem, bis auf wenige Ausnahmen, nur untadelige Menschen hervorgegangen sind. Und Du, mein lieber Junge, vergiß darum nicht, daß Du ein echter Hellersen bist, denen die Pflicht gegen ihr Geschlecht stets heilig war.
O nein, das würde Swen wohl nie vergessen! Es