»So arg wird es nicht werden, Swen. Frau Minna ist gut und einsichtsvoll, und Frau Widding ist die Güte und Liebe selbst. Ich wünschte, die Mama wäre wie sie«, setzte sie mit schmerzlichem Seufzer hinzu. »Jedenfalls sind beide nicht so streng und unerbittlich wie der Herr Sekretär. Von ihnen werde ich wenigstens ein liebes, aufmunterndes Wort, vielleicht sogar ab und zu eine Anerkennung zu hören bekommen und als Mensch, nicht bloß als Arbeitsmaschine angesehen werden – wie bei diesem schwierigen Herrn. Weißt du, was er ist, Swen? Ein eingebildeter Affe.«
»Damit dürfte dein Urteil über den Armen sich vollends erschöpft haben«, lachte Swen herzlich. »Und nun wollen wir feststellen, wie sich Frau Minna als Lehrmeisterin entpuppen wird.«
»So bist du einverstanden, Swen?«
»Aber sehr, Mädel. Zumal du von dem ganzen Schreibkram nun schon das Notwendigste gelernt hast. Dringe nun also in die Obliegenheiten einer Hausfrau ein, damit man dir später, wenn du selbst eine bist, keinen blauen Dunst vormachen kann. Ich werde mit Frau Widding sowie mit Frau Minna Rücksprache nehmen und glaube nicht fehlzudenken, wenn sie dich gern unter ihre Fittiche nehmen werden.«
So kam es, daß aus dem Schreiberlehrling Edna ein Hauswirtschaftslehrling wurde, was ihr viel mehr zusagte, weil die beiden Frauen, denen sie unterstellt war, immer den rechten Ton für die eigenwillige Kleine fanden. Und der Vormund, der dem Lehrwechsel seines Mündels anfangs doch mit einigen Bedenken gegenübergestanden hatte, atmete erleichtert auf.
*
»Sehen Sie, Friedchen, der Schatz hat wieder nicht geschrieben, dem müssen Sie doch nun wirklich den Laufpaß geben«, neckte der forsche Landbriefträger das Mädchen, das in der Küche des Waldhauses stand und das Frühstücksgeschirr aufwusch. »Nehmen Sie doch lieber mich.«
»Nun hören Sie aber auf! Ein Kerl mit Frau und fünf Kindern!« tat Frieda entrüstet, und ihre Augen lachten. »Reden Sie nicht immer so’n dummes Zeug, rücken Sie lieber mit Ihrem Segen heraus!«
»Wenn Sie so stürmisch werden, muß ich es ja wohl«, schmunzelte der Mann und reichte ihr einen Brief, den sie errötend in Empfang nahm und rasch in die Schürzentasche steckte.
»Und hier ist noch ein Brief für Ihre Gnädige. Sogar ein Einschreibebrief. Sie muß hier unterschreiben.«
Frieda griff schnell nach dem Brief und drehte ihn nach allen Seiten.
Ihre Herrschaft bekam doch so selten Briefe – und nun gar noch so einen, wo man unterschreiben mußte?
»Neugierig sind Sie ja nicht, Friedchen«, lachte der Briefträger hinter ihr her, als sie hinter der Tür verschwand, um das wichtige Schreiben abzuliefern.
Frau Elisa schien der Brief nicht weniger in Erstaunen zu setzen; denn auch sie drehte ihn nach allen Seiten, ehe sie den Zustellungsschein unterschrieb. Und während Frieda zufrieden davontrollte, riß ihre Herrin hastig den Umschlag auf, überflog die wenigen Zeilen des Briefes.
»Ja, was will der denn wieder von uns?« sagte sie, unangenehm berührt, zu Gerswint, die mit einer Handarbeit am Fenster saß und jetzt gespannt zur Mutter hinübersah. »Hier schreibt Justizrat Glang, daß wir uns am 23. September, also morgen, um elf Uhr im Schloß einfinden sollten. Wirst du daraus klug?«
»Nein«, gestand Gerswint. »Vielleicht will man uns zusammentrommeln, um uns neue Maßregeln für unsere Lebensweise zu geben. Sicherlich leben wir noch zu üppig, und man will uns die Rente schmälern, weil doch Edna und Bolko jetzt ganz aus dem Hause sind und Elke sich eigentlich nur noch zum Schlafen hier einfindet, also auch gewissermaßen im Schloß verpflegt wird.«
»Du magst recht haben«, nickte Frau Elisa nun schon ganz gottergeben. »Man ist ja schon daran gewöhnt, daß aus dem Schloß für uns nichts Gutes kommt.«
»Wirst du der Aufforderung Folge leisten, Mama?« fragte Gerswint bang. Die Mutter nickte.
»Ich werde ja wohl müssen. Übrigens gilt die Aufforderung auch für dich und Elke. Weißt du, was ich annehme? Daß morgen eine Gedenkfeier für Onkel Leopold stattfinden soll; morgen ist doch sein Todestag.«
Ach ja, Frau Elisa hatte in dem einen Jahr viel gelernt, hauptsächlich das Geld schätzen. Sie konnte es einfach nicht mehr fassen, wie sie es früher fertigbekommen hatte, das Geld so unsinnig zu vergeuden, überhaupt so gedankenlos in den Tag hineinzuleben. Es war zwar eine harte Schule gewesen, durch die sie im letzten Jahr hatte hindurchgehen müssen; aber heilsam war sie doch gewesen.
Jedenfalls betrat Frau Elisa am nächsten Tage das Arbeitszimmer des Verewigten, das jetzt das Arbeitszimmer des Barons war, viel zuversichtlicher und zufriedener, als sie es vor einem Jahr verlassen hatte.
Alles war genauso wie damals, nur daß die Dienerschaft und Sanitätsrat Melch heute nicht anwesend waren. Man nahm sogar wieder dieselben Plätze ein, und auf dem Tisch stand wieder das mit Kerzen umstellte Bild Leopold von Hellersens.
Justizrat Glang war wieder sehr ernst und amtlich. Und doch war das, was er heute vorlas, so ganz, ganz anders als das im Vorjahre. Frau Elisa las dem Anwalt die Worte förmlich von den Lippen:
Liebe Schwägerin Elisa, liebe Nichten und lieber Neffe!
Wenn Euch im letzten Jahre vieles unerklärlich erschienen sein mag, so ist jetzt die Stunde gekommen, da Ihr Aufklärung erhalten sollt. Ohne daß Ihr es wißt, habt Ihr ein Probejahr hinter Euch, und ich hoffe und wünsche zuversichtlich, daß Ihr es gut bestanden habt und nun fähig genug seid, Euer Erbe, das auf meinen Wunsch heute erst vertrauensvoll in Eure Hände gelegt wird, in meinem Sinn verwalten zu können. Mein Neffe, Swen von Hellersen hat von mir den Auftrag erhalten, in dem Probejahr über Euer Leben zu wachen und Euch, von Euch selbst unbemerkt, auf einen Weg zu führen, der allein eines Menschen würdig ist: auf den Weg der Arbeit und der Pflicht! Ihr sollt lernen, wie schwer es ist, Geld zu verdienen. Dann erst werdet Ihr es zu schätzen wissen und es nicht gewissenlos vergeuden. Ihr sollt zu der Erkenntnis kommen, daß im Leben der Mensch gilt, nicht sein Name und Stand. Wer wirklich vornehm ist, dessen Vornehmheit wird immer von seinen Mitmenschen anerkannt werden, ohne daß es immer und überall hervorgehoben werden muß. Ich bestehe darauf, daß Swen von Hellersen Ednas und Elkes Vormund bleibt, weil ich weiß, daß die Mädchen in seinem Schutz gut geborgen sind.
Swen von Hellersen ist es auch, der darüber entscheiden wird, ob Ihr Euer Probejahr bestanden habt. Im verneinenden Falle fällt meine ganze Hinterlassenschaft an ihn, Baron Swen von Hellersen. Und meine Schwägerin, Frau Elisa von Hellersen, und ihre vier Kinder sind dann mit dem Erbe, das sie bereits vor einem Jahre angetreten, restlos abgefunden. Denn es geht nicht an, daß leichtfertige Verschwender und dünkelhafte Nichtstuer Herrenrechte übernehmen, denen sie nicht gewachsen sind. Ich habe nicht mein Leben lang in rastloser, mühevoller Arbeit Werte geschaffen und aufgebaut, um sie in kurzer Zeit von gewissenlosen Händen niederreißen zu lassen. Sollte jedoch Swen von Hellersen Frau Elisa und ihre Kinder als würdig genug erachten, ihr Erbe anzutreten, und fähig, es in meinem Sinne zu verwalten, so vermache ich, Leopold von Hellersen, aus meiner Hinterlassenschaft wie folgt:
1. Frau Elisa von Hellersen geborene von Ortleff einhunderttausend Mark, über die sie freie Verfügung hat. Außerdem geht das Waldhaus in ihren alleinigen Besitz über.
2. Meinem Neffen Bolko von Hellersen das schuldenfreie Rittergut Hirschhufen mit dem darauf ruhenden Vermögen und den dazugehörigen Vorwerken.
3. Meiner Nichte Edna von Hellersen das schuldenfreie Gut Lützen mit dem darauf ruhenden Vermögen und den dazugehörigen Vorwerken. Das Erbe wird bis zu ihrer Volljährigkeit von ihrem Vormund, Baron Swen von Hellersen, verwaltet.
4. Meiner Nichte Elke von Hellersen das schuldenfreie Gut Wallen mit dem darauf ruhenden Vermögen und den dazugehörigen Vorwerken. Das Erbe wird bis zu ihrer Volljährigkeit von ihrem Vormund, Baron Swen von Hellersen, verwaltet. Aus dem Gut sollen jeden Monat zweihundert Mark Erziehungsgelder für die Erbin gezogen und an Frau Elisa von Hellersen gezahlt werden.
Von meiner Nichte Gerswint von Hellersen erwarte ich, daß sie