Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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seines Geschlechtes begraben zu werden. Dagegen hatte den Rektor Hermann Huddäus das heilsame Wasser der pyrmontischen Bronnen wirklich zum großen Teil von seiner Leibesplage, dem Zipperlein, befreit, und längst saß er daheim in Minden auf seinem Katheder und redete seinen Schülern Worte holdseliger Weisheit. Mit dem Rektor waren verschwunden die Herren Bone und Studtius – auch sie konnten fester auf ihre Füße treten und lobten Gott dafür. Simon Magus der Blinde war mit der Entzauberten, von welcher die Chronik sprach, in sein Geschick gezogen, um die Wahrheit des alten Sprichwortes: »Gleich Mann, gleich Maid, gleicher Ehestand!« darzutun. Öde und unbehaglich wie ein Jahrmarktsplatz nach dem Feste war das Tal von Pyrmont nach dem Zerstieben des bunten Schwarms der Gäste geworden. Wohl hatten die Einwohner von Lügde, Oestorf, Holzhausen, Löwenhausen und so weiter nicht wenig Geld verdient; aber sie waren auch nicht wenig verwildert worden durch die bunte, wüste, liederliche Menschenflut, welche ihr bis dahin so stilles, unbekanntes Waldtal überschwemmt hatte.

      Jetzt lagen tief unter dem Schnee begraben die zertretenen, verwüsteten, einst so lieblichen Triften des heiligen Angers; die Dörfer waren wieder leer, und allmählich fanden die Leute ihre verlorengegangenen fünf Sinne wieder zusammen. Das verschüchterte Wild hatte ebenfalls nach und nach wieder Besitz von seinen Wäldern genommen und wurde nur noch durch hungrige Wölfe und andere vierfüßige Raubtiere, nicht aber mehr durch Banden wilddiebender Strolche aufgescheucht und gejagt, Menschen und Tieren war zumute, als seien sie soeben aus einem tollen, abenteuerlichen Traum erwacht, und Menschen und Tiere fanden sich nur ganz allmählich in das gewohnte Leben zurück. Nur einer in dem Tal von Pyrmont erwachte nicht aus seinem Traum, und dieser eine war Herr Philipp von Spiegelberg. Er träumte fort und verlor sich immer tiefer in verwirrende Zaubergärten, aus denen Erlösung immer schwieriger, ja wohl schon unmöglich geworden war.

      Fausta die Magierin befand sich noch immer auf dem Schloß Pyrmont: wie hätte der Graf erwachen können?

      Weihnachten war gekommen und vorübergezogen unter Jubel, Scherz und Lachen nach guter, alter deutscher Sitte. Die Säle des Schlosses hatte dazu Fräulein Walburg von Spiegelberg ausgeschmückt, unter dem Beistand des Haushofmeisters, mit grünen Tannen, Lampen und Lichtern; die Weihnachtskuchen hatte Fräulein Ursel nach vortrefflichstem, weitberühmtem und gesuchtem Rezept gebacken; im Rittersaal hatten des Grafen Musikanten zum Tanz aufgespielt, und in der großen Küche hatte Kaspar, der für den Winter aus einem fahrenden Mann ein ansässiger Mann geworden war, die Fiedel künstlich gestrichen. Teilnahmlos hatte sich der Graf inmitten der allgemeinen Fröhlichkeit bewegt, obgleich er keine der Pflichten, welche ihm als Haus-und Grundherrn oblagen, vernachlässigte.

      Dann war der letzte Tag des Jahres 1556 gekommen; das Schloß Pyrmont hatte nach althergebrachter Art die Sylvesternacht durchschwärmt und hatte alles getan, was seit Heidenzeit in dieser Nacht zu tun ist; mit der Mitternachtsstunde war man vom Tisch und in das neue Jahr – eintausendfünfhundertsiebenundfünfzig – hineingesprungen. Immer höher hatte sich der Schnee aufgetürmt die folgende Woche hindurch, und lustig schneiete es fort an dem stürmischen Februarabend, an welchem der Erzähler seine bunte Historie weiterspinnt.

      In seinem Gemache saß einsam Herr Philipp von Spiegelberg vor dem Kamin, in welchem ein halber Wald prasselnd in Flammen aufging. Unberührt stand der silberne Becher auf dem Seitentischchen neben dem jungen Grafen, welcher schon seit Stunden den züngelnden Flammen zuschaute und von seinen Gedanken gewiß nicht die mindeste Auskunft hätte geben können. Sein Lieblingshund, welcher wie gewöhnlich zu seinen Füßen lag, nahm jedenfalls bedeutend mehr Anteil an den Vorgängen der Außenwelt als Herr Philipp. Oft erhob er seinen klugen Kopf von den Vorderpfoten, spitzte die Ohren und ließ ein zorniges, halb unterdrücktes Geknurr hören, als wolle er dadurch die Herausforderungen eines verhaßten Feindes beantworten. Durch den Lärm des Sturmes, der in kurzen, erbosten Stößen den Schnee gegen die runden, erklirrenden Scheiben der Fenster trieb, vernahm man von Zeit zu Zeit ein langgezogenes, widerliches Geheul, bald näher, bald ferner: die Wölfe, durch den Hunger aus ihren Wäldern und Schlupfwinkeln getrieben, umkreisten beutesuchend die Wohnungen der Menschen.

      »Nieder, Greif! Laß das Gesindel!« war das einzige, was Herr Philipp sprach, als der Hund es zuletzt nicht mehr aushalten konnte, aufsprang und ein wütendes Gebell ausstieß.

      »Nieder, Greif, laß sie!«

      Murrend warf sich Greif von neuem der Länge nach auf den Boden wie einer, der fest entschlossen ist, selbst durch den Weltuntergang sich nicht mehr aus seiner Ruhe aufstören zu lassen. Von neuem fing der Graf an, mit der Eisenstange in den Kohlen seines Kamins zu wühlen, wobei er tief und schwer seufzte. Vor zwei Stunden noch hatte er in fast ausgelassener Heiterkeit sich mit dem Schwesterlein Walburg umhergetrieben, und jetzt saß er hohlwangig, traurig bis zum Sterben da.

      Herr Philipp von Spiegelberg war in der Tat sehr krank und ein trübselig Exemplum dafür, daß nicht alle Übel, welche den Menschen befallen mögen, durch das heilende Wasser des heiligen Borns geheilt werden konnten.

      »Nieder, Greif, zum letzten Male sage ich dir – nieder!« rief der Graf und drückte den widerstrebenden Kopf des Hundes mit dem Fuße auf den Estrich nieder.

      O Fausta, böse, böse Fausta!

      Von Augenblick zu Augenblick ward der Sturm heftiger, mit List und Gewalt umkreiste er gleich dem Wolf das Schloß Pyrmont, und keine Ritze, keine Spalte, keine Öffnung der Fenster und Türen, durch die er Eingang finden konnte, entging ihm; mit den seltsamsten Tönen füllte er das alte Gebäude vom Keller bis unter die Dächer, bis in die Turmspitzen. Alle Bewohner des Schlosses schauerten dann und wann zusammen und malten sich aus, was wohl daraus werden würde, wenn jetzt ein Feuerfunke, an einem verlorenen Strohhalm hinauflaufend, einen Strohsack, ein Bündel Heu, einen Bettvorhang oder eine Tapete in Brand setzte. Der Graf allein ließ sich durch das Zischen, Pfeifen, Rasseln, Sausen nicht stören in seinen Phantasien, er versenkte sich im Gegenteil nur immer tiefer darein. Bald sah er den grünen Wald im Sonnenschein, bald sah er ihn im Mondenlicht – die Nachtigall sang im Gesträuch – feenhaft schwebte eine Gestalt, halb Schatten, halb Wirklichkeit, durch die Wildnis –

      »Meine Augen, die haben verloren ihren Schein,

       Mein junges Herz hast du genommen ein;

       Meine Freud hat sich in Trauern verstellt,

       Kann nichts lieb han, als was mir jetzo gefällt!«

      O wie heulte und krachte und knatterte es jetzt in denselben Wäldern, die Herr Philipp mit seinen Traumgebilden bevölkerte! Wie brauste und sauste es durch die kahlen Zweige, wie häufte sich der Schnee um den Toren to Mayen, wie pfiff es um die Trümmer von Schell-Pyrmont und um die Burg des Arminius!

      O Fausta, böse, böse Fausta!

      Aber horch, was war das?

      War’s nicht der Schall eines Horns, welcher da durch den Schneesturm klang? Noch einmal?!

      Nun wieder, und näher; nein, das ist nicht Täuschung, das ist wirklich Hörnerschall! Gott schütze die Armen, welche bei solchem Wetter ihren Weg durch den Schnee suchen müssen!

      »Hallo, was ist das?« rief der Graf, sich in seinem Lehnstuhl halb erhebend. »Sie halten vor meinem Tor?«

      Das Horn des Turmwärtels von Pyrmont antwortete plötzlich den Klängen draußen.

      »Besuch? Zu solcher Stund? Wer mag das sein?«

      Eilende Schritte erschallten auf dem Korridore – Sporengeklirr – Herr Philipp von Spiegelberg rief »Herein!«, als jemand an die Tür pochte.

      Klaus Eckenbrecher steckte den Kopf in das Gemach:

      »Herr Graf, es halten einige Reiter vor der Brücke und begehren Einlaß; ‘s ist unmöglich, bei dem Wetter sich über den Graben ihnen verständlich zu machen.«

      »So öffnet, lasset den Haushofmeister für sie sorgen und führet sie dann hierher.«

      Klaus drehte sich kurz auf den Fersen und verschwand, um den Auftrag seines Herrn auszuführen. Bald darauf wurde es lebendig im Schloßhofe und im Schlosse selbst, Hunde bellten, Diener liefen hin und her, dazwischen erklang die silberne Pfeife des Fräuleins Ursula. Walburg von Spiegelberg steckte