Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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Mit ihm ist auch der junge Mönch gekommen, jener mit den feurigen Augen, der so bleich ist. Ich fürchte mich erschrecklich vor seinen Augen, und himmelangst ward mir zumute, wie ich merkte, daß sie immerfort auf mich gerichtet sind. Wie die beiden das nächste Mal in ihrem Kahn herüberkamen, lief ich fort und versteckte mich, bis sie wieder gegangen waren, und solches war gewiß recht töricht; der Vater hat mich auch schön ausgescholten, daß ich nicht zur Hand war.

      Ich bin immer in heimlicher Angst, wie ich schreibe, und denk alle Augenblicke, der Vater schaut mir über die Schulter und sieht, was ich mache und wie lieb ich den Klaus habe. Ich glaube, es ist sehr unrecht, daß ich an Dich schreibe; aber ich tue doch nichts Böses, wenn ich es tue – nicht wahr? Ich muß schließen; denn ich halt es nicht aus vor übergroßer Angst, daß der Vater mich ertappt. Bleib mir treu, wie ich Dir treu bleibe! Vergiß nicht, vergiß niemalen

      Deine Monika.

      Nachschrift: Behüt Dich Gott!

      Nachschrift: Um Gottes willen keinen Krieg!! Bedenk, daß Du auch totgeschossen werden könntest wie mein Bruder Johannes. Ach, der Krieg muß etwas Schreckliches sein, und wenn Du umkämest, Klaus, so müßte ich auch sterben.

      Nachschrift: Nochmals viel tausendmal Lebewohl, lieber, lieber Klaus! Schreib mir recht bald wieder und zieh nicht in den Krieg! Behalte ewiglich lieb

      Deine Monika Fichtnerin.

       Holzminden, am 1en des Erntemonats,

       als alle Leute hofften, es käme ein Gewitter.

       Es kam aber keins.« –

      Dieses Schreiben war mit des Vaters rotem Siegelwachs fast unauflöslich verklebt; in Ermangelung eines Petschafts war jedoch nur die Spitze eines Fingerhuts darauf gedrückt. Da dieser Fingerhut aber sehr klein war und gewöhnlich an dem niedlichen Mittelfinger der Geliebten steckte, so konnte und durfte den Klaus Eckenbrecher kein einziges der hunderttausend kaiserlichen, fürstlichen, hochadeligen und adeligen Wappen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation mehr erfreuen, und es ergreift auch der Erzähler dieser Historie die günstige Gelegenheit und versichert, daß er Briefe, die auf solche Weise durch Fingerhüte verpicht und versiegelt sind, viel lieber annimmt als andere mit künstlicheren, aber auch unliebenswürdigeren Siegeln.

      Der Geiger Kaspar Wicht war noch mitten im Abschiednehmen und eifrigsten Versicherungen der Treue und Zuverlässigkeit begriffen, als Ehrn Valentin Fichtner durch sein Erscheinen die Verhandlungen zu einem Ende brachte. Der Pastor hatte den Lohn seiner Geduld empfangen, der lang verfolgte Troglodyt war erledigt. Zwischen dem Töchterlein und dem fahrenden Mann erschien der Pastor, den Spaten in der rechten Hand und den erschlagenen schwarzen, weichpelzigen Gartenverwüster in der linken.

      »Mit wem schwatzest du da, Monika? Ei, ist der Vagabundus, der Lappenhäuser schon wieder da? Eheu, was für ein Leiden das ist! Hast du ihm einen Heller verabreicht, Mägdelein?«

      »Ja, mein Vater«, sagte schüchtern Monika.

      »Gut, so halte dich nicht auf, laß den Mann seines Weges gehen und komm mit ins Haus, wir wollen den Abendsegen beten und um Regen bitten; aber alle unsere Bitten wollen wir in den Herrn stellen. Da schau, Monika, den schwarzen Burschen, welcher mir soviel Mühe gemacht hat. Gehet mit Gott, Fiedler, und nehmet meinen Rat an, lasset vom Herumtreiben und haltet Euch an eine ehrliche Arbeit!«

      »Das tu ich lang, Herr Pastore.«

      »So?! Ei! Und was treibet Ihr, wenn man fragen darf, was treibet Ihr außer Eurem nichtsnutzigen Geigenspiel?«

      »Briefe trag ich im Land umher! Gute Nacht, Ehrwürden!« rief der Geiger und sprang trotz seinem hohen Alter in weiten Sätzen gegen die Weser hinunter.

      »So, so! Ei, ei!« murmelte der Pastor. »Komm, Monika!« Vater und Kind traten in das Haus, und der Alte schloß sogleich die Tür. –

      Fast die ganze Nacht hindurch schritt der Fiedler stromabwärts auf dem Schifferpfade neben dem Flusse hin. Die Bauern vernahmen, aus dem Schlaf erwachend, sein Saitenspiel, wunderten sich und drehten sich auf dem Stroh auf die andere Seite, um weiterzuschnarchen.

      Erst um Mitternacht machte der alte, rüstige, wandernde Spielmann halt. Auf einen Stein mitten im Flußbett, der sonst hoch vom Wasser bedeckt war, saß er nieder, kaute an einer Brodrinde und hörte dem leise zu seinen Füßen dahinkriechenden Wasser zu. Als er seine kärgliche Mahlzeit zu Ende gebracht hatte, strich er einige Male über die Fiedel, ließ dann den Bogen sinken und sang:

      »Nun stecke ich fest in dem Sumpfe hier,

       Und um mich zuckt es und flimmert’s;

       Es krabbelt und kribbelt das Sumpfgetier,

       Doch goldig leuchtet’s und schimmert’s.

      Viel glänzende Flammen um mich her

       Viel seltsamen Reigen schlingen,

       Und fern in der Schenke der Brummbaß brummt,

       Und Geigen und Hörner erklingen.

      Ja, fern in der Waldschenk Tanzmusik! –

       Es fehlt nur die eine Geigen;

       Sie merken’s nicht, und sie achten’s nicht,

       Und lustig und wild schweift der Reigen!

      Rings um mich ist Nacht, es schwand der Mond;

       Wo sind nur die Sterne geblieben?

       O du Irrlichtervolk, das im Sumpfe wohnt,

       Sag, was hast du mit mir getrieben?

      Ja, fern in der Schenke zum blutigen Herz,

       In dem nächtlich dunkelen Walde,

       Da tanzet mein Lieb und treibet Scherz,

       Ach weh, sie vergaß mich gar balde!

      O du Irrlichtervolk, das im Sumpfe wohnt,

       Tanz du nun nach meiner Geigen!

       O ihr Kröten, ihr Unken, so viel ihr mich hört,

       Kommt alle, ich spiel euch zum Reigen!«

      Als der Wichtelkaspar dieses Lied beendet hatte, seufzte er schwer und saß noch eine ganze Zeit in tiefem Grübeln da und streichelte den Kopf seines Hundes. Dann aber sprang er jählings auf und schüttelte sich:

      »Ach, törichter, alter Knabe, das Vergangene ist vergangen und bleibt vergangen; verdorben bin ich, verdorben bleib ich, und der grüne Ast ist lang’ zusammengebrochen unter mir – plumps – juchhe! Juchhe! Vivat das Wandern und der ewige blaue Montag!

      Vivat! Vivat Kaspar Wicht –

       Der Wind geht über die Heide,

       Das ist mir nicht zum Leide!

       Es geht der Wind gelinde,

       Ich fahre mit dem Winde! juchhe!«

      Nach diesem tollen Ausbruch warf er den Bettelsack wieder auf die Schulter, nahm die Fiedel unter den Arm und schlug einen kleinen Trab an, wobei er die nächste Stunde durch ununterbrochen vor sich hinmurmelte:

      »Immer der Nase nach! Immer der Nase nach! Immer der Nase nach!«

      So zog der fahrende Spielmann Kaspar Wicht gen Pyrmont mit dem Brieflein der holden Monika Fichtner. So ward Herr Leonhard von Taxis abermals in seinen Gerechtsamen beeinträchtigt! –

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      schließt den ersten Teil der Geschichte vom heiligen Born.

      Der Lizentiat Herr Hermann Hamelmann in seinem Traktat von der Hölle, ihren Namen und ihrer Pein, von den Segen, Wicker und Kristallen Teuffel, das ist von den Nachweisern, Schwarzkünstlern, Teuffelsbeschwörern, Kristallensehern und dergleichen, schreibt wütend und außer sich, pagina 98:

      »Ich kann mich nicht enthalten und muß sagen von der