Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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läßt, funkelte in dem Auge Faustas; doch Cesare, welcher, als die Zauberin aus dem Dunkel vortrat, auch zusammengefahren war und mit Mühe einen verwunderten Aufschrei unterdrückt hatte, erwiderte nur durch ein kaum merkliches Neigen des Hauptes diesen fragenden, zornigen, erschreckten, verwunderten Blick: »Später!«

      Kein einziger der Tischgesellschaft hatte das Mienenspiel der beiden belauscht; kein einziger, selbst nicht Graf Philipp von Spiegelberg, hatte eine Ahnung von diesem seltsam unerwarteten Wiederfinden, welches soeben stattgefunden hatte.

      Der Hauskaplan begann und endete sein gewohntes Tischgebet. Der Mundschenk füllte den Becher von Spiegelberg und reichte ihn mit tiefer Reverenz seinem Herrn, dieser reichte ihn wiederum seiner ältesten Schwester, welche sich von ihrem Sessel erhob, den Rand des alten, künstlichen Pokales mit den Lippen berührte und, gegen die beiden Gäste gewendet, sprach:

      »Willkommen, Ihr Herren, auf dem Schloß Pyrmont!«

      Hierauf ging der Becher von einer Hand zur andern, von einem Mund zum andern um die ganze Tafel, bis er wieder an den Hausherrn zurückgelangte, welcher ihn mit einer gewissen ehrerbietigen Vorsicht in die Hände des Kellermeisters zurückgab. Auf einen Wink des haushofmeisterlichen Stabes hoben die aufwartenden Diener die Deckel von den Schüsseln – die Abendmahlzeit hatte begonnen.

      Der Sturmwind, welcher draußen mit ungebrochener Kraft fortwütete, gab den Wirten Gelegenheit, die Ankömmlinge über die Zufälle und Beschwerden ihrer Reise zu befragen und sie zu bedauern; die freundlichen Gesichter der Wirte, das flackernde Kaminfeuer, der Braten und der gute Wein gaben dagegen den Gästen Gelegenheit, sich glücklich zu preisen und ihre Danksagungen auszusprechen. Sowohl der Wrisberger als auch der Ritter Cesare Campolani taten das, aber ein jeder auf eine andere Art.

      Dann hüpfte das Gespräch, – wie es zu geschehen pflegt, von einem Gegenstand zum andern, verweilte an dieser Stelle länger, an jener kürzer, rief jetzt ein Lächeln auf einem oder mehreren Gesichtern hervor, dann gleich darauf ein leichtes Stirnrunzeln und Zusammenziehen der Augenbrauen. Die Gabe, die Damen erröten zu machen, besaß der Wrisberger im hohen Grade und verfehlte nicht, sie in Anwendung zu bringen, wie man es Christof von Wrisberg überhaupt nicht nachsagen konnte, daß er seine guten und schlechten Eigenschaften gleich dem Licht im Evangelium unter den Scheffel stelle.

      Man trieb auch in jener Zeit schon Politik und Kannegießerei, und da der Ritter Campolani aus Paris kam, so wußte er viel zu erzählen von dem König Heinrich dem Zweiten, der jungen Königin Katharina von Medici und der schönen Herzogin von Valentinois, Diana von Poitiers. Mit großer Lebendigkeit beschrieb er das Leben am französischen Hofe, ohne jedoch mitzuteilen, was ihn zu solch böser Jahreszeit nach Deutschland geführt hatte. Dagegen erzählte er weitläufig von den Gefahren, welche ihn bei seinem Durchzug durch die flandrischen Provinzen, wo die Spanier bis an die Zähne gerüstet standen, bedrohten. Ein unterhaltsamer Mann war Don Cesare Campolani ohne Zweifel.

      Anders wie der Welsche gebärdete sich Christof von Wrisberg, wo jener flüsterte, schrie dieser seine Meinung laut hinaus, wo jener lächelte, lachte dieser, daß die Kannen, Krüge und Schüsseln auf dem Tisch erschütterten. Abenteuerliche Geschichten erzählte Christof von Wrisberg, unendliche Fluten von Getränken aller Art vertilgte er. Die Mühseligkeiten des Weges schienen auf seine eiserne Natur nicht den mindesten Einfluß gehabt zu haben, außer daß sie seinen Hunger und Durst auf das fabelhafteste in die Höhe schroben. Munter und schlau blinzelte er umher und verzog den breiten Mund zu einem ungeheuerlichen Grinsen jedesmal, wenn die jungen Damen auf ein seltsames Wort von ihm ihren Frauen einen wichtigen Auftrag gaben, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

      Erst spät in der Nacht wurde die Tafel aufgehoben, und die Gäste zogen sich in ihre Gemächer zurück.

      »Bei meinem Bart, erst ein Uhr – Cam – Camplan – die – die Welt verschlimmbessert sich von Tag – N – N – Nacht zu Nacht! Nacht, Don Ces-s-sare!« lallte Christof von Wrisberg, der sich ein wenig schwerfällig auf den Arm eines Knechtes stützte.

      »Gute Nacht, Herr Ritter! Ich wünsche Euch einen guten Schlaf auf die Anstrengungen des Tages.«

      »Anstrengungen? Ho ho, Dummheit! Na, ich will Euch nicht aufhalten, Ihr – Ihr sscheint mir nicht so recht fest auf den Füßen zu – zu stehen.« –

      Eine halbe Stunde noch vernahm man einen rauhen, höchst unmelodischen Gesang aus dem Zimmer des Wrisbergers, und dieses Geheul schwieg nur, um in ein fast ebenso wohltönendes Schnarchen überzugehen. Dann verklang ein Lebenslaut nach dem andern im Schloß Pyrmont, eine Lampe nach der andern erlosch, bis endlich nur noch die brannte, welche das Gemach des italienischen Herrn erleuchtete.

      Nach Mitternacht hatte sich der Sturm ein wenig gelegt, wenngleich ein dumpfes Murren in der Ferne andeutete, daß seine Wut noch lange nicht erschöpft sei. Es hatte aufgehört zu schneien, und ein schwaches, verschleiertes Mondlicht fiel von Zeit zu Zeit durch die zerrissenen, jagenden Wolken auf die geisterhafte, weiße Landschaft.

      Don Cesare hatte sich nicht gleich niedergelegt. Nachdem man ihn allein gelassen, war jedes Zeichen von Ermüdung aus seinem Gesicht und seiner Haltung verschwunden. Solange noch Leben im Schlosse herrschte, war er auf und ab geschritten, nachdem aber jeder Laut, jeder Schritt verstummt war, hatte er sich an das Fenster gestellt und blickte mit übereinandergeschlagenen Armen in die deutsche Winternacht hinaus.

      Jeglicher Schimmer der sorglosen Heiterkeit, welche während des Nachtmahles Hauptausdruck der Gesichtszüge des Ritters gewesen war, war verschwunden. Die rechte Hand lag an der gedankenvollen Stirn, finster hatten sich die dunkeln Brauen zusammengezogen: wie der Lichtschein der Lampe sich in der Finsternis der Nacht verlor, so verlor sich die Seele des Mannes in der Dunkelheit der vergangenen Zeiten.

      Wie kam sie hieher?

      Was wollte sie hier?

      Seltsames Verhängnis!

      Rätselhaftes Spiel des Schicksals!

      Der italische Mann hatte einen so langen, mühsamen, gefährlichen Weg zurückgelegt durch den Nordsturm, durch die endlosen Wälder, in denen jeder Pfad verschneit und verweht war: das Wunder aber, daß er die Fausta – die Fausta La Tedesca nach so langem Vergessen in diesem abgelegenen Schlosse wiedertreffen mußte, das Wunder, man konnte sagen der Schrecken, verscheuchte jeden Gedanken an Ruhe und Schlaf.

      »Ich komme! Erwarte mich!« hatte sie dem Ritter zugeflüstert, und er wartete. Seine Diener hatten sein Gepäck in dem Gemache zurechtgestellt; er selbst legte nun ein geladenes, kurzes Feuerrohr auf den Tisch, das Schwert gürtete er nicht ab. Don Cesare Campolani wußte, daß der Zorn Faustas tödlich sei; er wußte auch, daß er diesen Zorn auf sein Haupt geladen hatte. Leise öffnete er von Zeit zu Zeit die Tür und blickte hinaus in den langen, engen Gang, in welchen durch enge, schießschartenartige Öffnungen ein zweifelhaftes Licht fiel. Ein geheimes Grauen überkam ihn bei dem Gedanken, daß sie plötzlich vor ihm stehen könnte – er fürchtete, von ihr überrascht zu werden; trotzdem daß er wußte, er handle feig, konnte er nicht umhin, immer wieder von neuem nach ihr auszuschauen.

      Wie kam sie hieher?

      Gegen zwei Uhr brach der Sturm mit verdoppelter Macht abermals los; die Wetterfahnen auf den Türmen wurden wild herumgerissen und knirschten und kreischten – die Flamme der Lampe auf dem Tische Cesares wurde seitwärts getrieben durch den Wind, vor dem die Fensterscheiben erzitterten; krachend brachen die Äste der Bäume unter den Fenstern, und Fausta La Tedesca überraschte doch den italischen Ritter!

      In dem Tosen der Elemente ging der kaum hörbare Schritt auf dem Gange, das leise Rauschen an den Wänden dem Ohr Don Cesares verloren; auf und zusammen fuhr er erst, als seine Tür sich geöffnet und wieder geschlossen hatte, als die Erwartete vor ihm stand, wie er es gefürchtet hatte.

      »Fausta!«

      »Cesare!«

      »Bist du es in Wahrheit, Cesare Campolani, oder ist’s ein Nachtgesicht, welches mich äfft?«

      Der Ritter versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm schlecht. »Ich bin es wirklich«, sagte er. »Ich bin’s in Fleisch und Blut und wahrlich verwundert, Euch hier zu finden!«