Der Sinn und Wert des Lebens. Rudolf Eucken. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Eucken
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113995
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gewachsen; sie befreit nicht genügend von innerer Leere, und sie erleidet leicht dadurch Schaden an ihrer Wahrhaftigkeit, daß sie oft weniger aus einer Notwendigkeit eigenen Verlangens als der sozialen Umgebung halber gesucht wird. Alles in allem erscheint die Bildung mehr als ein Leben aus zweiter Hand, ein solches aber kann schwer den Angriffen Widerstand leisten, welche der Grundbehauptung erwachsen.

      Der Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts hat diese Angriffe mächtig anschwellen lassen. Zunächst wirkt die Erschütterung der Religion auch zu einer Schwächung des weltlichen Idealismus. Denn seine Überzeugung von einer Tiefe des Alls und von dem Walten eines unsichtbaren Ganzen hat die Menschheit meist nur im Anschluß an eine religiöse Überzeugung gewonnen, nur eine solche machte den Bruch mit der sichtbaren Welt auch dem Einzelnen zur zwingenden Notwendigkeit, und die Veredlung, welche jener Idealismus an der Welt vollzieht, ist kaum denkbar ohne das verklärende Licht, das die Überwelt der Religion auf diese wirft; je mehr die Zurückdrängung der Religion dieses Licht verblassen läßt, desto mehr verliert auch jener seine leitende Stellung im Leben, wird er aus dessen Mittelpunkte an die Außenseite gedrängt. Sodann aber hat die neueste Zeit der sichtbaren Welt eine Selbständigkeit gegeben, welche sie nie zuvor für uns hatte; immer energischer hat die wissenschaftliche Arbeit aus ihr alles Seelenleben vertrieben, dafür aber ein neues Reich reiner Tatsächlichkeit eröffnet und aus ihm eine überströmende Fülle neuer Aufgaben abgeleitet, deren Lösung das menschliche Wohlsein aufs erheblichste zu steigern verspricht. Zugleich hat die Forschung die Besonderheit und Gebundenheit des menschlichen Lebens und Strebens aufs stärkste hervorgekehrt, es scheint ihr in enge Schranken gebannt und dadurch gänzlich verhindert, jene Welt starrer Tatsächlichkeit sich innerlich anzueignen und ihre Unermeßlichkeit als ein Ganzes zu erleben; sie wird bei aller äußeren Annäherung unserer Seele immer fremder. Kann ein solcher Gedankengang im Menschen den Vollender des Weltalls sehen? Aber mehr als alles das widersprechen dem weltlichen Idealismus im modernen Leben die Erfahrungen innerhalb der Menschheit selbst. Es erschien hier so viel wilde Leidenschaft und unbegrenzte Selbstsucht, so viel Kleinheit der Gesinnung, so viel moralische Unlauterkeit, so viel Mangel an geistiger Größe und an Kraft der Persönlichkeit, es stellte sich das menschliche Dasein so sehr als ein wirres Chaos dar, daß alle Hoffnung verflog, in ihm ein Reich der Vernunft entdecken oder es in ein solches verwandeln zu können. Wie vermöchte sich aber bei solcher Lage geistiges Schaffen und edle Bildung als der Kern des Lebens zu behaupten? Auch der gegenwärtige Krieg muß den Eindruck ihrer Ohnmacht über die menschliche Seele verstärken. Wäre eine gemeinsame Vernunft die Grundkraft menschlichen Lebens, so müßte sie die Menschheit zusammenhalten und einen etwaigen Zwiespalt rasch überwinden, sie müßte allem Rohen und Gemeinen siegreich widerstehen, das an einzelnen Stellen erscheinen möchte. Deutlich genug aber sehen wir, daß das keineswegs geschieht. Was hilft uns dann aber jene Geisteskultur mit ihrer gepriesenen Bildung? Ist sie nicht bloß ein gefälliger Schein, mit dem sich das menschliche Leben umkleidet, um seine nackte Gestalt zu verhüllen? Und lohnt es sich dann, so viel Muße und Arbeit an diesen Schein zu verwenden? So ist es kaum zu verhüten, daß viel Geringschätzung dieses weltlichen Idealismus aufkommt und um sich greift. Und doch haben wir uns zu hüten, solcher Stimmung nachzugeben und die Güter geringzuschätzen, die er mit Behauptung und Leistung vertritt. Denn sie berühren keineswegs die bloße Oberfläche des Lebens, sie wirken weit über die Stimmung und Neigung der Individuen hinaus zu seiner Durchbildung von innen her, sie haben eine Klärung, Vertiefung, Veredlung an ihm vollzogen, deren Preisgebung uns in den Stand der Barbarei zurückschleudern würde; mag einer besonderen Zeit unter besonderen Geschicken sich ihr Bild verzerren, sie hören darum nicht auf, im Grunde des Lebens tätig zu sein und mehr aus dem Menschen zu machen, als sein eigenes Bewußtsein ihm zeigt. Das Reich der geistigen Güter verbleibt, auch wenn sich dem Menschen der Zugang zu ihm durch manche Hemmung zeitweilig versperrt. Immerhin verbleibt solche Hemmung und will vollauf gewürdigt sein; die führende Stellung des weltlichen Idealismus wird jedenfalls durch die Erfahrungen der Gegenwart schwer erschüttert. Und zugleich machen sie zweifelhaft, wieviel wir an ihm überhaupt besitzen, und wo sein Recht innerhalb eines weiteren Lebensganzen liegt. So verwandelt sich uns auch hier in eine unsichere Frage, was früheren Zeiten eine zuversichtliche Antwort gab.

       Inhaltsverzeichnis

      Die gemeinsame Grundlage.

      »Er