Kemet. Melanie Vogltanz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melanie Vogltanz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783945045657
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Ich wirbelte herum. Was denn jetzt?

      Aus den Schatten trat niemand Geringeres als Seth. Mit einem spöttischen Lächeln erwiderte er meinen verblüfften Blick.

      »Das ist ja fantastisch gelaufen«, bemerkte er.

      »Verschwinde.«

      Seth hob beide Hände. »Oh, wer wird denn gleich ausfällig werden? Wir sitzen doch beide im selben Boot.« Er sah kurz auf die Kloake hinab, die seine Knie umspielte, und fügte hinzu: »Oder stecken in derselben Scheiße, wie man heute sagen würde.«

      Ich verdrehte die Augen. Humor hatte er ja, das musste man ihm lassen.

      »Was willst du?«

      Seth fuchtelte mit der Hand, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. »Freiheit. Ruhm. Rache. Aber vor allem: meine Ruhe.«

      Ich zog skeptisch die Augenbrauen nach oben. »Soll heißen?«

      »Ich will die anderen loswerden.«

      »Und wie genau stellst du dir das vor?«

      Seth seufzte. »Ich habe Osiris schon einmal in Stücke gerissen. Sag, warum hast du ihn noch gleich wieder zusammengesetzt? Es will mir auch nach all den Jahrtausenden einfach nicht einleuchten.«

      Ich ignorierte seine Stichelei und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. »Verstehe ich das richtig – du willst mir dabei helfen, sie aufzuhalten?«

      »Verrückt, nicht wahr?« Seth zwinkerte mir zu.

      »Mehr als das.«

      Im Stillen musste ich mir eingestehen, dass ich es ohne ihn nicht schaffen würde. Seine magischen Fähigkeiten waren meinen nicht unähnlich. Wie ich beherrschte er die Winde, doch wo ich einen Sturm heraufbeschwor, konnte er ganze Städte aus der Erde reißen. Und das alles mit nur einem gelangweilten Wink seiner Hand.

      Ich wusste, dass Seth aus purem Egoismus handelte – so war es schon immer gewesen. Aber es war besser, wenn er seine Magie an meiner Seite einsetzte, anstatt gegen mich.

      »Nun denn«, sagte ich entschlossen. »Lass uns ein paar Götter jagen.«

      ***

      Das Donnern war schon von Weitem zu hören. Irgendwo brachen steinerne Gebäude in sich zusammen und es dauerte nicht lange, bis Schreie das Lied des Chaos begleiteten. Das konnte nur eines bedeuten: Osiris und seine Marionetten hatten ihre Kräfte entfesselt und auf die Stadt losgelassen.

      Ich fluchte. »Wir sind zu spät!«

      »Komm mal runter«, spottete Seth. »Jetzt geht es doch erst richtig los!«

      »Findest du das etwa amüsant?«

      »Ein wenig schon«, gab Seth ungeniert zu, dann begegnete er meinem vernichtenden Blick und seufzte theatralisch. »Ach, komm schon. Diese ganze Situation ist absurd.«

      Ja, das war sie. Ich ließ es unkommentiert.

      Wir eilten in Richtung Innenstadt. Ich hätte den Rest des Weges gerne in Schweigen zurückgelegt, doch Seth machte mir einen Strich durch die Rechnung. Wie so oft schon.

      »Sag mal, was kümmert es dich eigentlich, was mit den Menschen geschieht?«

      Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu ignorieren, wusste aber, dass er nicht locker lassen würde. »Ich bin derjenige, der sie damals auf die andere Seite bringen musste. Und glaub mir, ich habe genug vom Tod gesehen. Ich würde es gerne wie die Menschen machen und einfach … kündigen.«

      Seth brach in schallendes Gelächter aus.

      Noch bevor wir den Luisenplatz erreichten, kamen uns panische Menschen entgegen, die laut aufschrien, als sie uns sahen. Aus den Augenwinkeln betrachtete ich Seth und konnte es ihnen nicht verübeln.

      »Auf geht’s!«, rief Seth und rannte voraus.

      Ich folgte ihm und wäre hinter der nächsten Ecke beinahe mit ihm zusammengestoßen, so plötzlich war er stehen geblieben. Dann sah ich, warum.

      Das Ludwigsmonument lag in Schutt und Asche. Rote Sandsteinbrocken verteilten sich über den weitläufigen Platz wie Geschwüre, die sich aus den Katakomben der Stadt erhoben. Und zwischen ihnen gingen Osiris, Isis, Bastet und Cherti umher. In ihren Augen glomm das Versprechen, alles und jeden zu vernichten, der ihnen in die Quere kam. Glücklicherweise war der Platz mittlerweile menschenleer.

      »Warum tun sie das?«, murmelte ich. »Ich dachte, sie wollten zum Isis-Tempel.«

      »Sie sind größenwahnsinnig, das weißt du doch.« Seth schien die ganze Sache eher nüchtern zu betrachten. »Vorhin habe ich Osiris bei seinen Plänen belauscht, hier eine Pyramide zu bauen.«

      »Hier?«

      Die Statue des Langen Lui blickte trauernd aus den Trümmern empor und ich konnte nur den Kopf schütteln.

      »Lass uns diesem Schwachsinn endlich ein Ende bereiten.«

      Seth grinste. »Das wollte ich hören.«

      Er stieß beide Hände nach vorne und ein Orkan brach zwischen seinen Armen hervor. Steine, Dreck und aufgeschreckte Tauben wirbelten durch die Luft, als der magische Wind auf die Götter zustürmte. Auch ich horchte in mich hinein und lockte die Magie mit geflüsterten Worten aus ihrem Versteck hervor. Innerhalb von Sekunden verdunkelte sich der Himmel und Donner grollte über uns. Ich riss einen Arm nach oben und ließ ihn ebenso ruckartig wieder niedersausen. Im selben Moment krachte ein gleißend heller Blitz auf die Erde. Cherti konnte gerade noch ausweichen, aber ich sah, dass sein Fell schwelte.

      »Volltreffer«, meinte Seth und einen Augenblick später erkannte ich, wieso. Chertis Ausweichmanöver hatte ihn genau in den Orkan hineinkatapultiert. Hilflos wurde er einige Meter über dem Boden durch die Luft geschleudert. Ich wollte mir nicht vorstellen, welche Kräfte an ihm zerrten – sie waren immerhin stark genug, um vereinzelte Kopfsteine aus dem Boden zu reißen.

      Plötzlich raste eine Feuersäule auf uns zu. Osiris stand mit weit ausgebreiteten Armen auf den übrig gebliebenen Stufen des Ludwigmonuments und fixierte uns mit seinem manischen Blick. Die Flammen knackten und knisterten, während die Feuerzungen gierig nach uns leckten. Seth und ich hechteten beiseite. Ich konnte noch spüren, wie sich meine Nackenhaare in der Hitze kräuselten. Die Feuersäule änderte schlagartig ihre Richtung und folgte uns.

      Schluss damit.

      »Los, pusten wir die Kerze aus«, brüllte ich über das Tosen der Feuersäule hinweg und legte meine Hände trichterförmig an die Schnauze. Seth starrte mich kurz an, als hätte er nicht geglaubt, dass ich das wörtlich meinte. Ich öffnete das Maul weit und spürte, wie ein Wirbelwind aus den Tiefen meiner Seele aufstieg und als Naturgewalt in die Welt hinausbrach. Neben mir öffnete Seth die Arme und beschwor stürmische Böen herauf, die an unseren Haaren zerrten. Wind und Feuer trafen aufeinander.

      Osiris schrie wutentbrannt auf. Er musste ausweichen, als der Sturm seine Feuersäule zurückdrängte und einen Funkenregen auf ihn niedergehen ließ. Kurz darauf hatte sich das Feuer im Wind verflüchtigt und verwandelte sich in Rauch und Ruß.

      Eine schwarze Katze huschte über den Platz und verkroch sich unter einer der Holzbänke. Bastet, dieses feige Fellknäuel. Wie gut, dass sie abgesehen von ihren Verwandlungskünsten keinerlei magische Fähigkeiten besaß.

      »Vorsicht!«

      Seths Warnung kam in letzter Sekunde – ein Band aus Feuer schlängelte sich über den Boden und drohte mich einzukreisen. Ich sprang außer Reichweite und entdeckte Osiris, der mit schnellen Bewegungen brennende Hieroglyphen in die Luft zeichnete. Die Feuerschlange wechselte den Kurs und hielt auf Seth und mich zu. Mit der flachen Hand stieß ich nach vorne und die Flammen wurden von der Druckwelle zerstreut. Ich hörte Seth hinter mir flüstern und als ich mich herumdrehte, sah ich, dass er die Augen geschlossen hatte und sie unter den Lidern wild hin und her zuckten. Das Donnergrollen über uns wurde lauter und der Himmel verdunkelte sich zunehmend. Isis schlug sich erschrocken eine Hand vor den Mund, während sie nach oben sah, und trat Schutz suchend hinter