Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?. Thomas Röper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Röper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783941956957
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sozialen Spannungen in solchen depressiven Regionen führen unausweichlich zum Anwachsen des Radikalismus und Extremismus, ernähren den Terrorismus und lokale Konflikte. Aber wenn das zudem noch, sagen wir, im Nahen Osten geschieht, wo nach dem Verständnis vieler Menschen die Welt eine ungerechte Welt ist, dann entsteht das Risiko einer globalen Destabilisierung.

      Es ist klar, dass die führenden Länder der Erde die Gefahr sehen müssen. Und dementsprechend ein demokratischeres, gerechteres System der wirtschaftlichen Beziehungen in der Welt schaffen müssen – ein System, das allen die Chance und die Möglichkeit der Entwicklung geben muss.

      Zum Abschluss möchte ich Folgendes bemerken: (…) Wir sehen sehr genau, wie sich die Welt verändert hat, schätzen unsere eigenen Möglichkeiten und unser Potenzial realistisch ein. Und natürlich möchten wir gerne mit verantwortungsvollen und ebenfalls selbstständigen Partnern am Aufbau einer gerechten und demokratischen Welt zusammenarbeiten, in der Sicherheit und Wohlstand nicht nur für Auserwählte, sondern für alle gewährleistet ist.

      Ich habe die Rede bewusst so ausführlich zitiert, weil Putin hier bereits 2007 auf alle die Probleme hingewiesen hat, die noch kommen sollten.

      Er sprach von weiteren Kriegen, und der Westen und seine Verbündeten sind seitdem direkt oder indirekt in viele weitere Kriege gezogen. Libyen und Syrien sind die bekanntesten Beispiele, aber die Bundeswehr ist auch in Mali präsent, wo sie die Franzosen bei einem „Bürgerkrieg“ unterstützt, Saudi-Arabien führt mit Unterstützung der USA einen sehr blutigen Krieg im Jemen, um nur Beispiele zu nennen. Und die meisten dieser Kriege haben eines gemeinsam: Sie finden ohne UN-Mandat statt und sind damit völkerrechtswidrig. Genau vor dieser weiteren Aushöhlung des Völkerrechts hat Putin eindringlich gewarnt.

      Auch vor dem heute klar sichtbaren Vertrauensverlust in Europa durch die Nato-Osterweiterung und die darauf folgende Stationierung von Nato-Soldaten an Russlands Grenzen hat er damals bereits gewarnt. Es war bekanntlich nicht Russland, das seine Soldaten an die Grenzen von Deutschland, Frankreich oder den USA verlegt hat.

      Und als er auch die Wirtschaftspolitik kritisierte, bei der einem Land Wirtschaftshilfen gegeben werden, die aber dann vor Ort westliche „Investoren“ kassieren anstatt regionale Unternehmen, da hat er vor weiterer wirtschaftlicher Destabilisierung der armen Länder gewarnt. Er nannte die Folgen nicht beim Namen, aber heute kennen wir sie: Die Folge sind massive Ströme von Flüchtlingen, die vor Krieg oder vom Westen verursachter Armut und Perspektivlosigkeit nach Europa marschieren.

      Nach dieser Rede gab es eine Diskussionsrunde, in der Teilnehmer Fragen stellen konnten, die Putin mitschrieb und auf die Putin anschließend „in einem Rutsch“ antwortete. Hier wurde er in seiner Kritik an der Politik der USA und des Westens noch deutlicher:

      Ich wurde gefragt, ob unsere Regierung in der Frage der Energiesicherheit verantwortungsvoll handelt und die Energiesicherheit garantieren kann. Natürlich! Mehr noch: Alles, was wir jetzt auf diesem Gebiet tun, hat nur ein Ziel, nämlich mit unseren Kunden und Transitländern langfristige, transparente und marktgerechte Verträge auszuhandeln. Ich erinnere Sie daran, und mir gegenüber sitzt mein Kollege, der ukrainische Präsident Juschenko, der mir widersprechen kann, falls ich die Unwahrheit sage, dass in den letzten 15 Jahren die Energiesicherheit in Europa davon abhing, dass die Ukraine und Russland sich auf Verträge für den Gastransit einigen. Erst im letzten Jahr haben wir nach schwierigen Verhandlungen einen Kompromiss gefunden. Wenn es keine Einigung gegeben hätte, hätte Europa ohne Gas dagestanden.

      Fänden Sie eine solche Situation gut? Ich denke, nein.

      Aus diesem Grund wurde seinerzeit der Bau der Ostseepipeline Nord Stream beschlossen: Um von dieser Gefahr unabhängig zu werden, und deshalb wird derzeit auch Nord Stream 2 gebaut.

      Unsere Einschätzung der Nato-Osterweiterung war eine weitere Frage. Ich habe schon über die Garantien gesprochen, die uns gegeben wurden und die heute nicht eingehalten werden. Finden Sie das etwa normal in der internationalen Politik? Na gut, Gott mit diesen Garantien. Was die Demokratie und die Nato-Ausdehnung angeht: Die Nato ist keine universelle Organisation im Gegensatz zu den Vereinten Nationen, die Nato ist in erster Linie ein militärisch-politischer Block. Und natürlich ist die Sicherstellung der nationalen Sicherheit das Recht eines jeden souveränen Staates. Das bestreiten wir nicht, bitte gern, da haben wir gar nichts dagegen.

      Aber wozu muss man die militärische Infrastruktur an unsere Grenzen heranführen? Kann uns darauf jemand antworten? Steht etwa die Verlegung der militärischen Infrastruktur in irgendeinem Zusammenhang mit den heutigen globalen Gefahren?

      Sprechen wir über die wichtigste Gefahr unserer Zeit. Welche ist das? Für uns, für die USA, für Europa? Es ist der Terrorismus. Braucht man Russland beim Kampf gegen den Terror? Natürlich. Braucht man Indien beim Kampf gegen den Terror? Natürlich. Aber wir haben keine Nato. Und andere Länder auch nicht. Aber effektiv bekämpfen können wir den Terror nur mit vereinten Kräften.

      Darum: Die Verlegung militärischer Infrastruktur und die demokratische Entscheidung einzelner Länder haben nichts miteinander zu tun. Und ich bitte darum, diese Dinge nicht zu verwechseln.

      Nächste Frage: Was wird aus dem Kosovo und Serbien? Das wissen nur die Kosovaren und Serben. Und lassen Sie uns nicht für sie entscheiden. Machen wir aus uns nicht den Herrgott, um für alle Völker alle ihre Probleme zu lösen und für sie alles zu entscheiden. Wir können gemeinsam für sie nur die Bedingungen schaffen und ihnen helfen, ihre Probleme selbst zu lösen. Wir können Lösungen vorschlagen, uns als Garanten von Vereinbarungen anbieten, aber wir können ihnen keine Lösungen aufzwingen. Wenn sich einer der Beteiligten in diesem sehr schwierigen Prozess erniedrigt oder ungerecht behandelt fühlt, dann wird sich das noch Jahrhunderte hinziehen. Wir würden die Situation in eine Sackgasse

      führen.

      Was also ist unsere Position? Unsere Position ist, dass wir uns genau an diese Prinzipien halten. Und wenn wir sehen, dass eine der beteiligten Seiten mit der vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden ist, werden wir diese Lösung nicht unterstützen.

      Ich habe nicht ganz verstanden, was Sie meinten, als Sie nach den Erfahrungen unseres Militärs in Tschetschenien fragten. Also die Erfahrungen sind wenig angenehm, aber wir haben viel Erfahrung gesammelt.

      Wenn Sie die heutige Situation in Tschetschenien interessiert, dann kann ich Ihnen sagen, dass ein Parlament und ein Präsident gewählt sind, dass die Regierung arbeitet und dass die meisten Behörden wieder funktionieren. An der Arbeit in der Republik sind praktisch alle politischen Kräfte Tschetscheniens beteiligt. Als Beispiel kann ich Ihnen sagen, dass im heutigen Parlament der ehemalige Verteidigungsminister der Maskhadov-Regierung

      (ehemalige anti-russische Islamisten-Regierung, Anm. d. Verf.)

      als Abgeordneter sitzt. Und wir haben eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die es ehemaligen Rebellen ermöglichen, nicht nur in ihr normales Leben zurückzukehren, sondern auch in das politische Leben der Republik. Wir ziehen es vor, dort heute politisch und wirtschaftlich zu handeln und haben die Sicherheit wieder fast vollständig in die Hände des tschetschenischen Volkes gelegt. Die Ordnungshüter setzen sich ausschließlich aus Tschetschenen zusammen, aus Menschen, die dort leben.

      Zu der Frage, wie es Russland gelang, Tschetschenien nach dem langen und blutigen Krieg wieder zu befrieden, kommen wir noch im Detail, wenn es um Syrien geht. Nur soviel vorweg: Es gab ein großangelegtes wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm und eine sehr breit angelegte Amnestie, um ehemalige Regierungsgegner dazu zu bringen, ihre Waffen niederzulegen und sich am Wiederaufbau zu beteiligen.

      Nächste Frage: Die USA entwickeln keine strategischen Waffen, aber Russland tut das? Eine hervorragende Frage, dafür bin ich wirklich dankbar. Das gibt mir die Möglichkeit, im Kern die Entwicklungen aufzuzeigen.

      Wem verdanken wir, dass es im Kalten Krieg zwar den Gegensatz zwischen den Supermächten gab, aber es zu keinem Krieg zwischen den Supermächten und politischen Systemen gekommen ist? Wir verdanken das dem Gleichgewicht der Kräfte zwischen den beiden Supermächten. Es gab dieses Gleichgewicht und die Angst vor der gegenseitigen Vernichtung. Und jede Seite fürchtete sich, einen Schritt zu machen, ohne die andere Seite zu informieren. Das war natürlich eine zerbrechliche