Wie sich Putin und seine Politik zwischen den drei Reden von 2001 bis 2015 veränderten
Einige Zeit nach dieser Rede in der UN fragte ein Journalist in einem Interview: „Ihre Position hat sich doch auch sehr verändert. Ich sehe mir die Rede 2001 (im Bundestag) an, dann die Rede 2007 (auf der Münchener Sicherheitskonferenz) und dann 2015 vor der UNO. Diese Veränderung, womit hängt die zusammen?“
Worin sehen Sie eine Veränderung? Ok, alles ist im Fluss, alles verändert sich. Aber worin sehen Sie eine Veränderung?
Journalist: „Ich würde sagen, immer weniger Illusionen, immer weniger Hoffnung auf den Westen, dass er Sie hört. Die konstruktive Rede im Bundestag, wo Sie eine große Zusammenarbeit angeboten haben. Dann 2007, praktisch eine Revolution, als sie (im Westen) nicht verstehen konnten, warum ihnen ein Land, das sie schon nicht mehr auf der Rechnung hatten, plötzlich so deutlich die Meinung sagt. Und natürlich 2015, als Sie gefragt haben, ob sie nun endlich sehen, was sie angerichtet haben. Und auch Sie haben sich verändert.“
So ist das nicht. Sie haben jetzt an meine Bundestagsrede erinnert, das war 2001. Ich war ja vorher schon Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates, war Ministerpräsident gewesen, war schon ein Jahr lang Präsident und vorher auch noch Chef des Geheimdienstes FSB. Also ich hatte sehr viele Informationen. Und ich hatte mir eine Meinung gebildet, was vor sich geht und wohin es sich entwickelt. 2001, als ich im Bundestag sagte, dass wir uns zusammentun sollten, zusammen in die Zukunft gehen, einen gemeinsamen Raum aufbauen, da hörte sich das an, als wären das meine eigenen Ideen und Vorschläge.
Tatsächlich war das nicht meine Idee. 1992 oder 1993 nahm mich der damalige Bürgermeister von St. Petersburg, Sobtschak, mit nach Bonn zu Kanzler Kohl. Und plötzlich bat Kohl alle Teilnehmer, den Raum zu verlassen, auch die Dolmetscher, und dann habe ich übersetzt. Und da habe ich das zum ersten Mal gehört, von Kohl, von dem Kanzler, der noch in seinem Bungalow in Bonn war und nicht in Berlin. Und er sagte plötzlich: „Ich sehe Europas Zukunft nicht ohne Russland.“
Für mich, als ehemaligen Offizier der Auslandsaufklärung, war das völlig unerwartet. Aber ich fand es sehr interessant. Und er begann sehr überzeugt zu erzählen, warum er das meinte. Er sagte, auf der Welt entstehen neue mächtige Giganten, neue Machtzentren in Asien. Er sagte, die USA würden sich mit der Zeit mehr und mehr um ihre eigenen Interessen kümmern und um den amerikanischen Kontinent. Übrigens passiert ja jetzt genau das (Putin lacht). Genauso, wie Kohl es 1992 gesagt hat, so passiert es jetzt.
Kohl sagte: „Damit Europa als Zivilisation erhalten bleibt, müssen wir uns mit Russland zusammentun. Mit seiner Größe, seinen unendlichen Reichtümern und seiner uns kulturell so verwandten Bevölkerung, mit seiner Wissenschaft und seiner militärischen Macht. Wenn wir all das zusammen tun, dann bleibt Europa ein Machtzentrum in der Welt.“
So hat er das damals gesagt. Ich habe das nur umformuliert und im Bundestag gesagt. Ich konnte da ja schlecht ihn als Urheber nennen, aber ich habe diese Position seitdem geteilt und ich teile sie auch heute.
Aber leider ist es so nicht gekommen. Was habe ich in München 2007 gesagt? Ein Land, die USA, wollen nun ihr eigenes Recht auch außerhalb ihres Territoriums anwenden. Das wird aber niemand freiwillig zulassen.
Das habe ich 2007 gesagt. Und einige europäische Spitzenpolitiker, mögen sie noch lange gesund bleiben, manche sind ja sogar noch in der Politik, kamen danach zu mir und fragten: „Warum hast du das jetzt so hart formuliert?“ Und ich fragte zurück: „Bist du etwa nicht meiner Meinung?“ Da haben sie betreten zu Boden geblickt und nichts mehr gesagt.
Wie Putins Ideen mit den Interessen der USA kollidieren
Wenn man Putin zuhört, dann stellt man fest, dass er stets von einem Zusammengehen von Russland und Europa spricht, aber man hört auch Skepsis, ob dies gelingen wird.
Was ist der Grund für die Skepsis? Dies kann man sehen, wenn man den großen Geostrategen der USA zuhört. Es sind dies oft in Europa weitgehend unbekannte Menschen, die aber in den USA eine wichtige Rolle spielen. Da ist zunächst Zbigniew Brzezinski, ein Mann, der unter Präsident Carter Nationaler Sicherheitsberater war und danach bis zu seinem Tod 2017 jeden Präsidenten beraten hat. Er hat schon 1998 ein Buch mit dem Titel „The Great Chessboard“ (auf Deutsch „Die einzige Weltmacht“) geschrieben, in dem er darlegte, dass die USA, wenn sie einzige Weltmacht bleiben wollen, den eurasischen Kontinent beherrschen müssten.
Da sie nicht alle Länder zwischen Atlantik und Pazifik besetzen können, stellte er sich ein System aus internationalen Verträgen und Organisationen vor, die jeweils von den USA dominiert werden und die anderen Länder so an die USA binden. Er nahm im Grunde die altbekannt Strategie des „Teilen und Herrschen“ auf, die schon das Römische Reich in der Antike genutzt hat. Das bedeutet, dass man auch einzelne Länder in Konflikte miteinander treiben kann, die sich dann gegenseitig schwächen, anstatt die Macht der USA zu schwächen.
Wie einflussreich sein Buch auf die internationale Politik war und ist, das sieht man an seinen Gedanken zur Ukraine, die für ihn ein strategischer Schlüsselstaat ist. Wichtig war für ihn, die Ukraine dauerhaft von Russland zu trennen, da dies erstens Russland schwächen würde und zweitens auch einen Keil zwischen Europa und Russland treiben würde, eben das Prinzip „teile und herrsche“. Er sprach ganz offen davon, dass die USA Russland schwächen müssten, und auch eine Schwächung der mit den USA verbündeten Europäer sah er als erstrebenswert an.
Ein Zusammengehen von Europa und Russland ist für die Vordenker der Geopolitik in Washington der größte Alptraum, denn auch die USA sehen es so, dass diese Allianz tatsächlich zu einem internationalen Machtzentrum würde. Und eine solche Schwächung der eigenen Position können die USA um keinen Preis zulassen, wenn sie ihre Rolle als einzige Weltmacht auf Dauer erhalten wollen.
Ein weiteres Beispiel ist George Friedmann, seines Zeichens ebenfalls ein Geostratege. Er sagte in einer Pressekonferenz 2015, dass die USA seit über hundert Jahren vor allem ein Interesse verfolgen, nämlich eine Allianz zwischen Deutschland und Russland zu verhindern, da Russlands Ressourcen und Deutschlands Know-How vereinigt die größte Gefahr für die weltweite Vorherrschaft der USA darstelle.
Die Liste derartiger Aussagen in Washington ist lang, dies ist also keine Verschwörungstheorie, sondern das sind die Aussagen derer, die als Berater die US-Außenpolitik bestimmen.
Man kann sich also vorstellen, dass manch einer dieser Vordenker schlaflose Nächte bekam, als in Russland ein junger Präsident an die Macht kam, der auch noch eine Vorliebe für Deutschland hatte und mit seinen Deutschkenntnissen Sympathien in Deutschland hätte sammeln können. Und als dieser Präsident dann auch noch im Bundestag sagte, er verstehe, dass die USA ein wichtiger Partner seien, aber man sollte auch mal über ein Zusammengehen von Europa und Russland nachdenken, da spätestens müssen in Washington alle Alarmglocken geläutet haben.
Und als sich zwei Jahre später ausgerechnet Deutschland, Frankreich und Russland gemeinsam gegen den Irakkrieg stellten, fand man das in Washington gar nicht lustig. Aus Sicht der USA war es also ein Riesenglück, dass Chirac und Schröder einige Jahre später ihre Ämter verloren und durch USA-treuere Kandidaten ersetzt wurden.
Und wenn wir heute sehen, mit welcher Vehemenz die USA immer neue Sanktionen gegen Russland einführen, dann zeigt das, dass sie Putin lieber früher als später loswerden möchten.
Interessant ist, dass Putin zwar, wie in seinen Reden gesehen, die Politik der USA massiv und offen kritisiert, aber kein böses Wort gegen die Europäer sagt, obwohl sie viele Sanktionen mittragen. Putin möchte, so muss ich das interpretieren, niemanden in Europa verärgern, denn er hofft noch immer darauf, dass auf lange Sicht ein Zusammengehen von Europa und Russland möglich ist, von dem beide Seiten profitieren würden. Da wäre es aus seiner Sicht dumm, die Europäer zu verärgern.
Wenn man die Entwicklungen der internationalen Politik der letzten 20 Jahre vor diesem Hintergrund sieht, dann wird vieles