Der kreolengesichtige Bursche, der für Cassedy das Vieh bewachen sollte, floh auf einem pfeilschnellen Fuchs, wurde aber von einer Kugel des Constablers aus dem Sattel gerissen und lag mit zerschossenem Bein im hohen Gras.
Als Wyatt neben ihm hielt, stieß der kleine Mann eine Verwünschung gegen ihn aus. »Verrecken sollst du, du elender Schnüffler! Was hast du hier oben bei uns in den Bergen zu suchen?«
Inzwischen kam der Vormann heran und sah verblüfft auf den Angeschossenen. »Hey! Emile – du?«
Der Kreole stieß einen lächerlichen Fluch aus und umspannte mit beiden Händen seinen schmerzenden Unterschenkel. »Laß mich in Ruh’, du Qualle!« Er spie im hohen Bogen vor dem Vormann aus.
Der kam näher und versetzte dem Verwundeten eine kräftige Ohrfeige. »So, Bursche! Und noch was. Du wirst gehängt. Du hast einmal zu unserer Crew gehört. Dann hast du Luppys Pferd gestohlen und warst jetzt bei den Rustlern. Hier ist ein Sheriff. Wenn die Sonne genau über deinem verlausten Schopf steht, hängst du am Seilzug oder vor der Scheune. Du weißt doch, da, wo du damals eigenhändig und mit Begeisterung den kleinen Burschen aufgeknüpft hast, weil er einen Gaul aus dem Corral hatte nehmen wollen. Genau da wirst du hängen.«
Der Kreole wurde jetzt grün vor Wut. Plötzlich zog er seinen Körper zusammen wie eine Kugel und schnellte sich mit seinem Schädel voran in den Leib des Vormanns.
Beide stürzten sie zu Boden und rangen keuchend miteinander.
Wyatt sprang vom Pferd und packte Emile am Rockkragen, zerrte ihn zurück und schleuderte ihn zur Seite.
Da riß der Mann ein Messer aus dem Gurt und schleuderte es dem Constabler entgegen.
Um Haaresbreite entging Wyatt durch eine geschickte Körperdrehung dem Wurfgeschoß.
Hinter sich hörte er einen erstickten Schrei.
Als er sich umwandte, sah er den Vormann am Boden knien. Er hatte sich gerade erheben wollen und dabei das Messer in die Brust bekommen.Der Kreole brüllte triumphierend auf.
Da richtete sich der schwer verletzte Vormann hoch, zog den Colt aus dem Halfter und schoß die Trommel auf den Messerwerfer leer.
Der Kreole Emile rührte sich nicht mehr.
Wyatt fing den schwankenden Vormann auf, nahm ihm den leergeschossenen Colt aus der Hand, zog das Messer aus der Wunde und legte den stark Blutenden in das Ufergras.
Am späten Nachmittag erreichte Wyatt mit dem Schwerverwundeten die Rooper-Ranch. Die Rinder trotteten in langer Reihe hinter ihm her.
Eine ältere Frau kam dem Constabler auf der Veranda entgegen. »Um Himmels willen, was ist mit dem Vormann passiert?«
Wyatt berichtete von dem Vorfall.
In diesem Augenblick trat eine junge Frau auf die Veranda und blickte an Wyatt vorbei auf den Verletzten. »Ed!« rief sie entsetzt und nahm den Vormann mit der älteren Frau zusammen vom Pferd des Constablers herab entgegen.
Ed Wilkins wurde ins Haus gebracht und versorgt.
Dann kam die jüngere Frau, eine gutgewachsene, herbe Schönheit, wieder heraus. »Sie sind Wyatt Earp?« fragte sie.
Der Mann nickte und wischte sich durch das staubige Gesicht.
»Ich bin Mildred Rooper. Aus Dodge. Der Rancher ist mein Onkel. Ich… ich kenne Sie schon lange. Das heißt, ich habe Sie noch nicht gesehen, aber meine Brüder haben im vergangenen Jahr von Ihnen erzählt. Sie sind Sheriff, nicht wahr?«
»Leider noch nicht. Ich bin Constabler.«
Die Frau lachte. Ihre Zähne waren groß und weiß. »Mein Onkel erzählte, daß Sie hinter Silk Cassedy her sind?«
»Ja, das ist richtig. Er hat unten bei Howell einen kleinen Jungen erschossen.«
Die junge Frau betrachtete den Mann eingehend.
Da trat einer der Cowboys an die Veranda, ein großer, breitschultriger Bursche mit schwarzem Haar und dunklen Augen. Er hatte ein stoppelbärtiges Gesicht, eine niedrige Stirn und aufgeworfene Lippen. »He, Sheriff, halten Sie die Lady nicht auf!«
Als Wyatt sich nach ihm umblickte, grinste der Bursche blöde und wandte sich ab.
»Wer ist das?« fragte Wyatt.
Die junge Frau blickte hinter dem großen, schlaksigen Burschen drein und verzog spöttisch ihren Mund. »Pat Reely, ein Texaner aus dem Panhandle.«
Wyatt nahm eine Zigarre aus der Tasche und stellte mißmutig fest, daß sie zerbrochen war. Mit zerknirschter Miene zündete er sich eine Hälfte an, steckte die andere in die Tasche zurück. »Ein komischer Bursche«, brummte er. »Er ist verliebt in Sie.«
Die kühlen grauen Augen der Frau hafteten plötzlich fest an seinem Gesicht. »Ja, ich weiß«, entgegnete sie gelassen. »Aber er ist nicht der Typ Mann, der bei mir Aussichten hat.«
Wyatt hatte die Stirn gerunzelt und blickte durch die dünne Rauchwolke in Mildred Roopers Gesicht. »Und wie müßte der Mann aussehen, der bei Ihnen Aussichten hat?« fragte er, ohne diese Frage sonderlich ernst zu meinen.
Da senkten sich die Lider der Frau. Langsam wandte sie sich um und ging ins Haus.
Wyatt sog gedankenvoll an der Zigarre, stapfte in den Hof und sattelte sein Pferd ab.
Plötzlich merkte er, daß jemand hinter ihm stand.
»Na, was gibt’s?« fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Laß sie in Ruh’!« hörte er die kehlige Stimme des Texaners hinter sich.
Wyatt zog den schweren Sattel mit einem Ruck hoch und legte ihn auf der Verandatreppe nieder, dann nahm er die Zigarre aus dem Mund, schleuderte sie mit einem geübten Griff zur Seite und stemmte die Hände in die Hüften. »Hör mal zu, Brother! Ich brauche weder einen Wegweiser noch einen Aufpasser.«
Da trat Reely nahe an den Constabler heran. »Ich weiß, daß du ein schneller Schießer bist, Sheriff. Aber mir imponiert das nicht…«
»… denn du bist aus Texas!« versetzte Wyatt gelassen.
Der Mann kniff die Augen zu schmalen Spalten zusammen. »Hat sie dir das gesagt?«
»Yeah.«
Über das harte, nicht sehr sympathische Gesicht des Mannes flog der leise Schein eines Lächelns. Richtig lachen konnte er wohl gar nicht. »Ah, das ist gut…«
»Sie sagte aber auch, daß du keine Aussichten bei ihr hättest«, dämpfte Wyatt die Freude des anderen.
Da schlug der Texaner zu.
Schnell, hart, unüberlegt.
Der Schlag traf Wyatt mitten ins Gesicht und warf ihn zurück.
Wie ein böser, gefährlicher Hund stand der Texaner vor ihm.
Wyatt wischte sich durchs Gesicht und spitzte die Lippen. »Hey, Brother, das war nicht ganz fair. Halt’ deine Zähne gut fest, jetzt komm’ ich!«
Und dann bezog der lange Reely eine Tracht Prügel, wie er sie sich in seinen quälendsten Alpträumen wohl nicht vorgestellt hatte.
Als er schließlich völlig groggy vor der Verandatreppe auf allen vieren kniete, keuchte er: »Warte, Amigo – du weißt nicht, was es heißt, einen Texaner zum Feind und Rivalen zu haben.«
Wyatt nahm die zweite Hälfte der Zigarre aus der Tasche und zündete sie gelassen an.
Oben auf der Veranda stand Mildred Rooper.
Der Constabler hatte sie nicht gesehen.
Wohl aber der Texaner. Er kochte vor verweifelter Wut. »Ich knalle dich ab…«
Wyatt lachte. »Du bist verrückt, Brother. Übrigens, als Feind fürchte ich dich nicht. Und mein Rivale kannst du leider auch nicht sein.«
Reely