Wyatt schüttelte den Kopf. »Hier ist kein Rinderzug vorübergekommen. Ich habe einen Schlaf wie ein mißtrauischer Comanche, ganz sicher hätte ich was gehört. Ebenso, wie ich Sie habe kommen hören.«
»Ah«, grinste der Rancher, »deshalb hatten Sie sich aus dem Staub gemacht?«
»Natürlich. Mit dem Gewehr in der Hand hätte ich hinter den Büschen ein Dutzend Leute besser bewachen können.«
Rooper wickelte sich eine Zigarette und blickte einen kleinen rundlichen Mann mit gutmütigem Gesicht und langen Haaren an. »Was meinst du, Ed?«
Der Dicke zog die Schultern hoch. »Ich hab’ es auf den Steingrounds gleich gesagt, Boß – es ist wirklich Irrsinn, hier herunter zu hetzen. Auf der Ranch stecken außer den Frauen noch ganze drei Leute. Wenn es den Rustlern einfällt, treiben sie das Vieh inzwischen gemütlich an den Hills vorbei nach Süden und schicken ein paar Leute auf die Ranch, um da aufzuräumen.«
Um den Mund des Constablers glitt ein stilles Lachen. »Gar kein so übler Gedanke, Ed«, sagte er.
Rooper blickte den Polizeihelfer an. »Ed Wilkins ist mein Vormann. Er ist zwar ein kleiner, dicker Kerl, aber er ist der beste von allen.«
Der Dicke zupfte sich an der Nase und winkte ab; es war ihm anzumerken, daß ihm nicht sonderlich viel an einem Lob gelegen war. Er war ein einfacher, gerader Kerl, der nichts im Sinn hatte als die Sattelarbeit und die Ordnung auf der Ranch. Jetzt stand er auf, nagte an seiner Unterlippe und knöpfte sich seine Jacke langsam zu. »Wir reiten zurück, Boß. Und zwar schnell. Was meinen Sie, Sheriff?«
»Ich bin zwar noch kein Sheriff«, versetzte Wyatt, »aber ich stimme Ihnen zu, Vormann.«
Drei Minuten später saßen die Männer auf ihren Pferden und preschten nach Nordosten davon.
Wyatt ritt zwischen dem Rancher und dem Vormann. Plötzlich, nach langem, stummem Ritt, zügelte er sein Pferd und hob die Hand.
»Was gibt’s?« forschte der Rancher unwillig.
»Der Sheriff hat was gehört«, meinte Ed feixend.
»Da!« sagte Wyatt. »Schüsse! Wie weit ist es noch bis zur Ranch?«
»Etwas über drei Meilen!«
»Tempo, Leute!«
Wyatt stellte sich in die Bügel und legte sich weit nach vorn über den Hals des Pferdes. Der Falbe schoß wie von der Sehne geschnellt davon.
Obgleich die anderen wahrhaftig keine schlechten Pferde hatten, blieben sie zurück.
Wyatt sah bald die Bauten der Ranch vor sich auftauchen.
Und dann hörte er wieder Schüsse.
Kurz vor dem großen Tor sprang er vom Pferd und lief zu den Palisaden hinüber.
Im Hof wurde noch immer geschossen.
Die Cowboys hatten sich anscheinend im Ranchhaus verbarrikadiert.
Eben sprang der Rancher hinter Wyatt vom Pferd. Keuchend lehnte er sich neben ihn an die Holzpfähle.
»Wo ist das Bunkhaus?« wollte Wyatt wissen.
»Da, rechts, der langgestreckte Bau.«
»Also ist drüben das zweistöckige Gebäude das Ranchhaus?«
»Ja.«
»Da stecken Ihre Leute. Und der Besuch ist drüben in dem kleinen, offenen Schuppen.«
»Das ist der Wagenschuppen. Ja, das kann sein, daß sie sich da verschanzt haben, diese Hunde! Ich werde Ihnen einheizen, passen Sie auf. He!« brüllte er laut. »Tom, hol’ zwei von den Pulvereiern, die in meinem Zimmer im Fensterkasten liegen!«
»Was haben Sie vor?« fragte Wyatt.
Der Vormann, der eben angekommen war, atmete vom schnellen Ritt noch hastig und keuchend. »Ausräuchern will er die Halunken!«
»Mit Pulvereiern?«
»Klar.«
»Da reißt ihr euch ja euren ganzen Wagenschuppen auseinander«, gab Wyatt zu bedenken.
»Kann sein«, versetzte der Rancher gleichmütig.
»Stehen noch Wagen drin?«
»Ja, zwei.«
Der Constabler drehte sich zu dem Rancher um. »Mann, die würde ich doch nicht opfern! Warten Sie ein paar Minuten, ich bin gleich wieder hier!«
Ehe ihn jemand daran hindern konnte, hatte er sich über die Palisaden geschwungen und war im dunklen Hof verschwunden.
Vom Wagenschuppen krachten wieder Schüsse zum Ranchhaus hinüber.
Plötzlich blitzte es aus dem Windfang des Bunkhauses dreimal auf.
Im Wagenschuppen brach ein markerschütterndes Geschrei los. Einer der Rustler war getroffen worden.
Die Cowboys vorne an den Palisaden jubelten.
»Gut so, Sheriff!« rief der Dicke. »Gib ihnen Zunder!«
»Laß die Eier noch stecken, Tom!« brüllte der Rancher.
Die Rustler im Wagenschuppen eröffneten jetzt das Feuer auf den Bunkhauswindfang.
Aber der Schütze war längst vorn da verschwunden und steckte hinter einem Kistenstapel, der nicht weit von der Pferdetränke stand. Jetzt blitzte es dort wieder auf. Wieder drei Schüsse.
Schreiend rannte ein Mann aus dem Wagenschuppen in den Hof.
Der Rancher richtete seinen Gewehrlauf auf den Schatten und drückte ab.
Der Rustler brach tödlich getroffen zusammen.
»Kommt raus, Leute!« rief Wyatt Earp.
»Das könnte dir so passen, Amigo!« rief eine Stimme zurück, die dem Constabler das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er richtete sich auf und starrte in den Wagenschuppen. Dann rief er: »Cassedy! Laß die Leute herauskommen! Der
Ranchhof ist umstellt!«
»Ich denke nicht daran«, belferte der Bandit zurück.
»Kommt raus, Leute!« rief Wyatt. »Ihr habt keine Chance mehr. Oder seid ihr verrückt genug, euch wie Hasen abschießen zu lassen? Kommt raus! Es wird nicht auf euch geschossen!«
Es blieb eine Minute lang still.
»Ich zähle bis drei!« mahnte der Constabler. »Dann nehme ich den Schuppen unter Feuer. Und keiner kommt lebend heraus!«
Nichts rührte sich.
»Eins!«
Stille.
»Zwei!«
Da sprang einer der Männer in den Hof.
Zwei andere folgten ihm.
Aus dem Schuppen blitzte es auf.
Die drei fielen vornüber auf die Steine vor dem Brunnen.
»Cassedy!« rief Wyatt schneidend. »Dafür schlage ich dir eigenhändig die Zähne ein…«
Ein spöttisches Lachen kam aus dem Wagenschuppen.
Dann hörte man das knirschende Splittern von Holz, und gleich darauf drang der dumpfe Hufschlag eines sich schnell entfernenden Pferdes über den Hof.
»Er macht sich aus dem Staub!« rief Wyatt. »Schnell, er hat die Rückwand des Schuppens zertrümmert und ist nach Norden geflohen!«
Noch einmal war das Schicksal dem Mörder Silk Cassedy dienlich. Er war entkommen. Aus der Schlinge, die er sich selber gelegt hatte und die sich fast um seinen Hals zugezogen hätte.
Von den vier Männern, die mit ihm gekommen waren, lagen drei tot auf dem Ranchhof.
Am