SCHWERE ZIELE (Extreme). Chris Ryan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chris Ryan
Издательство: Bookwire
Серия: Extreme
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352032
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können. Einmal war er falsch abgebogen und beinahe in einen Krater voller Exkremente inmitten der Straße gerutscht. Ungeschützte rechteckige Löcher im Boden, etwa einen Meter breit und einen halben tief, befanden sich neben jedem Gebäude und entlang verschiedener Mauern. Dem fauligen Gestank nach zu urteilen, der aus ihnen drang, führten diese Löcher direkt ins örtliche Kanalisationssystem.

      Gardner beeilte sich. Er wusste, je eher er Bald erreichte, umso besser standen die Chancen, dass er ihn in einem Stück vorfand. Bald war einen Meter siebzig groß, knochig, robust wie altes Leder und aus demselben Granit gemeißelt wie die Häuser in seiner Geburtsstadt Aberdeen. Er trug durchweg diesen bösen, durchdringenden Blick zur Schau, und das ließ ihn hart und kalt wirken. Nach ein paar Bieren konnte er jedoch der Kumpeltyp in Person sein. Aber an einem Ort wie Barbosa brauchte Bald all seine Fähigkeiten, um zu erleben. Denn hier fiel er auf wie falsche Titten.

      Und das gilt auch für dich, Gardner.

      Vor ihm tauchte ein Marktplatz auf. Oder was an einem Ort wie diesem als Marktplatz durchging. Es war jetzt nicht gerade das Lakeside Einkaufszentrum.

      Das Sonnenlicht flutete einen Platz, etwa fünfzig mal dreißig Meter. In der Mitte der Straße stand ein verlassenes Polizeiauto, daneben war eine Wasserlache, in der verschiedene Kleidungsstücke schwammen. Flammen schlugen aus dem Dach des Polizeiautos. Gardner zählte drei Männer am Boden. Sie bewegten sich nicht. Verdrehte Arme und Beine. Rote Flecken in der Größe von Kaffeebechern auf der Brust. Sie trugen die typischen beigefarbenen Polizeihosen. Ein vierter Mann hustete, schüttelte den Kopf, erblickte Gardner und kroch auf ihn zu, krallte sich mit den Fingernägeln in den pockennarbigen Beton und zog seine verletzten Beine hinter sich her.

      Gardner hörte Stimmen. Schreie. Schüsse.

      Krack! Krack! Krack!

      Seine Instinkte sagten ihm, dass er dem Cop helfen musste. Aber er war unbewaffnet, und würde nicht rechtzeitig bei ihm sein. Die Schüsse kamen aus kurzer Entfernung, und alles, was er damit erreichen würde, wenn er dem Typen zu Hilfe kam, wäre, dass sie beide geliefert waren.

      Von dem Marktplatz gingen so viele Seitenstraßen ab, dass Gardner eine Pause brauchte, um sich zu orientieren. Hier drin findet man sich schwerer zurecht als in einem gottverdammten Dschungel, dachte er. Hinter sich auf sechs Uhr lag die Straße, aus der er gekommen war. Linker Hand zwei offene Treppen, etwa zwanzig Meter entfernt. Die vierte Fluchtmöglichkeit bestand in einer Gasse direkt gegenüber, halb verborgen von dem brennenden Auto. Die Häuser mit Blechdächern standen dort so eng zusammen, dass jemand auf einem Fahrrad Probleme haben würde, sich hindurchzuzwängen. Alles in allem ein endloses Gewirr aus Treppen, Bürgersteigen und Gassen.

      Er brauchte einen Anhaltspunkt. Nordöstlich überragte die Jesusstatue auf dem Corcovado die Hütten der Favela.

      Er erinnerte sich an Balds Worte. Meine Einheit mal Vierzig nördlich, deine Einheit mal Zwanzig westlich.

      Gardner entschied sich für eine Gasse, die nach Norden führte. Nach ein paar Metern hielt er inne, presste sich gegen eine graue Wand mit dem halb verwaschenen Portrait von Pablo Escobar, duckte sich hinter den Vorsprung und sah zurück. Aus seinem Versteck nordöstlich des brennenden Vans sah er eine Gang von sechs Kids aus einer der Gassen springen. Keiner der Burschen schien alt genug, Bier kaufen zu dürfen. Sie trugen rote Tücher vor den Gesichtern und fuchtelten mit ihren kampftauglichen AKs herum, als wären es Wasserpistolen. Wenn sie sprachen, zeigten sie damit aufeinander oder wedelten sie durch die Luft. Gardner beobachtete sie weiter, sorgfältig darauf bedacht, in Deckung zu bleiben, und wünschte sich, er hätte ein saftiges schweres Maschinengewehr bei sich, um den Idioten die Lichter auszublasen.

      Eines der Kids schrie aufgeregt etwas in Portugiesisch und deutete auf den verwundeten Cop. Lachend kreisten die Rotzlöffel den armen Mann ein, der auf allen vieren zu dem Auto kroch.

      Der größte der Jungen zog eine fünfunddreißig Zentimeter lange Machete hervor und hieb damit zweimal auf den Rücken des Polizisten ein, zwei sich überkreuzende Striemen in Form eines X.

      Der Cop schrie auf und griff nach der Pistole an seinem Gürtel. Keine so gute Idee. Zwei Kids warfen sich auf ihn und hielten seinen Arm fest. Der große Junge machte sich an die Arbeit, und begann, mit der rostigen Machete das Handgelenk durchzusägen. Als er hörte, wie die Klinge auf den Knochen traf, lief Gardner ein kalter Schauer über den Rücken.

      Der Polizist bettelte laut kreischend, sie mögen aufhören. Er fluchte. Er weinte.

      Aber der Halbwüchsige hackte weiter auf ihn ein.

      Nach einer Weile hörte das Kreischen auf. Als der Junge damit fertig war, Chirurg zu spielen, schlug er dem Cop mit dessen eigener abgesägter Hand ins Gesicht. Ein anderes Gangmitglied holte eine gute alte Schrotflinte hervor und schoss damit dem Cop die Arme und Beine ab. Jeder Schuss wurde von einem tiefen Boom begleitet, und jedes Mal zuckte der Körper, als würden 10.000 Volt durch ihn hindurchgejagt. Die Kids jubelten. Dann pisste einer von ihnen auf den Mann.

      Schließlich befreite der größte der Jungen den Cop aus seinem Elend. Er hielt einen Vorschlaghammer in der Hand und wies die anderen an, den Mann auf den Rücken zu drehen. Der Polizist versuchte, zu protestieren, aber der Junge war nicht interessiert. Mit beiden Händen hob er den Hammer – und ließ den schwarzen Metallkopf herabsausen.

      Dreißig Meter entfernt, in seinem Versteck, konnte Gardner den Schädel bersten hören.

      Er blieb hinter der Wand und wartete. Die Bande marschierte nach Osten, während sie mit dem Kopf des toten Polizisten Fußball spielten.

      Nach Norden.

      Zu Bald – bevor die Kids ihn finden.

      Er machte kehrt, wand sich den Treppenstufen zu.

      Und sah in das gefährliche Ende eines Maschinengewehrs.

      Kapitel 14

      09:59 Uhr

      Das Gewehr war eine Colt Commando in miserablem Zustand. Hier und da blätterte Farbe ab, und braunes Klebeband bewahrte das Magazin davor, auseinanderzufallen. Der Mann, dem sie gehörte, trug einen feuerfesten Nomex-3-Ganzkörper-Kampfanzug von der Sorte, wie ihn das Regiment bei Nahkampfsituationen einsetzte.

      Er schrie irgendetwas auf Portugiesisch. Hörte sich an wie ein brasilianischer Fußballkommentator.

      »Ganz ruhig, Kumpel.« Gardner hob die Hände. Weiß der Teufel, was in dem Kerl vorgeht, dachte er, aber dessen Gesicht fasste es ziemlich gut zusammen: bebende Lippen, zusammengekniffene Augen, die hektisch die Umgebung musterten, die Colt Commando in den zitternden Händen. Wäre nicht das erste Mal, dass einem Mann am Limit aus Versehen die Waffe losging.

      »Ich will keinen Ärger«, sagte Gardner.

      Wie es aussah, hatte der Mann davon hingegen schon genug gehabt. Sein Gesicht war in einem erbärmlichen Zustand und hatte bereits einiges abbekommen. Über dem rechten Auge prangte eine tiefe Schnittwunde, und wenn er sprach, rann Blut zwischen seinen Zähnen hervor. Seine Haut war weiß. Gardner war noch keine sechs Stunden in Rio, hatte aber bereits das Gefühl, dass jeder braun gebrannter war als er mit seinem käsigen weißen englischen Arsch. Aber dieser Typ nicht.

      »Sie sind Engländer?«, fragte der Polizeibeamte mit einem derart perfekten englischen Akzent, dass sich Gardner mit seinem Manchester Dialekt gleich ganz minderwertig vorkam.

      Er nickte.

      »Verschwinden Sie zurück an den Strand. Das hier ist keine Gegend für Touristen«, fuhr der Cop ihn an.

      »Sagt wer?«

      »BOPE«, antwortete der Mann und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. »Captain Rafael Falcon, Second Squad. Wie heißen Sie?«

      Gardner ließ die Hände sinken, ließ den BOPE-Captain aber nicht aus den Augen. Auf den ersten Blick konnte er den Mann schlecht einschätzen. Der Kerl wirkte angespannt, die Kiefer aufeinandergepresst, als würde er an einem verdammt großen Scheißhaufen arbeiten. Diesem Rupert fehlten die Nerven aus Stahl,