SCHWERE ZIELE (Extreme). Chris Ryan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chris Ryan
Издательство: Bookwire
Серия: Extreme
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352032
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um Navas strampelnden Beinen auszuweichen, und hockte sich neben ihn. Der Kopf des Mannes war noch vorn gesackt. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war die Nadel anzustarren.

      »Nein, ich fürchte nicht«, fuhr Weiss fort. »Der Tod kommt für jeden überraschend.«

      »Wenn Sie Geld wollen, habe ich … ich kann Sie bezahlen …«

      »Du weißt, dass es nicht darum geht.«

      »Dann Frauen. Oder Jungs. Was auch immer. Scheiße, sagen Sie mir einfach, was Sie wollen, und ich besorge es für Sie, ich schwöre!«

      »Mein Freund, nichts davon interessiert mich. Es gibt nur eine Sache, mit der du dein Leben retten könntest. Aber du behauptest, die Antwort darauf nicht zu kennen.«

      Nava entglitten die Gesichtszüge. Wahrscheinlich hätte der Kommandant der BOPE geheult, wenn er nicht bereits sämtliche Tränen vergossen hätte, als er um sein jämmerliches Leben bettelte. »Ich sagte doch schon, verdammt, schon tausend Mal, dass ich nicht weiß, wo er ist.«

      »Dann haben wir nichts mehr zu bereden.«

      »Nein, nein. Bitte nicht!«

      Weiss testete die Spritze und ließ etwas Säure auf den Teppich tröpfeln. Es zischte, als sich die Substanz durch den Stoff bis auf die Dielen fraß.

      Paulinho Nava, Lieutenant Colonel der Spezialeinheit und Held während der Belagerung der Reis Favela, versuchte wie von Sinnen, mit seinen gefesselten Händen den Heizkörper von der Wand zu reißen.

      Alles in allem hatte Weiss mehr als sechshundert Männer, Frauen und Kinder umgebracht. Normalerweise schienen seine Opfer in ihren letzten Momenten den Tod zu akzeptieren, beinahe wie paralysiert. Weiss war dann allmächtig, fast wie ein Gott. Von dem Gefühl konnte er gar nicht genug bekommen.

      Kein Mensch auf der Welt tötete gern, genauso wenig wie es keinen Raucher gab, der nicht insgeheim damit aufhören wollte. Weiss empfand noch immer Reue nach jedem Mord, und trug daher stets eine zwölf Zentimeter lange Schnitzerei der Jungfrau von Guadalupe bei sich, die er rieb und um Vergebung bat. Aber das Töten machte noch süchtiger als Heroin. Wie viele andere Auftragskiller bekam auch er Entzugserscheinungen, wenn er eine Weile aus dem Geschäft war.

      Er stieß die Nadel in Navas Brust.

      Weiss drückte auf den Kolben und injizierte die ätzende Säure in den Herzmuskel. Navas Kopf zuckte wild von einer Seite zur anderen. Seine bronzefarbene Haut begann rubinrot zu glühen. Schaum bildete sich vor seinem Mund. Kochendes Blut rann aus allen Körperöffnungen – seiner Nase, seinen Augen, Mund und Ohren. Nava presste die Kiefer aufeinander und röchelte. Tat, was jeder tat, kurz bevor er starb, und schiss sich die Hosen voll.

      Dann regte er sich nicht mehr. Blut rann ihm aus dem Ohr und tropfte auf seinen stark tätowierten rechten Arm. Auf dem Bizeps der Sensenmann, Frank Sinatra am Ellenbogen und ein Playgirl aus den Dreißigern auf dem Unterarm. Der tätowierte Tod schien zu grinsen, als sich die verschiedenen Motive langsam rot färbten.

      Zufrieden darüber, dass sein Opfer nun hinüber war, zog Weiss die Spritze wieder heraus, stülpte eine Kappe auf die Nadel und steckte sie sich in seine Jackentasche.

      Als er das erste Mal diese spezielle Technik angewandt hatte, war Weiss neugierig gewesen, wie viel Schaden sie anrichtete. Also hatte er einen Gerichtsmediziner bestochen, den Brustkorb zu öffnen und das Innere freizulegen. Er fand heraus, dass nichts mehr übrig blieb. Weder Herz noch Lunge, Nieren, Brustmuskeln, oder Schlüsselbein. Als wäre eine Granate in der Brusthöhle explodiert.

      Weiss warf einen Blick auf seine miese Digitaluhr, und dann fiel ihm ein, dass sie nicht funktionierte. Die Wanduhr aber verriet ihm, dass es acht Uhr morgens war. Normalerweise bot er seine Fähigkeiten als Dienstleister an, stellte keine Fragen und machte hauptsächlich mit Juárez- und dem Los-Zetas-Kartell Geschäfte. Die zahlten gut. Aber heute folgte er der Spur von dreißig Millionen Dollar. Mit dem Geld könnte er sich zur Ruhe setzen, irgendwo auf den Kokosinseln hinter Costa Rica, am Chatham Beach liegen und Tequilas trinken. Eine etwas teurere Uhr tragen, vielleicht eine Cartier, und sich die erlesensten Muschis Lateinamerikas gönnen. Weiss hatte genug vom Töten.

      Du hast jetzt eine dicke Sache an der Angel, dachte er bei sich, während er sich die Wegwerfhandschuhe von den Händen zog und in die Taschen seines einreihigen, halblangen Mantels aus schwarzer Baumwolle stopfte. Noch einmal nickte er Navas Leichnam zu. Dann verließ er den Raum, zog die Tür hinter sich zu und hängte das kleine Schild über den Türknauf. Por favor não incomodar – Bitte nicht stören. Er verließ das Hotel und stieg in seinen gemieteten BMW E90 Sedan.

      Ich muss ihn heute noch finden, dachte Weiss. Sonst ist es zu spät.

      Nun, dann ist es wohl Zeit, jemanden zu besuchen, der mir weiterhelfen kann.

      Kapitel 11

      08:15 Uhr

      Die Rotorblätter des LittleBird zerteilten den Himmel. Die Sonne brannte auf Rio herunter, und Joe Gardner hatte einen Kater.

      Er trug einen Bart, mit dem man ohne Weiteres ein nasses Streichholz angezündet bekam, und seine Nase schien öfter gebrochen zu sein als das Herz eines Teenagers. Angeschnallt, mit den Füßen auf der Landeschiene des Hubschraubers, schaute er auf die Favela zweihundert Meter unter ihm hinab. Tausende windschief übereinandergebaute Hütten und Baracken, die gefährlich nahe an einem armeegrünen Berghang errichtet waren, nur einen Steinwurf vom Finanzdistrikt und seinen Hochhausapartments entfernt. Im Westen sah man die Statue von Jesus, dem Erlöser. Jesus schien einen Scheißdreck auf den Slum gleich nebenan zu geben.

      »Barbosa Favela«, sagte Leon, der neben ihm saß.

      Klingt wie ein brasilianischer Fußballer, dachte Gardner bei sich.

      »Kein schöner Anblick, ich weiß.«

      »Ich bin in Moss Side in Manchester aufgewachsen. Hab da Schlimmeres gesehen.«

      »Warte, bis du es vom Boden aus siehst.«

      Der LittleBird ging in einen schnellen Sinkflug über und jagte in engen Kurven hin und her. Gardner war schon in allen möglichen Hubschraubern mitgeflogen, Lynx, Chinooks, Merlins, aber keiner der Chopper der Royal Air Force war so wendig wie dieser.

      Jetzt befanden sie sich etwa hundert Meter über dem Boden. Gardner erspähte eine Bande Kinder, die durch die Straßen unter ihm rannte. Sie trugen AK-47s bei sich und feuerten auf eine Gruppe älterer Jugendlicher, die nach Osten floh. Die BOPE hatte sich aus der Favela zurückgezogen und ließ die verfeindeten Banden sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Kids aus der Dritten Welt, die für den dritten Weltkrieg trainierten.

      Gardner würde unbewaffnet da hineingehen. Nur er und ein paar vernarbte Knöchel. Seine erste Aufgabe nach seiner Landung auf dem Galeão-Antônio Carlos Jobim International Airport hatte darin bestanden, sich von den Touristenhochburgen wie Leblon oder Ipanema fernzuhalten. Ein paar Leute wagten sich nach Süden, Gardner war nach Westen gegangen, ins Armenviertel von Santa Cruz. Ein dreizehnjähriger Straßenjunge mit einem brasilianischen Trikot und dem Wort »Robinho« auf der Rückseite meinte, er könne Gardner alles besorgen. Er willigte ein, ihm für zweihundert Reals auf dem Schwarzmarkt eine Sig Sauer P226 zu besorgen. Aber in dem Café, in dem der Junge sich mit Gardner treffen wollte, hatte es nur so von übel aussehenden Cops gewimmelt, und der Junge sich ohnehin nicht mehr blicken lassen.

      Gardner fühlte sich nicht wohl dabei, unbewaffnet eine Gefahrenzone zu betreten.

      »Da unten ist ganz schön was los«, sagte er. »Sicher, dass das die beste Landezone ist, die ihr finden könnt?«

      »Glaub mir, die Gangs schießen auf alles, was sich bewegt. Es heißt, ein paar BOPE-Offiziere sind vom Rest ihrer Einheit abgeschnitten, und die Kids haben Blut geleckt. Die anderen Straßen sind zu gefährlich, Amigo.«

      »Gefährlich für wen? Dich und Mr. Pilot?«

      Leon gab darauf keine Antwort. In Ordnung. Der LittleBird war ein Gefallen von dem Bekannten eines Bekannten