SCHWERE ZIELE (Extreme). Chris Ryan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chris Ryan
Издательство: Bookwire
Серия: Extreme
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352032
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Sand. Oh Gott, er war noch nie in seinem Leben so durstig gewesen. Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln. Er schaffte es, sich auf die Seite zu drehen, sein linker Arm baumelte nutzlos herunter. Dann sah er sich auf dem geschundenen Gelände um. Vor fünf Sekunden war er noch hier noch entlang gerannt, mit einem Milchgesicht im Schlepptau. Jetzt lag dieser Soldat mit abgerissenem Unterleib keine vier Meter von ihm entfernt. Die Erde um ihn herum war eine Sinfonie aus Granatsplittern, bitterem Rauch und Blutschlieren.

      Inmitten des Blutbades konnte Gardner seinen abgetrennten Daumen und Zeigefinger erkennen.

      Durch den Rauch hindurch erschien Bald.

      »Was machst du da? John? Komm verdammt noch mal zurück!«, hörte er Hands hinter dem Vorhang aus Rauch rufen. Und eine Stimme in Gardners Kopf sagte: Hands hat recht. Die Standardprozedur bei einem Operator, der von einer Mine oder IED versehrt wurde, sah vor, dass man auf ein Minenräumkommando warten musste. Mit dem Versuch, Gardner zu retten, brachte sich Bald nur unnötig in die Schusslinie. Das war nicht einfach nur leichtsinnig, das war glatter Selbstmord.

      »John!«, brüllte Hands wieder.

      Vergeblich. Bald sprintete über den Wüstenboden. Wild ratternd nahm ihn das feindliche Feuer ins Visier. Kugel um Kugel schlug hinter ihm ein, als würden seine Schritte kleine Knallkörper auslösen. Er stürmte direkt auf Gardner zu. Zu seiner Rechten wimmerte Grant leise.

      Dann war Bald bei Gardner, ein zwei Meter langer Schatten direkt über ihm.

      »Keine Sorge, Mann«, sagte Bald, der sich neben seinen Partner kniete. »Ich hol dich hier raus.«

      Gardner versuchte etwas zu antworten, aber das Wort blieb auf halbem Wege in seinem Hals stecken.

      »Spar dir deine Kräfte, Joe. Das wird schon wieder.«

      Während Hands die Taliban auf dem Flugplatz mit Dauerfeuer in Schach hielt, kümmerte sich Bald um Gardners schwere Wunde. Er riss ein Stück Stoff aus seinem Kameez und wickelte es fest um Gardners Ellenbogen, um die Blutung zu stoppen. Gardner spürte einen dumpfen, starken Schmerz, der sich in den Unterarm bohrte. Die Wunde am Stumpf versah Bald mit einem Gazeverband, um sie vor Infektionen zu schützen. Ließe man die Wunde unversorgt, würde das Risiko, eine Blutvergiftung zu bekommen, immens ansteigen. Er drehte Gardner wieder auf den Rücken, schraubte seine Feldflasche auf und ließ etwas von dem kostbaren Wasser in Gardners Mund tröpfeln. Der Geschmack übertraf jedes Bier der Welt.

      »Bleib bei mir, Joe. Nur noch eine Minute, okay?«

      Gardner nickte schwach.

      Bald rutschte zu Grant hinüber. Der Soldat litt unter furchtbaren Schmerzen und wimmerte wie ein Straßenköter, den ein Auto angefahren hatte. Bald versuchte, ihn zu beruhigen.

      »Meine Zähne …«, stammelte der Junge. »Sie sind so kalt …«

      »Ganz ruhig, Kumpel.«

      »So kalt …«

      Der Junge war im Fieberwahn. Seine Augen zuckten in ihren Höhlen hin und her. Sein Atem ging unregelmäßig. Gardner sah zu, wie Bald ein Set aus Morphiumspritzen aus seiner Weste zog, die Päckchen aufriss und eine nach dem anderen in den blassen, schlaffen Arm des Jungen drückte. Der Junge gab keine Widerworte. Er wusste, dass er am Arsch war. Keine Beine, kein Schwanz, und ein riesiges Loch an der Stelle, wo sein Oberkörper endete – er würde verbluten, noch bevor der Rettungsdienst hier eintraf. Bald schloss die Augenlider des Jungen und sah zu, wie das Leben aus ihm schwand wie Wasser aus einem Waschbecken.

      Bald krabbelte zu Gardner zurück, schlang einen Arm um seinen Rücken und half ihm auf die Beine. Gardner versuchte vergeblich, sich bei ihm zu bedanken, aber er brachte noch immer keinen Ton heraus.

      Bald sagte: »Das wird schon wieder, Kumpel.«

      Dann sagte er noch etwas und lachte, aber Gardner verstand ihn nicht mehr. Jemand hatte der Welt den Ton abgedreht. Er verlor mehr und mehr das Bewusstsein. Rote und gelbe Punkte tanzten vor seinen Augen. Die beiden Männer schleppten sich durch einen Vorhang aus Rauch. Hinüber auf die andere Seite, weg von dem unaufhörlichen Gewehrfeuer. Dann dehnte sich die Rauchwolke aus, wie eine riesige Pfütze. Er war sich nicht sicher, ob ihm seine Augen einen Streich spielten. Schließlich bestand seine Welt nur noch aus einem Nadelloch, umgeben von Dunkelheit.

      Und dann war da gar nichts mehr.

      Kapitel 8

      Hereford, Großbritannien, drei Wochen später

      Das Green Dragon in Hereford war für zwei Dinge berühmt: halbwegs bezahlbares Bier und Regimentsgroupies. Es lag versteckt in einer kleinen Seitenstraße abseits des Stadtzentrums, und die Kameraden hatten hier viel Zeit an der Bar verbracht. Sich ein London Pride und Greene King IPA nach dem anderen hinter die Binde gekippt und sich von Stacey nachschenken lassen – der reichlich überschminkten Bardame, die im sechsten Monat schwanger war. Da niemand von ihnen wusste, wer der Vater war, hatten die Jungs das Vaterschafts-Problem auf Regimentsart gelöst und Geld gesammelt. Jetzt hatte Stacey einen Tausender in Bar für ihr Kind, und jeder Operator konnte erleichtert aufatmen, weil es ihm erspart blieb, den Rest des Lebens mit der ordinärsten Frau außerhalb von Essex zu verbringen.

      Gardner bestellte sich ein Pint. Es dauerte ganze fünf Minuten, bis Stacey ihn bediente. Das Dragon platzte an diesem Abend aus allen Nähten.

      »Macht drei Öcken, Süßer«, sagte Stacey.

      Gardner fischte etwas Kleingeld aus seiner Tasche. Noch vor einem Monat wäre das kein Problem gewesen. Aber jetzt trug er eine Prothese an der Stelle, wo einmal seine linke Hand gewesen war. Er musste erst umständlich das Bier auf der Bar abstellen, um dann mit der Rechten in den Taschen seiner Jeans herumzusuchen. Schließlich fand er drei Münzen und drückte sie in Staceys tätowierte Handflächen.

      Er drehte sich um hundertachtzig Grad herum und sah Dave Hands direkt vor sich stehen.

      »Hab dich hier eine ganze Weile nicht gesehen«, sagte Hands. »Wie geht's dir?«

      »Die nennen es Fronturlaub. Erholung. Oder Auszeit. Kannst dir was aussuchen.« Gardner zuckte mit den Schultern. »Ist alles derselbe Mist.«

      Hands deutete mit einer Kopfbewegung auf die Prothese: »Was man so hört, hätte dir die Schlange beinahe den Rest gegeben.«

      Gardner antwortete nicht. Nachdem er seine linke Hand an den Sprengsatz verloren hatte, fingen seine Probleme erst an. Die Sanis an Bord des Chinook hatten seine Verletzung stabilisiert und ihn dann zurück ins Selly Oak Krankenhaus nach Birmingham geschickt. Bei den Bluttests stellte sich heraus, dass er eine tödliche Dosis Viperngift in sich trug, also gaben sie ihm intravenös ein Pferdeserum als Gegenmittel, aber darauf reagierte er wiederum mit einer Serumkrankheit, die ihn für ganze zwei Wochen aus dem Rennen nahm. Jetzt ging es Gardner wieder besser, aber er haderte mit der Hand, dem Umstand, dass ihn das Regiment ausmustern würde und den nicht enden wollenden Witzen seiner Kameraden über Pferde-Sperma. Irgendwie hatten sie es sich in den Kopf gesetzt, dass Serum und Sperma ein und dasselbe sei.

      »Na ja«, begann Hands, um die unangenehme Pause zu beenden. »Wenigstens hat es nicht deine Wichshand erwischt.«

      Gardner nippte von seinem Bier. Der Pup war gerammelt voll mit ehemaligen und aktiven Blades, die alle gekommen waren, um einen auf John Bald zu heben. Gardner sah den Mann am anderen Ende der Bar unter einem Fernsehgerät stehen, auf dem die Sky News liefen. In den Schlagzeilen ging es irgendwie um das Gesundheitssystem. Bald unterhielt sich mit Major Pete Maston und ein paar anderen Leuten vom Einsatzkommando, die er nicht kannte. Ein älterer, wichtig aussehender Mann gab Bald einen Klaps auf die Schultern. Ein junger Kerl im Anzug deutete auf ihn und gab das unmissverständliche Zeichen für eine Runde für alle, indem er seine Hand um ein imaginäres Glas legte und zum Mund führte.

      Aber Bald machte nicht den Eindruck, als würde er sich wohlfühlen. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt und eher wie eine Grimasse, und er trank ungewöhnlich langsam, während alle anderen ihre Drinks hinunterstürzten und sich Mühe gaben, möglichst schnell besoffen zu sein. Hin und wieder trafen