Dann bog der Wagen in die Einfahrt. Tristan und Janet diskutierten im Flüsterton. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und bat ihn, zu gehen. Er eilte gerade aus der hinteren Tür, als Daniel die vordere öffnete. Janet schaltete das Kellerlicht aus.
Die Eheleute umarmten sich, das erste Mal seit Wochen. Oben begann Delia zu weinen und ihre Mutter ging ins Kinderzimmer.
Sebastian näherte sich Sheba. Sie gestand es ihm zu und agierte, als hätte sie die Feindseligkeit vor wenigen Minuten vergessen.
Ich kenne dich, schien ihre Zuneigung auszudrücken. Wo bist du gewesen?
Die Welpen rekelten sich. Er beschnupperte ihre Stirnen. Dann tastete er nach Sheba und lehnte sich an ihre Wärme. Bei dieser Bewegung schnurrte er ihr zu: Keine Sorge. Sei nicht traurig. Ich bin stark. Ich werde dich nicht verlassen. Ich bin stark.
Nach dem Wandel schwelgten viele Tiere in Erinnerungen an jene Tage, als sie erstmals ein Selbstgefühl erlangten, so wie Menschen darüber sprachen, wo sie bei wichtigen historischen Ereignissen gewesen waren. Dies wurde Sebastians Moment: eine kurze Anerkennung der Freundschaft zweier durch Art und Umstand getrennter Wesen. Er war glücklich. So viele erinnerten sich an das Fernsehen, Entschlüsseln eines Straßenschildes oder Beobachten einer menschlichen Interaktion. Er hingegen hatte einen wahren Moment der Glückseligkeit, einen Quell der Freude und des Friedens.
Doch er verblasste bald. Sebastian wusste, dass er Sheba verlieren würde. Sie würde mit ihren Kindern fortgehen und er allein in diesem verfluchten Haus gefangen sein. Vertraute Geräusche und Gerüche blieben. Vielleicht bekämen die Martinis ein weiteres Kind. Es gäbe weiterhin Nahrung und Wasser, wenn er es brauchte, ein Katzenklo und das sonnige Plätzchen im Wohnzimmer. Mehr jedoch nicht und es gab nichts, was er daran ändern könnte.
Spürend, dass ihr Herr nicht im Haus war, winselte Sheba bei jedem Atemzug mit einem schwachen Quietschen. Dann heulte sie wie ein Wolf und erschreckte Sebastian. Er sagte ihr, dass sie still sein sollte, dass alles in Ordnung war.
Plötzlich näherten sich Schritte. Janet fing ihren Mann an der Spitze der Treppe ab und versuchte, ihm das Hinabsteigen in den Keller auszureden. Das Licht ging an. Sebastians Augen verengten zu schmerzvollen Schlitzen.
Daniel erstarrte bei dem Anblick. Sheba erblickte ihn, merkte, dass er nicht Tristan war, und heulte weiter, als könnte ihn dies in ihren Herrn verwandeln. Janet gab sich gleichermaßen schockiert. Der Mann blieb still. Als seine Frau fragte, ob es ihm gut ging, schlug er sie mit dem Handrücken zu Boden. Er packte Sebastian am Genick und warf ihn zur Seite. Die Welpen lagen noch immer bäuchlings da.
Janet schrie. Sheba rollte auf die Füße, um ihre Kleinen vor der Bedrohung zu schützen. Daniel trat ihr in die Rippen. Sie jaulte, ehe sie sich aufbäumte und ihm in den Arm biss. Er trat sie hart gegen die Hüfte. Sie schnappte. Furchtlos griff er ihren Hals, während sie strampelnd nach ihm kratzte. Er schob sie gegen die Wand.
Der Lärm, den die beiden machten, ließ Sebastian aufschrecken.
Daniel versuchte, Sheba zu töten. Sie musste fliehen. Nach einem letzten Blick auf ihre Welpen sprintete sie an Sebastian vorbei zu den Treppen. Der Mann folgte ihr, seine Füße stampften gegen das alte Holz. Sebastian stellte sich ihm in den Weg. Daniel musste unbeholfen über ihn springen, was Sheba die Zeit verschaffte, aus der Hintertür zu rennen.
Nun, da sie fort war, wandte er sich Tristans Haus zu. Niemand antworte, als er an die Tür klopfte. Aufgebracht ging er in seine Garage und kam mit einem leuchtend gelben Putzeimer zurück in den Keller. Sebastian versteckte sich unterm Küchentisch. Als der Mann wieder heraufkam, lagen alle drei Welpen hilflos quietschend im Eimer. Janet blieb dicht hinter ihm und flehte ihn an, es nicht zu tun. Als sie nach den Tieren griff, drückte er sie mit der flachen Hand weg. Er verschwand im Badezimmer und knallte die Tür zu. Während Wasser in die Badewanne lief, lehnte sich Janet gegen die Wand und sank hinab, bis ihr Kopf auf den Knien lag. Sie erblickte Sebastian und weinte.
Das Quietschen der Welpen verstarb.
Sebastian kehrte in die Küche zurück. Die Tür stand offen. Nie zuvor hatte er das Haus verlassen. Es war, als hätte ihn all die Jahre eine unsichtbare Barriere darin eingesperrt. Ein Hinausgehen erschien ihm nun nicht gruseliger als ein Nickerchen im Wohnzimmer. Die Klarheit darüber stach im so ins Auge, dass er sich kaum mehr erklären konnte, was ihn die Außenwelt so fürchten ließ. Also spazierte er raus, geleitet von der Duftspur, die Sheba hinterlassen hatte, bis sie sich in der Mitte des Gartens verlor. Er rief nach ihr, wusste aber, dass sie ihn nicht hören konnte.
Janet schloss die Tür hinter ihm und stritt erneut mit ihrem Ehemann. Sebastian hatte keine Angst und er wollte nicht zurück ins Haus. Vielmehr verspürte er den Drang, zu erkunden, zu lernen. Nie hatte er ein Vogelnest aus der Nähe untersucht oder die Verbindungslinien eines Spinnennetzes verfolgt. Sein Geist dürstete nach Wissen. Er war unstillbar.
Ein Bündel Ranken erwürgte den Baum auf Tristans Rasen. Eine Gruppe Ameisen schleppte eine verwundete Heuschrecke zu ihrem Nest und zerlegte die strampelnde Kreatur bereits auf dem Weg. Eine traurige Frau setzte ihre Kinder in ein Auto, das von Gepäck niedergedrückt wurde, und fuhr los. Am Himmel zerschnitten bedrohlich Hubschrauber sowie Kampfjets die Wolken und rasten im Rennen gegen die Explosionen und riesigen Rauchbahnen Richtung Süden.
Auch lange nachdem sich die Martinis mit dem Streit erschöpft hatten, durchwanderte Sebastian die Nachbarschaft und katalogisierte alles. Er speicherte die Eindrücke nicht bloß, um sie abzurufen. Er fragte nach dem Warum und realisierte, dass Dinge nicht ewig andauerten. Sie verfaulten, verschwanden, starben, gingen verloren oder wurden weggenommen.
In dieser Nacht, während er hinter der Garage der Martinis saß, fielen die Haare auf seinen Pfoten aus. Es beunruhigte ihn nicht. Er bürstete die übrigen Büschel herunter, spreizte seine Zehen zu Fingern und rieb die Handflächen aneinander.
Weitere Jets jagten über ihn hinweg. Explosionen ertönten in der Ferne und rückten näher. Sebastian erklomm das Dach der Garage, um über die Hecken zu schauen. Meilen entfernt brannte die Stadt. Helikopter schwebten über den Flammen wie Fliegen über einem Kadaver. Massive Feuerbälle erblühten inmitten der zerstörten Gebäude. Dann fiel der Strom in allen Häusern der Nachbarschaft aus. Die Feuersbrunst wurde zum einzigen Licht.
Sebastian blieb die ganze Nacht, um zu beobachten, zu denken, sich zu erinnern. Er wusste, mit dem Aufgang der Sonne wäre noch mehr verändert, würden Dinge weggenommen werden oder sterben.
Auf dem Dach der Garage erwachte Sebastian vom Klang zerbrechenden Glases. Seine Augen öffneten. Eine Säule schwarzen Rauchs verdunkelte die Stadt am Horizont. Er lauschte den Geräuschen im Haus. Plötzlich platzte Janet aus der Tür. Sie trug einen Wanderrucksack und in jedem Arm ein Kind. Sebastian hatte nie bemerkt, wie stark sie war.
Daniel folgte ihr. »Wir müssen zusammenhalten«, sagte er mit angeschlagener Stimme.
Sebastian hielt inne. Er verstand tatsächlich die Worte!
»Wir bleiben nicht in diesem Haus«, stellte Janet klar.
Sebastian sprach ihr nach. »Wir bleiben nicht in diesem Haus.«
Daniel rannte zurück ins Haus, während seine Familie auf den Wagen in der Einfahrt zusteuerte, einen silbernen SUV mit Schlammspritzern und Kindersitzen.
Als Daniel wieder rauskam, hielt er das schwarze Metallrohr in seiner Armbeuge. »Du nimmst mir nicht die Kinder.«
Janet ignorierte ihn.
»Mami, was macht Daddy?«, fragte Michael.
»Hörst du mich?«, rief Daniel.
»Nur zu, erschieß uns, Dan!« Ihr Gesicht war rot und aufgedunsen. »Wir sind sowieso tot! Also los, tu es!«
Daniel entgegnete nichts. Blinzelnd und mit zuckender Lippe lehnte er das Rohr ans Haus und ging hinein.
Das Mädchen weinte, während der Junge weiter Fragen stellte.
»Steig ins Auto«,