Einige Zeit später luden die Martinis eine andere fremde Person ein, eine Jugendliche namens Tanya. Das Paar kleidete sich in neue Sachen. Janet hatte ihr sandfarbenes Haar zu einem Knoten gebunden und trug ein langes, silbernes Kleid, Daniel Krawatte und Jackett. Sie gaben den Kindern einen Abschiedskuss und verließen erstmals, seit Delia kam, gemeinsam das Haus.
Tanya saß auf der Couch vor dem Fernseher. Sie roch seltsam, nach Süßigkeiten, Blumen und Minze. Hin und wieder ging sie nach oben, um nach den Kindern zu sehen. Sebastian blieb auf Distanz und spionierte sie hinter dem Sessel oder unter dem Tisch aus.
Etwas war passiert. Tanya hatte die Familie irgendwie gespalten. Sie war clever vorgegangen, hatte die Martinis wie alle Gäste lächelnd und mit sanfter Hand begrüßt. Sebastian floh vor ihr. Sie konnte nicht vertrauensselig sein. Ein Raubtier war in seinem Haus und er auf sich allein gestellt. Er musste diesen Ort eigenmächtig verteidigen.
Jedes Mal, wenn Tanya die Kinderzimmer aufsuchte, blieb ihr Sebastian auf den Fersen, während er genug Abstand hielt, falls sie sich auf in stürzte. Für den Fall, dass sie Krallen besaß. Das ging mehrere Male so, bis er es kaum mehr aushielt. Bei ihrem nächsten Gang wartete er im Flur. Er hörte, wie das Mädchen leise sprach und das Bettzeug mit den Händen glattstrich. Die Lichter wurden gedimmt. Etwas geschah.
Wutentbrannt stürmte er heran und stieß gegen die Tür. Der Klang des Aufpralls glich einer Explosion. Tanya schrie als Erste; dann Sebastian, wie nie zuvor in seinem Leben. Er scharrte, während drinnen beide Kinder weinten und sie sie flüsternd zu beruhigen versuchte. Er ließ sich nicht beirren. Sie wollte die beiden täuschen, wie ihre Eltern.
Glaubt ihr nicht, versuchte er zu sagen. Ich bin hier, um euch zu beschützen.
Schließlich bog das Fahrzeug der Martinis in die Einfahrt. Sebastian hörte auf, zu schreien, erleichtert, dass er sie so schnell herbeirufen konnte. Die Babysitterin streckte ihren Kopf aus dem Fenster und rief die Martinis um Hilfe. Sie war laut genug, um Sheba nebenan zum Bellen zu bringen.
Janet kam als Erstes nach oben. Sebastian ließ sie vorbei, stolz, dass er den Eindringling lange genug aufgehalten hatte, damit seine Herren es sehen konnten. Die Tür war verschlossen. Ein paarmal klopfte sie dagegen, ehe Tanya mit geröteten Augen und tränenübersätem Gesicht aufmachte. Janet nahm sie in den Arm, bevor sie zu den Kindern ging und sie in den Schlaf wiegte. Das Mädchen setzte sich niedergeschlagen auf einen Stuhl und weinte.
Sebastian lief nach unten, wo er Daniel an die Wand gelehnt fand. Seine Krawatte war gelöst, die Haut gelb und nass. Er bemerkte einen neuen Geruch an ihm, eine faulige Version von Janets Parfüm. Der Mann starrte in den großen Spiegel. Ein Speichelfaden hing an seiner Unterlippe. Sebastian näherte sich ihm, in der Hoffnung auf eine Erklärung, doch er stieß ihn mit dem Fuß beiseite. Der Kater stand fassungslos da.
Unterdessen begleitete Janet das verstörte Mädchen nach draußen. Danach wechselten sie und Daniel böse Worte. Jahre später glaubte sich Mort(e) zu entsinnen, dass sie etwas äußerte wie: Deine Katze zeigt mehr Interesse an den Kindern als du!
Dann musste sie etwas über sein Trinken gesagt haben. Seine verärgerte Antwort ignorierte sie. Trotz dem Daniel schon beim ersten Schritt stolperte, schaffte er es in sein Zimmer und schlief sofort ein.
Im Haus wurde es still. Sebastian dachte darüber nach, was passierte. Er selbst war der Feind, der Eindringling, ein Inventar des Hauses, um nicht zu sagen ein Gefangener darin. Sie hatten ihn verstümmelt, sodass er es nur scheinbar schützen konnte. Er stellte sich die sich endlos dehnenden Tage, die noch vor ihm lagen. Ihm wurde klar, dass er allein an diesem Ort sterben würde.
Als der Gedanke verging, lief er zum Fenster. Tanya war fort und Janet sprach in der Einfahrt wieder mit dem Nachbarn. Die Hündin stand bei ihm. Diesmal musste Sebastian nicht auf den Blickkontakt warten. Sie starrte ihn wedelnden Schwanzes an. Hunde schienen unfähig, ihre Schwänze zu kontrollieren.
Nach ein paar Minuten saßen Janet und der Mann am Küchentisch. Sie schlürfte Tee und lachte mit ihm, wie Jahre zuvor mit Daniel. Sebastian fehlte die Energie, einen weiteren Fremden zu stellen. Außerdem war er zufrieden mit seinem Fensterplatz. Sheba blieb vor dem Haus, ihre Leine umwickelte den Türknauf.
Das Glas trennte sie beide. Sebastian kam näher. Sheba drückte ihre Pfote an das Fenster und leckte es in dem vergeblichen Versuch, an sein Gesicht zu kommen. Er beschnupperte die Speichelspuren, konnte aber nichts riechen. Die Nacht brach herein, während die zwei Menschen einander Geschichten und Witze erzählten. Es dauerte nicht lange, bis all die abendlichen Ereignisse vergessen waren, ersetzt durch Shebas warme, braune Augen und die leckende Zunge.
Ein neues Ritual begann. Mehrere Abende die Woche fuhr Daniel für Kurse zum örtlichen Community College. Janet brachte die Kinder ins Bett. Danach schlich der Nachbar mit Sheba im Schlepptau durch den Vorgarten, manchmal nur Sekunden, nachdem Daniels Auto die Einfahrt verlassen hatte. Janet begrüßte sie in der Küche, zuerst die Hündin mit einer tätschelnden Hand, dann den Mann mit einem leidenschaftlichen, verlangenden Kuss. Einmal dauerte er so lange, dass Sheba sie anbellte. Nach einem Smalltalk zogen sie sich ins Elternschlafzimmer zurück.
Sebastian beobachtete sie von einem Platz auf dem Wandschrank. Der Nachbar sah aus der Nähe ganz anders aus als Daniel. Sein Herr mit der wachsenden kahlen Stelle auf dem Kopf war kurz und dick, dieser Mann groß und schlank. Er hatte einen dunkleren Teint und trug seine Haare in langen, beinahe seilartigen Strähnen. Sein Name lautete Tristan und er war Literaturprofessor am nahegelegenen College. Sebastian verstand nicht, wie ein solcher Mann das Objekt von Janets Begierden sein konnte, wenn ihr Ehemann eindeutig der Beschützer des Hauses war.
Bevor die beiden verschwanden, band Tristan Shebas Leine um das Bein des Küchentischs. Sie jammerte ein wenig. Der Mann kam zurück, um sie zu beruhigen. Janet hakte einen Finger in seine Gürtelschlaufe und zog ihn Richtung Treppen, damit er von seinem winselnden Haustier abließ. Sebastian erkannte, dass diese Hündin nicht alleingelassen werden konnte. Sie hing zu sehr an ihrem Herrn. Janet musste sich geweigert haben, Tristan zu Hause aufzusuchen, denn die Kinder zurückzulassen, wäre schlimmer die Anwesenheit eines Hundes.
Sebastian hörte Bewegungen in der zweiten Etage. Sheba blickte hinauf zur Decke. Er wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Das Fenster hatte eine sichere Barriere zwischen ihnen geschaffen, und er war nicht bereit, der Fremden ohne es nahe zu kommen, so faszinierend sie auch sein mochte. Er beschränkte sich darauf, sie aus der Ferne zu betrachten, bis Tristan zurückkam und mit ihr rausging.
Bei Shebas nächstem Besuch urinierte sie auf den Küchenboden. Janet schrie auf, als sie das Chaos vorfand und raufte sich die Haare, während die Pfütze über den Teppich zur Tür kroch. Tristan versuchte, sie zu beruhigen. Er verließ den Raum, was Sheba vor Qual heulen ließ. Sie klang wie ein Kind. Sebastians Ohren drehten bei dem Geschrei nach hinten. Kein Wunder, dass ihr Herr sie mitschleppte, wenn er rüberkam; sie hätte die ganze Nachbarschaft darauf aufmerksam gemacht, was hier passierte.
Tristan kehrte mit einer Rolle Papiertücher in einer Hand, einer Plastikflasche mit grüner, schaumiger Flüssigkeit in der anderen, einem Paar Gummihandschuhe in der Hosentasche und einem Mopp unter dem Arm zurück. Er entfernte den Teppich und reinigte alles so gründlich, dass selbst Sebastian nichts mehr roch. Am folgenden Abend begrüßte Daniel ein neuer Teppich, als er von der Arbeit nach Hause kam.
Nach diesem Vorfall wurde die Hündin in den Keller gebracht. Wenn ihr ein weiteres Malheur passierte, wäre es leichter zu beseitigen und zu verheimlichen. Sebastian wartete darauf, dass Tristan und Janet im Schlafzimmer mit ihren Geräuschen begannen. Dann besuchte er Sheba.
Sie starrte ihn an, während er auf und ab ging. Als er in Reichweite kam, beschnupperte sie ihn. Er rätselte, wie sich ihre Zunge wohl anfühlte, und auf einmal leckte sie ihm über die Stirn bis in den Nacken. Sebastian wich zurück. Sie trat auf ihn zu, doch die Leine bremste sie. Er rieb mit seinen Pfoten über den Kopf, bis er trocken war, bevor er erneut auf sie zuging. Sie leckte ihn wieder, diesmal sanfter. Er schmiegte sich an sie, spürte, wie ihr Fell mit