MORT(E). Robert Repino. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Repino
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958354173
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an etwas anderes zu denken, konnte aber nicht aufhören, sie sich an denselben Mast gebunden vorzustellen mit der Frage, wie sie nach Hause kommen sollte.

       Sebastian erwachte mit dem Morgen. Seine Augen waren offen, jedoch nicht in der Lage zu fokussieren. Etwas Nasses und Kaltes berührte seine Lippen. Er drehte seinen Kopf weg.

      »Komm schon«, ermunterte ihn eine Stimme. »Du musst essen.«

      Es war der schwarz-weiße Kater, der am Tag zuvor gegluckst und leise gelacht hatte. Er hielt einen Löffel an Sebastians Mund, um ihn dazu zu bringen, etwas Thunfisch zu essen. Eine chirurgische Maske und eine Brille verbargen sein Gesicht. Die Gummihandschuhe, die er trug, waren für Menschen gemacht und wie eine schlecht sitzende Haut an seinen knubbeligen Knöcheln. Eine schwarze Binde mit einem roten Kreis umwickelte seinen linken Oberarm. In diesem Kreis sah er die Zeichnung eines Tieres, das er nicht kannte, eine geflügelte Katze mit menschlichem Gesicht.

      Die Reihe Katzen blieb auf dem Gebäude stehen. Ihr Fell glänzte in der Sonne.

      »Warum?«, murmelte er. »Warum bin ich hier?«

      »Das ist eine recht existenzielle Frage«, antwortete der Kater und drückte den Löffel an Sebastians Lippen. Dieser gab schließlich nach und schluckte den Brocken Fisch herunter. Dann schaufelte er eine weitere Portion auf und schob sie in seinen Mund.

      Existenziell, dachte er. Das Wort bedeutete nichts für ihn. Hatte es mit Existenz zu tun? Jedoch fiel alles unter diese Kategorie. Der Kater spielte mit ihm.

      »Lass mich frei.«

      »Kann nicht. Wir müssen dich überwachen.«

      »Wieso?«

      »Du könntest infiziert sein«, antwortete er, als hätte ein Idiot gefragt.

      »Womit infiziert?«, fragte Sebastian noch kauend.

      »EMSAH.«

      »Was ist EMSAH?«

      Der Kater starrte ihn an. Er stellte die Dose Thunfisch beiseite und drehte sich zum öffentlichen Gebäude um. »Er sagt, er weiß nicht, was EMSAH ist!«

      Auf dem Dach trat die schwarze Kätzin näher an den Rand. Sie bedeutete ihm weiterzumachen, und verschränkte dann die Arme.

      Der Kater zog eine Flasche aus seinem Rucksack, die er Sebastian hinhielt. Er ließ seine Zunge hängen und leckte das Wasser.

      »Die Menschen infizierten die Tiere mit einem Virus, nachdem wir schlau geworden waren.« Er tippte mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Es ist eine Art Waffe, eine Biowaffe. Das Virus löst deine vitalen Systeme auf, macht dich verrückt. Wir wissen nicht genau, wie ansteckend es ist. Und es gibt keine Heilung.«

      Sebastian hörte auf zu trinken. »Mir geht's gut.«

      »Leute, denen es gut geht, kampieren nicht im Freien in der Stadt und schreien grundlos ‘Sheba'. Das klingt für mich nach EMSAH.« Der Kater überlegte, die Flasche in den Rucksack zu stecken, ließ sie aber neben Sebastian stehen. »Ich füttere dich heute Abend wieder. Solltest du nicht infiziert sein, warte einfach. Wir werden es schon früh genug erfahren.«

      Sebastian bat ihn, zu bleiben, aber der Kater ignorierte ihn und ging. Alles war wieder ruhig. Die Sonne rollte über den Himmel und die Katzen verweilten auf dem Dach.

      Am nächsten Tag ging es weiter. Der schwarz-weiße Kater fütterte ihn, während er seine Schutzausrüstung trug, und kehrte dann in den sicheren Abstand des Gebäudes zurück. Ob er medizinische Fachkenntnisse besaß, blieb unklar.

      Sebastian erfuhr mehr über EMSAH. Der “Arzt“ erzählte ihm, dass die Soldaten einem Rudel infizierter Hunde begegnet waren und die armen Tiere von ihrem Elend erlösen mussten. Im Gegensatz zu Sebastian zeigten sie alle äußerlichen Anzeichen der Krankheit: Schaum vorm Maul, geplatzte Blutgefäße in den Augen uns offene Wunden, die sich durch ständiges Kratzen verschlimmerten. Letzteres Symptom variierte von Spezies zu Spezies. Katzen zerkratzten sich oft bis zur Unkenntlichkeit und erblindeten manchmal sogar, weil sie in ihre eigenen Augen krallten. Sebastian beharrte darauf, dass er keines dieser Symptome hatte.

      »Genau das ist so merkwürdig«, meinte er. »Du hast keines dieser Anzeichen und doch bist du hier draußen ganz allein und sprichst mit dir selbst. Als hättest du die Krankheit übersprungen und wärst direkt verrückt geworden. Ich kann kein Risiko eingehen.«

      Laut des Katers war das der interessanteste Teil des Virus. Im Endstadium vernetzte es das Gehirn komplett neu. Ein Betroffener konnte zu einem katatonischen Zombie oder zu einem Psychopathen werden. Zu oft trat Letzteres ein, daher die Notwendigkeit, die Hunde zu töten. Die Katzen ließen Sebastian am Leben, weil sie Informationen über die Biowaffe brauchten. Jegliche Abweichungen mussten aufgezeichnet und untersucht werden. Der ganze Krieg konnte von einem einzigen Durchbruch einer unerwarteten Quelle abhängen.

      »Hier sind die guten Neuigkeiten: Wenn du EMSAH hast, darfst du die erste Katze sein, die ich viviseziere. Die Ameisen beseitigen in der Regel alle Leichen, weil es natürlich sicherer ist, also wird das meine erste Gelegenheit sein, die Krankheit aus der Nähe zu begutachten.«

      Sebastian ignorierte das und stellte sich stattdessen die infizierten Hunde vor. Waren sie aufrecht gegangen? Waren sie aufgereiht und erschossen worden? Gehörte Sheba zu ihnen? Und war er dazu verdammt, jedes Mal an sie zu denken, wenn jemand einen Hund erwähnte?

      Der Kater fragte ihn nach seinem Namen. Er antwortete, dass er keinen hätte. »Aber du warst doch ein Haustier, oder? Ich meine, deine Krallen wurden gestutzt. Und du bist ein Unterdrückter.« Er deutete auf Sebastians Genitalien.

      Unterdrückter, schlussfolgerte er, musste kastriert bedeuten. »Ich habe keinen Namen«, wiederholte er.

      »Ich heiße Tiberius und war auch ein Haustier, für ein Weilchen. Aber ich war schon zwei Jahre vor dem Krieg auf mich allein gestellt gewesen.« Er deutete zu seinen Freunden, die noch auf dem Dach standen. »Wir lebten alle bis zu einem gewissen Grad in der Wildnis. Also kannst du darauf setzen, dass Tiberius nicht mein Sklavenname ist. Ich habe ihn selbst gewählt. Wenn du das hier überlebst, darfst du dir ebenfalls deinen eigenen Namen aussuchen.«

      »Wenn ich es überlebe?«

      »Solltest du EMSAH haben, wirst du es nicht wollen, glaub mir.«

      Tiberius wies Sebastian darauf hin, dass ihn sein Status als Unterdrückter noch verdächtiger machte. Kastrierte Tiere oder ehemalige Haustiere waren Gerüchten zufolge anfälliger für das Virus. Das wurde natürlich nie bestätigt, aber Tiberius musste auf alles vorbereitet sein.

      »Leute wie wir müssen besonders hart arbeiten, um jedermanns Vertrauen zu verdienen.«

      »Wie lange wollt ihr mich hier festhalten?«

      »Bis Culdesac zurückkommt. Er ist der Boss.«

      Sebastian wollte wissen, wann das sein würde. Tiberius antwortete, dass Culdesac seine eigene Zeit hätte.

      »Er spricht für die Kolonie.«

      »Die Kolonie?«

      »Die Ameisen. Weißt du denn gar nichts? Die Königin hat den Krieg begonnen. Wir sind Soldaten, die dabei helfen, ihn zu Ende zu führen. Im Gegenzug erhalten wir die Verantwortung für die Oberfläche.«

      Sebastian wusste natürlich von den Ameisen, doch die weggeworfenen Zeitungen und Plakate hatten nie die Wörter Kolonie oder Königin benutzt. Es gab nur stumpfsinnige Horden tobender Insekten ohne Ziel oder Reue.

      »Warum hat die Königin einen Krieg begonnen?«, wollte Sebastian wissen.

      »Weil die Menschen gefährlich sind. Ich habe dir ja schon von EMSAH erzählt. Und das ist eines der kleineren Verbrechen an uns. Wir bekämpfen sie oder sterben als ihre Sklaven. Vielleicht möchtest du dich uns anschließen.«

      »Nein.«

      »Ich meine natürlich nur, falls ich dich am Ende nicht seziere.«

      »Nein.«

      Tiberius