In der Tat, mhm, jawohl, ich bin gekommen, um Sie zu töten, Sir.
Bald hatten die Tiere eine rasch wachsende Armee gebildet. Einige ehemalige Haustiere hatten gehadert, doch die Beweislast war zu erdrückend gewesen. Die Menschen hatten sie gegessen, ihnen Milch und Eier gestohlen, waren in ihr Land eingedrungen und hatten ihre Körper verstümmelt, um sie zu geeigneteren Schoßtieren zu machen. Die Königin hingegen hatten ihnen das Gefühl einer Bestimmung geboten, einer Zukunft. Wie die Alphas würden sie wissen, wer sie erhoben hatte und dass es eine Göttin auf Erden gab.
Die Zeremonie für die Alphas war fast abgeschlossen. Die Arbeiterinnen versammelten sich in Hufeisenform vor Hymenoptera und warteten auf die endgültige Freigabe, ehe sie ihrem Schicksal entgegenliefen. Es gab nur eine Tochter, die sie noch halten musste. Sie war kleiner als üblich, aber rege und wand sich in den Armen der Königin. Während die neuen Soldatinnen durch ihre Dienste ermutigt schienen, war sie selbst vom Wiedererleben der Geschichte erschöpft. Diese wenigen Augenblicke mit ihren Töchtern waren länger als die mit ihrer eigenen Mutter. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Das fortwährende Rumpeln an der Oberfläche erinnerte sie daran, was auf dem Spiel stand: Jahrhunderte der Planung, die Einnahme einer ganzen Welt, ein unerbittlicher Feind am Rande der Ausrottung. Sie durfte ihr Volk nicht enttäuschen, so wie ihre Großmutter es einst tat.
Die Fühler der Königin berührten die Kleine. Wieder begann die Geschichte in ihrem ermatteten Gehirn: Die Kriege, die Männer mit den Sandalen, der ölige Geruch des Todes und die Außenseiterin, die Aufgegebene, die sich durch die Zeit nach ihr ausstreckte. All das gab sie dieser Soldatin, einschließlich der letzten Momente im Leben ihrer Mutter, als Hymenoptera mit dem Mord ihre Pflicht erfüllen musste.
Ein weiterer Schlag erschütterte die Decke. Die Arbeiterinnen warteten darauf, dass die Königin ihnen diese letzte Tochter überreichte, aber sie war nicht überzeugt, dass die jüngste Brut den Preis verstand, der gezahlt werden musste, jenes Opfer, das sie nunmehr seit Generationen erbrachte.
Und so hob sie ihr Kind an ihre Kiefer und zermalmte seinen Schädel. Ein knirschendes Echo hallte durch die Kammer. Alle blieben ruhig. Niemand wagte es, auch nur den Kopf oder einen Fühler zu strecken. Welch Vergnügen dieser Akt der Königin auch bereitet haben mochte, es war von kurzer Dauer, wurde ersetzt durch eine bedrückende Einsamkeit. Sie war die Kolonie, gehörte aber nicht zu ihr. Vielleicht würde dieses Experiment mehr hervorbringen als nur sprechende Tiere, und anstelle dessen Wesen erschaffen, die ihrer und der Außenseiterin würdig waren. Doch bis dahin bliebe sie allein.
Nachdem sie die Reste ihrer Tochter verschlungen hatte, ließ sie die Arbeiterinnen lange in Achtung stehen, bevor sie sie schließlich fortschickte. Nachdem sie gegangen waren, setzte sie sich in die Dunkelheit und dachte an ihre Mutter.
Kapitel 3 | Die Red Sphinx
Zwei Monate. Zwei Monate schon suchte er nach ihr, innerhalb und außerhalb der zerstörten Stadt. Er ging jedem Lüftchen nach, untersuchte jeden Fußabdruck, jede weggeworfene Lebensmittelkonserve in der Hoffnung, ihren Geruch zu finden. Doch es gab keine Spur.
Wie lange war es her, dass er etwas gegessen hatte? Sebastian wusste es nicht. Ein paar Tage wahrscheinlich. Aber er besaß noch die Energie, jeden Morgen die Stufen eines ausgebrannten Wolkenkratzers zu erklimmen, von dessen Dach aus er einen Rundumblick auf die skelettierte Stadt erhielt. Das Gebäude war ein Stahl-und-Glas-Obelisk im Herzen von Downtown. Geplatzte Fenster hinterließen Lücken in der reflektierenden Oberfläche, sobald die Sonne aufging. Es glich einem Mund, dem Zähne fehlten. Durch diese Löcher blickte Sebastian wie ein einsamer König, der sein wertloses Land betrachtete.
Er hakte die Tage auf einer abwischbaren Tafel ab, die die Menschen zurückgelassen hatten, die hier gearbeitet hatten. Diese Leute waren wie er gewesen, vermutete er. Sie hatten eine Routine genossen, die sie für eine unbestimmte Zeit angenommen hatten. Und dann waren sie um ihr Leben gerannt. Möglicherweise verdienten sie es. Möglicherweise verdiente er es ebenso.
Die Zeit lief in lebendigen Momenten ab, unterbrochen durch Leerstellen: Die infizierte Wunde in seiner Seite verbinden, dann Schwärze. Durch die Straßen trotten, verlassene Autos überprüfen und oftmals einen Menschen darin finden, der sich in die Schläfe geschossen hatte, während die andere Hand das Lenkrad umklammerte. Dann mehr Schwärze. Eine Dose Thunfisch aufbrechen und den ranzigen Inhalt verschlingen. Eine fette Kakerlake aus den Trümmern fischen und in einem Stück herunterschlucken. Abermals Schwärze. Barmherziger Schlaf, Vergesslichkeit und Vergessenheit.
Währenddessen lernte er. Sebastian kannte jetzt den Unterschied zwischen dem Wissen, das er erworben hatte und dem, das ihm irgendwie verliehen worden war. Das Lesen alter Zeitungen und das Hören einer sich wiederholenden Notfallübertragung aus einem Aufziehradio bestätigte, was Daniel über den Krieg, die Ameisen und die Tiere erzählt hatte. Danach mündete die Sendung stets in einen ununterbrochenen Song-Block mit Texten über Liebe: She loves you, yeah, yeah, yeah. Sie klangen alle gleich glücklich und ignorant gegenüber des drohenden Untergangs. Und dann begann die Schleife mit einer ernsten Männerstimme erneut, die vor dem Verhängnis warnte.
Sebastian las, was er finden konnte, fühlte die Wörterliste in seinem Kopf wachsen wie Unkraut, wie Pilze. Dieses Gleichnis verwendete er nach dem Studieren eines Biologielehrbuchs. In mehreren Gebäuden der Stadt gab es Wände aus Büchern, die bis zur Decke reichten. Unter den Bänden fand er ein paar, die ihm gefielen, Geschichten von Rittern und Drachen. Es gab auch Comics und Bücher voller Zahlen und Gleichungen. Informationen auf diese Weise zu erwerben, war so fremdartig. Es fühlte sich wie Diebstahl an. Manchmal las er eine Passage und erwartete, dass die Wörter, absorbiert von seinem Geist, von der Seite verschwanden. Er spürte auch, dass er wertvolle Zeit vergeudete. Während er in Bilderbänden über Männer mit Umhängen schmökerte, lag Sheba irgendwo im Sterben. Aber er bekam von den Texten kaum genug und schlief immer weniger, da er es nicht erwarten konnte, wieder zu lesen. Es war enorm erleichternd, dass die Bücher noch da waren, wenn er die Augen öffnete.
Doch neben diesen erworbenen Kenntnissen gab es Dinge, die in seinen Kopf gepflanzt worden waren: Zahlen, ein rudimentäres Vokabular, die Namen von Spezies und Basenpaare der DNA. Sebastian war sich nicht mal sicher, was DNA sein sollte. Er bestand daraus, vermutete er, oder sie bestand aus kleinen Teilen von ihm. Er wusste es nicht genau. Machten Menschen dies den ganzen Tag lang durch? Wurden ihre enormen Gehirne von trivialen Fakten gequält, die sie weder verstehen noch vergessen konnten? Falls ja, machte es Sinn, dass solche wie Daniel verrückt wurden.
An dem Tag, an dem er seinen Herrn getötet hatte, hatte sich Sebastian inmitten der Evakuierung auf den Weg zur Stadt gemacht. Überall hatte er Menschen und Fahrzeuge mit Gepäck auf den Dächern und in den Kofferräumen gesehen. Militärtransporter hatten ausdruckslose Marines an die Front gebracht. Flüchtlingsgruppen waren mitunter zu betäubt gewesen, um sich über eine riesige Katze mit Gewehr zu wundern, die ihre Hand auf eine blutende Wunde an den Rippen drückte. Soldaten hatten gigantische, durch Beton und Asphalt gebrochene Ameisenhügel in Brand gesteckt.
Als Sebastian tote Tiere am Straßenrand ausgemacht hatte, hatte er beschlossen, Abstand von den Menschen zu halten. Schließlich befand er sich in feindlichem Gebiet. Bei seiner Ankunft in der Stadt hatte er in dem Wolkenkratzer Unterschlupf gesucht, um sich von seinem Kampf mit Daniel zu erholen. Der Blutverlust und das Fieber infolge einer Infektion hatten ihn gezwungen, sich mehrere Tage auszuruhen.
Als er fit genug war, um die Suche wieder aufzunehmen, hatte er die Stadt nahezu gänzlich aufgegeben vorgefunden. Und ihm war eine neue Kreatur begegnet: eine Ameise in der Größe eines Volkswagens. Sie war auf ihren Hinterbeinen über den Bürgersteig marschiert. Sebastian hatte sich hinter einem Bus versteckt.