Wie war das nun, Armando? Glaubten die Leute wirklich, eine Erscheinung zu sehen? Oder scheuten sie sich nur, zu gestehen, dass sie nichts sahen?
Er zuckte die Achseln: Ich weiß nur, dass ich selber nichts sah gar nichts. Neanche un pipistrello. (Nicht einmal eine Fledermaus).
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Zu den Besonderheiten der Volksart gehört die überragende Stellung der Frau. Dass alle Häuser nach der Frau genannt werden, ist nicht wie bei den Villen der Fremden eine dem zartren Geschlechte dargebrachte Huldigung, sondern der Ausdruck eines wirklichen, wenn auch nicht amtlich festgelegten, so doch die Vorstellung beherrschenden Sachverhalts: in Forte de’ Marmi gehört das Haus der Frau. Im gleichen Sinne ist sie auch das Haupt der Familie; ein Kind, das man fragt, wem es gehöre, wird unweigerlich antworten: der Rosina, der Filomena oder wie sonst seine Mutter heißen mag, was auch allgemein für den Verkehr genügt, höchstens dass noch zur näheren Bezeichnung gelegentlich ihr Mädchenname hinzugefügt wird, den sie ihr Leben lang beibehält. Der Ehemann muss schon eine Persönlichkeit von Gewicht sein, wenn er gleichfalls genannt wird. Ein besonders drolliges Beispiel lieferte ein Schnitter, ein segatore, nach welchem seine Frau zunächst die segatora hieß. Das hatte nun die Folge, dass er selber im Volksmund nicht mehr der segatore, sondern nur noch der Mann der segatora war.
Wenn unter den Männern Streit ausbricht, so brauchen sich nur die Frauen dazwischenzustellen, und der Zank hört auf – per rispetto alle donne (aus Achtung vor den Frauen), wie mir die zuverlässigste Zeugin aus dem Ort versichert. Der Grund für diese volkstümliche Form des Mutterrechts ist der gleiche, den Bachofen für die überragende Stellung der Spartanerinnen angibt: dass die Männer das ganze Jahr auf Kriegszügen abwesend sind, was in unserem Falle durch die langen Seefahrten ersetzt wird. Damit hängt es wohl auch zusammen, dass häufig die Frau älter ist als der Mann, wodurch die häuslichen Belange, die ausschließlich in Frauenhänden liegen, besser gesichert sind.
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Forte dei Marmi, seliges, zur Wahrheit gewordenes Wunschland, das ich selber mit erschaffen half! Was wäre mein Leben ohne dich geworden? Du hast die bange Menschenseele auf ewig dem großen Meere vermählt, das ihr die kleinen Kümmernisse und Ängste wegspülte und ihr die Kraft gab für das umgetriebene Leben und für das einsame Werk. Ich nahm es fortan mit mir, wohin ich ging. Darum soll dieser Teil meiner Rückschau mit einem Hochgesang auf das Meer schließen, wie er begonnen hat:
O tief im Lande bei Nacht und Tag
Vernehm’ ich des Meeres Wellenschlag.
Ich seh’s, wie es phosphorn im Mondlicht ruht,
Sich in Buchten schmiegt oder brüllt vor Wut
Und mit lautem Guß, wenn der Sturm vergrollt,
Kies und Muscheln zum Strande rollt.
Seine Rhythmen furchtbar und feierlich,
Seine Weltgesänge durchbrausen mich
Und das Sehnen des Busens, der ewig wallt
Nach der blassen, wandelnden Lichtgestalt.
O wär’ ich der schimmernde Albatros,
Der König der Meere, des Sturms Genoss!
Am Kap der Winde wär’ ich zu Haus,
Dort jagt’ ich und ruht’ auf den Wogen aus,
Und ich hörte des Eisbergs Donnergekrach,
Dem Golfstrom zög’ ich, den Winden nach. –
Im Tal, auf Bergen und wo ich sei,
Nach dem Meere schwebt meine Seele frei,
Sie haust auf Klippen, der Welt entfernt,
Sie atmet im Sturm und hat’s Fürchten verlernt
Und singt mit der Welle, die steigt und flieht,
Ihr uralt ewiges Sehnsuchtslied.
Vierzehntes Kapitel – Sonnenwende
Jetzt sehe ich mich wieder in Florenz in der schönsten Heimstätte, die ich je besessen habe und der ich heute noch ein wenig im Herzen nachtrauere. Sie liegt in der Via de’ Bardi, in einem Nebenbau des mit der geschichtlichen Vergangenheit von Florenz verknüpften Palazzo Capponi, und das Haus hat eine wunderbare Doppelaussicht, nach Norden über den unten fließenden Arno mit seinen Brücken und die ganze am rechten Flussufer gelagerte Stadt bis nach Fiesole und der vierfach geteilten Stirn des Monte Senario, die damals noch das dunkle Gelock ihrer prachtvollen Bewaldung trug, nicht ahnend, die schöne, wie bald sie der Geldsucht zum Opfer fallen würde. Von der Südseite, wo mein zweifensteriges Arbeitszimmer lag, sahen die hängenden verwilderten Gärten unterhalb der Costa San Giorgio herein. Meinem Fenster im zweiten Stockwerk gerade gegenüber stand – er steht noch heute – auf gleicher Höhe wie ein Wächter, einer beängstigend schmalen Mauer aufgepflanzt, ein Ritter aus Stein mit Helm und Schwert, augenscheinlich die Arbeit eines Steinmetzen, aber durchaus künstlerisch empfunden. Ich blickte jeden Abend noch einmal zu ihm hinüber und empfahl mich seiner tapferen Obhut, ihn selber aber allen guten Geistern, dass ihn kein Erdbeben über Nacht von seinem luftigen Standort herunterwerfe. Die weiträumige Wohnung mit den vielen Nebengelassen und ihren fantasievollen Unregelmäßigkeiten war wie für mich erfunden. Auf der Nordseite führte von dem großen Empfangszimmer, das auf den Arno blickt, linker Hand eine kleine Stufe in das tiefer liegende Schlafgemach, das durch eine große Glaswand in zwei Teile geschieden war und dem ein riesiges Glasfenster nach dem Flusse ganz und gar das Aussehen eines gläsernen Turmgemachs gab. Hier war die Außenwand durch eine kleine Tür durchbrochen, von der ein Treppchen zu der auf halber Höhe des Stockwerks gelegenen geräumigen Veranda führte, dem hochwillkommenen, gleich in Angriff genommenen Raum für einen Hausgarten, denn das Klima ließ damals noch das Überwintern edler Pflanzen im Freien zu. In dem hinausgebauten Glasgemach, das mir oft mit dem weiten Sternenhimmel darüber wie ein die Dunkelheit durchsegelndes Schiff erschien, hörte ich so gern vor dem Einschlafen dem wechsellosen Rinnen des Arno zu. Wie so verschieden die Stimme eines Flusses von dem mächtigen, vielstimmigen Orchester des Meeres, sie regt nicht an wie dieses, sie lullt durch ihre Eintönigkeit in Schlaf. Und beim Erwachen schon wieder der erste Blick auf die Harmonie eines Stadtbildes, wie die Welt kein zweites besitzt. Durch eine Reihe von Tagen war mein Entzücken über die neue Wohnung so groß, dass ich zu gar keiner Beschäftigung kam, ich ging immer von einer Seite zur anderen,