Heißer Atem wie Dampf
Sengt die schweigenden Felder,
Bang in den Riesenkampf
Blicken die Wälder.
Raum! Gib Raum! Und ins Wutgestöhn
Schmettern die Siegsfanfaren.
Hoch in Wipfel und Waldeshöh’n
Kommt der Westwind gefahren.
Dem Meere brüllt er: Steh auf!
Schnell gehorcht es dem Rufer,
Ganze Geschwader zuhauf
Wirft es ans Ufer.
Weh, was klirren die Scheiben so wild?
Balken und Ziegel schmettern.
Alles ruft er, was Menschengebild,
Auf zum Tanz mit den Wettern.
Hoch aus geborstenem Schlund
Fahren feurige Drachen,
Tief entblößen den Grund
Gähnende Rachen.
Wilde Gesichter aus Schaum und Flut
Tauchen empor und grinsen,
Lauter fordert des Meeres Wut
Seine verlornen Provinzen:
Alter, sei stark, sei stark!
Was das Land dir gestohlen,
Samt dem menschlichen Quark
Wollen wir’s holen!
Tief im Lande der Schwall und Schaum
Stürzender Wasserkolosse,
Springend weiden am Wiesensaum
Neptuns weißmähnige Rosse.
Wind und Wellentriumph!
Morgen wollen wir sehen.
Erde die spielt den Trumpf:
Schweigen und stehen.
In solchen Stunden hatte ich große Not mit meinem Mütterlein. Nichts auf der Welt fürchtete sie so wie die Gewitter, und zwar den Donner: die Blitze beängsteten sie weniger, weil sie schon da waren, ehe man sie kommen sah. Es blieb bei starken Entladungen nichts übrig, als sich mit ihr auf die Treppe zu setzen, an die Stelle, wohin bei tiefer Bewölkung keine Helligkeit fiel, und während ich sie im Arme hielt, mit lauter Stimme zu zweien ein kriegerisches Lied zu singen. Wenn das Gewitter sich hinzog, war es auch ungemein wirksam, selbander Schillers »Siegesfest« aufzusagen; schon das Aussprechen der großen heroischen Namen war neben dem Schwung des Rhythmus auf magische Weise stärkend, furchtvertreibend, und der jeder langen Strophe wie mit einem Häkchen angehängte kurze Abgesang setzte durch die Schwierigkeit, ihn zu behalten, die Denkkraft zwangsweise in Tätigkeit und zog von dem Himmelsvorgang ab. Meist war bei dem Zeilenpaar:
Morgen können wir’s nicht mehr,
Darum lasst uns heute leben –
der Himmel wieder hell und der mütterliche Puls in Ruhe. Das Schönste war jedes Mal nach ausgetobtem Sturm die erste Morgenfrühe, wenn der tolle Kraken sich wieder in sein Bette zurückgezogen hatte und nur noch in nachkochendem Groll mit dem Schwanz die Küstenböschung schlug, während der wiederberuhigte Seewind die geballten Schaumflocken wie lauter kleine weiße Mäuse am Ufer huschen ließ. An den feuchten Ablagerungen konnte man sehen, wie weit das Meer bei Nacht herausgetreten war. Jede angerauschte große Woge hinterließ einen feinen braunen Tangstreifen, einen hinter dem anderen, oft mit ziervollen, dem reichsten Spitzenwerk gleichenden Zeichnungen gesäumt. Denn die Natur mag nicht gerne etwas ungeschmückt lassen, auch nicht die Ausbrüche ihrer Wut, und oftmals habe ich mir einen Zeichner zur Stelle gewünscht, der die Geduld hätte, alle diese köstlichen Muster für Stickereien und andere kunstgewerbliche Arbeiten festzuhalten. Zuweilen auch war der feuchtere Sand am Wasser hin mit einem geflammten oder gewässerten Muster in großartigen Linien wie ein moirierter Seidenstoff gezeichnet, ein Beweis, dass der menschliche Geist auch nicht das kleinste Nebending erfinden kann, wozu die Vorlage nicht in der Natur vorhanden wäre.
Da fand man auch neben den wüsten, an weißumwallte Greisenköpfe erinnernden Quallen, die das Meer nach seinen nächtlichen Besuchen in Mengen ausspeit, noch reichlicher als jetzt die mannigfach geformten und gefärbten Muscheln, gewundene, geriefte, glatte, darunter die ganz dünnen, zartwandigen, rosaroten, die sich in Blumenschalen zu Rosetten ordnen ließen, und das allerliebenswürdigste Gebilde, die weißen glöckchenartigen, die sich massenhaft an Holzstückchen ansammeln, wo sie große Sträuße bilden, und die bei dem Strandvolk den poetischen Namen mughetti del mare (Maiglöckchen des Meeres) dieser täuschenden Ähnlichkeit wegen führen. Neben den Seesternen, die bei jeder Sturmflut in Mengen ausgeworfen werden, fand man auch gelegentlich noch die jetzt ganz verschwundenen entzückenden Seepferdchen, die die Vorstellung erregten, als müssten sich drunten in den blauen Tiefen kristallene Kindergärten befinden, wo die Kleinen der Meermenschen sich mit so köstlichem Spielzeug vergnügten. Die ausgeworfene Schulpe der Sepia gab müßigen Künstlerhänden Anlass, leichte Zeichnungen in ihr gebrechliches Gewände zu ritzen, ein Spiel, worin sich besonders Hildebrand, der niemals gänzlich feiern konnte, unermüdlich gefiel.
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Mehr als die plötzlich hereinbrechenden Tragödien des Meeres, auf die man jeden Sommer gefasst sein musste, erschütterte mich jedes Mal in der Ferienzeit ein Elendszug, der sich einmal im Tage den Strand entlang bewegte und mich an jenen Zug der Waisenkinder erinnerte, an dem mein Kindheitsglück zerbrach. Die Unglücklichen, die da hilflosen Schrittes einander haltend auf dem ungleichen Sandboden hinstolperten, waren noch ärmere Waisenkinder, sie waren die Waisen des Sonnenlichts. Es war mir immer, als müsste ich jeden einzelnen dieser Beraubten um Verzeihung bitten, dass ich im Überschwang besaß, wovon ihnen nur der Atem der Ferne die allerschwächste, sehnsüchtigste Ahnung vermitteln konnte. Und doch vermochte ich nicht einmal ihren Anblick aus der Nähe zu ertragen. Ich wusste mich nicht anders gegen die Erstickung zu wehren, als indem ich sie durch Wort und Reim zu bannen suchte; freilich eine Erlösung, die nur mir, nicht ihnen zugute kam. Unter alten Papieren finde ich ein Zeugnis dieses Eindruckes aufbewahrt.
Am Mittagsmeer bei der Südsonne Glast
Was wandelt ein Zug bei den Händen gefasst?
Männer und Frauen mit schwankendem Schritt,
Voran zwei Nonnen im grauen