Einsehen wollte er es indes nicht, sondern kämpfte mit allen Mitteln um den Erhalt des Hofes, schuftete von früh bis spät und gönnte sich selbst nichts.
Doch alles vergebens. Als zwei Jahre hintereinander die Ernte schlecht ausfiel und dann auch noch das Feuer, ausgelöst durch einen Blitzschlag, ausbrach, da konnte es keine Rettung mehr geben. Wolfgang bemühte sich zwar in Gesprächen mit der Bank, einen weiteren Aufschub, einen Kredit sogar, zu bekommen, doch man winkte nur ab. Zu schlecht waren die Prognosen, die Wirtschaftsberater und Unternehmensfachleute ihm bescheinigten. Die Bank hatte Angst um ihr Geld und wollte deshalb den Hof zwangsversteigern lassen, um somit wenigstens einen Teil zurückzubekommen.
Der Gerichtsvollzieher hämmerte gegen die Tür. Wolfgang Pahlinger schob die Gardine einen Spalt zurück und lugte hindurch. Vor dem großen Wagen standen zwei muskelbepackte Möbelträger und warteten ab, was geschehen würde. Für sie war es nicht das erste Mal, daß sie eine Wohnung oder ein Haus zwangsräumten. Wolfgang ahnte, daß er gegen die beiden nicht würde ankommen können. Er öffnete das Fenster und schob den Lauf seiner Flinte hindurch.
»Verschwindet von meinem Grund und Boden!« rief er mit scharfer Stimme.
Franz Reiter war, als das Fenster geöffnet wurde, einen Schritt zurückgetreten. Mit Schrecken sah er den Gewehrlauf auf sich gerichtet.
»Machen S’ keine Dummheiten, Herr Pahlinger«, sagte er und versuchte, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben. »Die Räumung ist gerichtlich angeordnet. Sie machen sich strafbar, wenn Sie sich ihr widersetzen.«
»Verschwinden sollt ihr, hab’ ich gesagt!« rief der Bauer zurück. »Aber plötzlich, sonst kracht’s!«
Er zielte nach oben und drückte den Abzug, Der Knall ließ die Männer draußen zusammenzucken, und die beiden Möbelträger brachten sich rasch hinter ihrem Lkw in Deckung.
»Herr Pahlinger, sind Sie wahnsinnig geworden?« rief Franz Reiter aufgeregt. »Ich bringe Sie zur Anzeige. Dafür gehen S’ ins Gefängnis!«
Er erlebte es immer wieder, daß die Leute sich widersetzten, wenn sie ihre Wohnung räumen sollten, und manchmal kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Zu manchen Terminen nahm der Gerichtsvollzieher die Polizei mit, immer dann, wenn er ahnte, was da auf ihn zukommen könnte. Heute, wurde ihm klar, hätte er besser daran getan, nicht auf diesen Schutz zu verzichten.
»Das ist mir wurscht«, brüllte Wolfgang Pahlinger auf die Androhung der Gefängnisstrafe. »Ich zähl’ bis drei, dann seid ihr verschwunden, oder es wird ernst. Bitterernst!«
Er zählte laut, nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam. Bei Zwei saßen die Möbelpacker schon in ihrem Wagen und ließen den Motor an, bei Drei krachte ein neuer Schuß, und die Kugel schlug in die hohe Kastanie ein, die vor dem Haus stand. Es regnete Blätter und Äste, und Franz Reiter sprang fluchend in sein Auto.
»Das wird ein Nachspiel haben, Herr Pahlinger«, rief er wütend. »Verlassen S’ sich drauf!«
*
Der Gerichtsvollzieher war allerdings nicht weit gefahren. Er hielt wieder an und stieg aus, dann winkte er den Männern zu, die mit dem Möbelwagen an ihm vorbei wollten.
»Warten S’, noch ist die Sache hier net zu Ende«, sagte er grimmig und klopfte auf seine Aktentasche. »Hier drinnen ist ein gerichtlicher Räumungsbeschluß, und der wird durchgesetzt.«
Der Fahrer blickte ihn skeptisch an.
»Glauben S’ wirklich, daß Sie da was ausrichten können?« fragte er. »Der Kerl schießt uns über den Haufen, wenn wir noch mal auf den Hof fahren.«
Franz Reiter schüttelte den Kopf.
»Noch ist net aller Tage Abend«, entgegnete er und griff in seine Jackentasche. »Es gibt da einen Menschen, auf den wird der Pahlinger hören.«
Er hatte sein Handy herausgeholt und wählte die Nummer des Pfarrhauses in St. Johann. Vor ein paar Wochen hatte er mit dem Geistlichen gesprochen, als es darum ging, daß Wolfgang Pahlinger in absehbarer Zeit seinen Hof würde räumen müssen. Pfarrer Trenker hatte ihm seinerzeit angeboten, zu vermitteln, wenn es dabei zu Schwierigkeiten kommen würde.
Am besten bringt Hochwürden gleich seinen Bruder mit, dachte er, während er auf das Klingeln lauschte.
Es dauerte eine Weile, bis sich am anderen Ende jemand meldete.
»Grüß Gott, Hochwürden«, sagte der Gerichtsvollzieher aufgeregt. »Franz Reiter hier. Sie erinnern sich? – Ja, genau. Bitte, Hochwürden, könnten S’ zum Pahlingerhof kommen? Der Bauer spielt verrückt. Er hat sogar schon auf uns geschossen…!«
Sebastian Trenker war gerade im Pfarrgarten beschäftigt gewesen, als das Telefon klingelte. Seine Haushälterin hatte an diesem Morgen einen Termin bei Dr. Wiesinger, und darum dauerte es einen Moment, ehe er im Arbeitszimmer war. Als der Bergpfarrer jetzt diese Nachricht vernahm, erschrak er.
»Um Himmels willen!« entfuhr es ihm. »Ja, Herr Reiter, ich komm’ sofort. Bin schon unterwegs.«
»Bringen S’ gleich Ihren Bruder mit«, rief der Gerichtsvollzieher noch. »Ich laß den Kerl nämlich verhaften.«
Sebastian antwortete nicht mehr darauf. Er legte den Hörer auf die Gabel und band die grüne Gartenschürze ab, die er während der Arbeit getragen hatte. Dann schlüpfte er in seine Jacke und eilte hinaus.
Ist der Bursche denn von allen guten Geistern verlassen? fragte er sich, während er zu seinem Auto lief und einstieg. Schießt wie wild mit dem Gewehr in der Gegend umher!
So schnell es der Verkehr zuließ, fuhr er zu dem Berghof, der unterhalb des Koglermassivs lag, und erreichte ihn knapp zehn Minuten später. Schon von weitem sah er den Möbelwagen und die Männer, die davorstanden.
»Gut, daß Sie da sind, Hochwürden«, begrüßte Franz Reiter den Geistlichen. »Ist Ihr Bruder net mitgekommen?«
»Ich denk’, daß wir die Angelegenheit auch ohne polizeilichen Schutz regeln können.« Sebastian schüttelte den Kopf. »Lassen S’ mich erst mal mit dem Wolfgang alleine reden.«
Er ließ die Männer stehen und ging auf den Hof. Von dem Bauern war nichts zu sehen, aber Sebastian ahnte, daß Wolfgang Pahlinger noch immer hinter der Gardine stand und nach draußen schaute.
Er klopfte an die Tür.
»Ich bin’s, Wolfgang, Pfarrer Trenker«, rief er, obwohl er wußte, daß der ihn längst gesehen hatte. »Mach’ auf!«
Der Schlüssel wurde herumgedreht und die Tür aufgezogen. Bleich und unrasiert stand Wolfgang vor ihm und schaute Sebastian mit versteinertem Gesicht an. Die Flinte hielt er immer noch in den Händen, doch der Lauf zeigte nach unten.
»Mich bringt hier keiner raus«, drohte er. »Nur als Leich’!«
»Mach’ keinen Blödsinn«, erwiderte der Bergpfarrer unerschrocken und griff nach der Flinte. »Gib her.«
Ohne Widerstand ließ der Bauer sich das Gewehr abnehmen. Sebastian schob ihn beiseite und trat ein. Die beiden Männer sahen sich einen Moment schweigend an, dann schüttelte der Geistliche den Kopf.
»So geht’s net, Wolfgang«, sagte er. »Das ist keine Lösung, und du bringst dich durch dein Verhalten nur noch in größere Schwierigkeiten, als du ohnehin schon hast.«
Der junge Bauer stand mit hängenden Schultern da. In seinem Gesicht zuckte es.
»Noch schwieriger kann’s ja net mehr werden«, antwortete