Elke erzählte mit Bedauern, daß es heute schon ihr letzter Tag sein würde. Die Gruppe stammte aus dem Allgäu, und die junge Frau war die Freundin eines der Männer.
Jennys Herz klopfte vor Erleichterung, als sie erfuhr, daß es sich dabei nicht um Michael handelte. Allerdings war sie auch enttäuscht, zu hören, daß sie am nächsten Tag wieder abreisen würden.
Doch dann wurde sie hellhörig.
»Ich bleibe allerdings noch«, erklärte Michael Winter nämlich, und sein vielsagender Blick ruhte dabei auf der blonden Lehrerin.
Jennys Herz tat einen Hüpfer, und Lucie stieß die Freundin in die Seite.
»Sag’ ich doch«, raunte sie, »ihr zwei seid wie geschaffen füreinander…«
*
»Jetzt kann ich aber nicht mehr«, stöhnte Axel Kremer und hielt sich den Bauch. »So viel habe ich schon lange nicht mehr gegessen!«
Das konnten die anderen allerdings auch sagen. Aber es hatte auch zu gut geschmeckt, was der alte Senner ihnen aufgetischt hatte. Besonders die Käsespätzle hatten allgemeinen Beifall gefunden, und die beiden Freundinnen bekundeten ebenfalls, daß sie mehr gegessen hätten, als sie es sonst taten.
Michael wandte sich an Jenny.
»Woher kommt ihr denn?« wollte er wissen.
Sie erklärte, daß sie ursprünglich aus dem Rheinland stammte und sich hier mit ihrer besten Freundin getroffen habe.
»Ich wohne schon seit zwei Jahren in Hamburg«, fuhr sie fort. »Dort arbeite ich als Lehrerin.«
»Hamburg?« entfuhr es Michael ungläubig.
»Was ist daran so verwunderlich?«
Er schmunzelte.
»Eigentlich nix«, erwiderte er. »Es ist nur so, daß ich ab dem nächsten Monat auch dort leben werde…«
Jenny riß die Augen auf.
»Wirklich?«
Michael Winter nickte. Er hatte Informatik studiert und vor kurzem einen Job bei einer großen Hamburger Logistikfirma angenommen. Für seine Umsiedlung in die Hansestadt war schon alles in die Wege geleitet. Zur Zeit wohnte er noch bei seinen Eltern, in Memmingen, und der Urlaub hier, im Wachnertal, war ein Geschenk seiner Freunde, die sich damit von ihm verabschieden wollten.
Die junge Frau merkte, daß ihr tausend Gedanken durch den Kopf gingen. Natürlich war ihr längst klar, daß sie sich in ihren Lebensretter verliebt hatte, und die Tatsache, daß Michael demnächst ganz in ihrer Nähe wohnte, eröffnete ungeahnte Möglichkeiten.
Immerhin schien sie ihm auch nicht ganz gleichgültig zu sein…
Dennoch wollte sie erst einmal auf der Hut sein. Die Enttäuschung mit Jens steckte ihr immer noch in den Knochen und Jenny hatte fürchterliche Angst, noch einmal auf so einen Mann hereinzufallen.
Axel war inzwischen aufgestanden und spazierte um die Hütte herum. Er war froh, daß die Begegnung mit Lucie einigermaßen glimpflich verlaufen war. Immerhin hatte es bisher nicht die heftigen Wortattacken gegeben, die sonst zwischen ihnen an der Tagesordnung waren.
Aber würde diese gemeinsame Bergtour überhaupt etwas zwischen ihnen ändern?
Schließlich war da noch Harald Stern…
Aber vielleicht täuschte er sich ja. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß die Beziehung der beiden doch nicht so eng war, wie er vermutete. Er war jedenfalls erleichtert gewesen, als er das Gespräch zwischen Lucie und der Kollegin mitbekam und hörte, daß seine Angebetete sich mit der Freundin für einen gemeinsamen Urlaub verabredet hatte und nicht mit Harald.
Der junge Lehrer stand am Zaun, der den kleinen Garten vor Wildtieren schützte, und schaute zu den Bergen hinauf, als könne er dort oben die Antwort auf seine Frage ablesen. Als er neben Lucie saß, war es ihm wie der schönste Augenblick seines Lebens vorgekommen. Sie hatten sogar ein paar Worte miteinander gewechselt, und einmal mußte sie über eine seiner Bemerkungen herzhaft lachen.
Axel hörte Schritte und schaute sich um. Sein Herz schien auszusetzen, als er Lucie erkannte, die sich ihm langsam näherte.
»Schön hier, nicht wahr?« sagte sie, als sie neben ihm stand.
Er nickte.
»Ja, wirklich einmalig. Ich komme immer wieder gerne her.«
Er sah sie an.
»Eigentlich hätten wir uns doch schon viel eher mal über den Weg laufen müssen, wenn ihr, du und Jenny und eure Eltern, hier immer Urlaub gemacht habt.«
Lucie zuckte die Schultern.
»Ach, das ist ja schon eine Weile her.«
Axel nickte verstehend.
Lucie lehnte sich an den Zaun und sah ihn an.
»Ich bin froh, daß wir das Kriegsbeil endlich begraben haben«, sagte sie.
»Ich auch«, lächelte er und erwiderte ihren Blick.
Ein Blick, in dem soviel Liebe und Zärtlichkeit lag, daß Lucie zusammenschrak.
Er liebt mich ja wirklich, ging es ihr durch den Kopf.
»Lucie, ich…«
Axel brach ab. Er konnte nicht mehr weiterreden. Sie zitterte am ganzen Körper, als er ihre Hand nahm und sie zu sich heranzog.
»Ich glaube, wir beide waren rechte Dummköpfe, weil wir uns gegenseitig das Leben so schwer gemacht haben«, sagte er endlich, wobei seine Stimme zitterte. »Dabei habe ich dich doch vom ersten Augenblick an gemocht. Aber ich war so unsicher, und diese Unsicherheit hast du als Arroganz ausgelegt. Ein falsches Wort hier, eine dumme Bemerkung dort, und alles lief verkehrt. Doch du mußt mir glauben, daß ich keines meiner Worte so gemeint habe, wie du sie gehört hast.«
Jetzt standen sie ganz dicht beieinander, und immer noch hielt er ihre Hand.
»Ich liebe dich«, sagte Axel und schob den Gedanken an den möglichen Konkurrenten beiseite. »Vom ersten Tag an, und es tut mir unendlich leid, daß wir zwei uns so lange spinnefeind waren.«
In Lucies Kopf rauschte das Blut. Sie war unfähig, sich zu rühren, spürte nur seine Hand in der ihren und wartete auf den Kuß.
»Ich liebe dich doch auch, Axel«, flüsterte sie und lauschte dabei auf das Klopfen ihres Herzen.
Es klopfte im Rhythmus der Liebe, und als sie sich küßten, waren alle bösen Worte vergessen, die sie sich jemals an den Kopf geworfen hatten.
*
»Am Samstag ist ein Tanzabend, im Löwen«, bemerkte Michael.
»Ich weiß«, nickte Jenny.
»Und, wirst du hingehen?« wollte er wissen.
Wieder nickte sie, und ein freudiges Lächeln lief über sein Gesicht.
Inzwischen hatte sich die Sonnenterrasse wieder geleert. Die meisten Wanderer waren schon wieder auf dem Weg, hinunter ins Tal, und Michaels Freunde standen ebenfalls auf, um sich die Beine nach dem guten Essen zu vertreten. Pfarrer Trenker war bei Franz in der Hütte, und so saßen Jenny und Michael alleine an ihrem Tisch.
Als wären sie alte Bekannte, unterhielten sie sich über alles Mögliche, und je mehr sie redeten, um so mehr hatten sie das Gefühl, sich schon lange zu kennen.
»Wie lange bleibt ihr denn?« wollte Michael wissen.
»Noch fast vierzehn Tage«, erklärte Jenny. »Unser Urlaub hat ja gerade erst begonnen.«
»Prima«, freute er sich, »da können wir doch vielleicht mal gemeinsam etwas unternehmen…«
Die