Die zweifelhafte Miss DeLancey. Carolyn Miller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolyn Miller
Издательство: Bookwire
Серия: Regency-Romantik
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783775174862
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richtete sich auf und sah sie aufmerksam an, mit Augen so blau wie der Himmel.

      Der Mann. Ihr Retter. Der Mensch, der vermutlich ihr Geheimnis kannte und den sie auf gar keinen Fall wiedersehen wollte.

      »Entschuldigen Sie mich.«

      Sie drehte sich um und lief los, um die Ecke in den rettenden Hafen der Bibliothek, betend, dass er nicht den Mut hatte, ihr zu folgen.

Ornament

      Ben humpelte mühselig den Rest des Wegs nach Hause. Sein Besuch bei Kapitän Braithwaite war vergessen; er grübelte über die unerwartete Begegnung nach. Zwar hatte er sich nie als Frauenschwarm gesehen, doch er hatte es auch noch nicht erlebt, dass eine junge Dame buchstäblich vor ihm geflohen war. Und obwohl er nicht einmal entfernt ans Heiraten dachte – wie könnte ein mittelloser Krüppel sich das auch erlauben? –, gab es ihm doch ein wenig zu denken, dass nun schon zwei junge Damen im Laufe einer einzigen Woche vor ihm weggelaufen waren.

      Er öffnete das quietschende Tor, ging den mit Muschelschalen gesäumten Weg hinauf und betrat das Cottage, das er seit Kurzem sein Zuhause nannte. Seine Schwestern saßen im Wohnzimmer.

      »Benjie? Du bist schon zurück? Wie schade! Du hast sie ganz knapp verpasst!«

      »Wen verpasst?«

      »Miss DeLancey, weißt du denn nicht mehr? Sie ist zum Tee gekommen und … Benjie? Was ist denn? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

      »Keinen Geist.« Nur eine hübsche dunkelhaarige Dame mit den eindrucksvollsten grünen Augen, die man sich vorstellen konnte. Eindrucksvolle grüne Augen, die sie fast angstvoll aufgerissen hatte, als sie in ihn hineingelaufen war. Als hätte sie ihrerseits einen Geist gesehen. Er runzelte die Stirn. Warum kam ihm bei diesem Gedanken eine Erinnerung?

      Er schüttelte den Kopf und versuchte, seine Verwirrung abzuschütteln. Seine Schwestern sahen ihn neugierig an. Er räusperte sich. »Hattet ihr es schön zusammen?«

      »Oh ja!« Matties Gesicht leuchtete auf. »Zu Anfang war sie ein wenig zurückhaltend, aber dann wurde sie umgänglicher. Bis …« Sie sah Tessa an.

      Seine jüngere Schwester wurde so rot wie ihr Haar. »Ich habe ihr das Fernrohr gezeigt, das du mir geschenkt hast.«

      »Lass mich raten«, lachte er. »Sie hat mehr gesehen, als sie erwartet hat. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst vorsichtig sein, solange die Badekarren draußen sind?«

      »Ich habe es vergessen.«

      Er wuschelte ihr durchs Haar. »Ist schon gut. Aber davon abgesehen war es nett?«

      »Ja.«

      »Sehr angenehm«, meinte Mattie. »Ich hatte beinahe den Eindruck, dass sie in letzter Zeit nicht viel in Gesellschaft war, was einen wundert, schließlich ist sie sehr hübsch und kommt aus London.«

      »Und sie ist so gut angezogen«, fügte Tessa hinzu.

      Mattie legte den Kopf schief. »Ich frage mich, warum sie nicht verheiratet ist. Sie muss in meinem Alter sein.«

      Seine Gedanken kehrten zurück zu der jungen Dame, mit der er vorhin zusammengestoßen war. War sie verheiratet? Sie hatte kein Mädchen dabeigehabt, also war sie es wahrscheinlich. Er spürte einen leisen Stich des Bedauerns.

      Mattie zog die Brauen hoch. »Was ist? Kein Kommentar über alte Jungfern? Kein Spott über letzte Chancen?« Sie drehte sich zu Tessa um. »Ich glaube, unserem Bruder geht es nicht gut.«

      Tessas Stirn umwölkte sich. »Wie geht es Kapitän Braithwaite? Besser?«

      Er dachte an seinen heutigen Besuch. »Ein bisschen«, meinte er.

      »Der arme Mann.« Sie seufzte. »Er weiß doch, dass du ihm keine Vorwürfe machst?«

      »Das weiß er.« Doch man konnte etwas wissen und trotzdem nicht glauben. Ganz gleich, wie oft er es ihm versichert hatte, Braithwaite konnte sich selbst nicht verzeihen, dass er Ben keinen Marinechronometer mitgegeben hatte. Ben krümmte sich innerlich bei der Erinnerung an die Standpauke, mit der sie nach ihrer Rückkehr empfangen worden waren. Er hätte sich lieber auspeitschen lassen, als sich die Worte anhören zu müssen, die sich in seine Seele bohrten wie Pfeile. Dazu kam die Schmährede, die Braithwaite hatte erdulden müssen. Ben wusste, dass die Reaktion des Admirals nur aus dem Gefühl des Kummers und des Verlusts heraus so heftig ausgefallen war, doch die Wahrheit ließ sich nicht leugnen. Ben hatte versagt. Immerhin fand er Trost in dem Wissen, dass Gott ihm vergeben hatte, auch wenn der Admiral das nicht konnte. Braithwaite blieb dieser Trost versagt.

      »Wir müssen weiter für ihn beten.«

      Ben betrachtete seine jüngere Schwester. Ihr Interesse an seinem Kameraden war in den vergangenen Monaten nicht erloschen. Sie war vor Kurzem siebzehn geworden und damit in einem Alter, in dem sie anfällig für Herzensdinge war. Doch es war nicht gut, wenn sie sich in Braithwaite verliebte. Er wechselte einen Blick mit Mattie.

      Sie nickte leicht. »Es ist immer gut, für die Kinder Gottes zu beten. Ben, ich dachte kürzlich, dass es vielleicht Zeit ist, dass Tessa einmal unseren lieben Bruder besucht. Mach bitte kein solches Gesicht, meine Liebe! So steif und bieder ist George nun auch wieder nicht. Und jetzt, wo er den Titel hat, sollte er allmählich anfangen, auch an andere zu denken und nicht immer nur an sich selbst.«

      »Du glaubst eben an Wunder«, sagte er.

      »Natürlich«, antwortete Mattie.

      Als er ihren ruhigen Blick sah, schlug er reumütig die Augen nieder. Er wusste genau, wie lange seine Schwestern für ihn gebetet hatten, als er vermisst war. Und er wusste auch, dass ihr Glaube ihn am Leben gehalten hatte. In den Augenblicken äußerster Verzweiflung hatte er den Trost einer Gegenwart gespürt, die er kannte, einer Gegenwart, an die der arme Braithwaite kaum zu glauben gewagt hatte. Als alle die Hoffnung verloren hatten, hatte Gott sich als treu erwiesen. Seine Rückkehr nach England war ihm immer wie eine Belohnung Gottes an seine Schwestern vorgekommen, deren Glaube unerschütterlich geblieben war, und wie ein Beweis dafür, dass Gottes Gnade auch den Elenden und Unwürdigen zuteilwurde.

      »Ich möchte aber nicht zu George«, murmelte Tessa.

      »Natürlich nicht, aber sein Geld und sein Titel würden dir eine Saison in London ermöglichen.«

      »Ich möchte aber keine Saison in London. Du hattest auch keine, Mattie.«

      »Damals hatte Vater auch noch nicht die Baronetswürde. Wärst du denn nicht gern in London? Würdest du dir nicht gern all die wunderbaren Dinge ansehen, von denen Clara erzählt hat?«

      »Wer?«, fragte Ben.

      »Miss DeLancey.«

      Er lehnte sich zurück. »Wenn es dieser Miss DeLancey in den vielen Saisons nicht gelungen ist, einen Mann zu finden, sollte man Tessa vielleicht nicht zu etwas drängen, das sie gar nicht will.«

      Mattie runzelte die Stirn. »Das klingt aber sehr unfreundlich der armen Miss DeLancey gegenüber, wenn du mich fragst.«

      »So arm kann sie nicht sein, wenn sie sich mehrere Saisons in London leisten konnte. Eigentlich fragt man sich unwillkürlich, was wohl mit ihr nicht stimmt.«

      »Benjamin!«

      Tessa schüttelte den schimmernden Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich nach London will.«

      »Hör nicht auf Ben. Es ist bestimmt schöner, als du jetzt denkst, mein Liebling.«

      »Ich mag aber keine Menschenansammlungen und keinen Lärm.«

      »Nur weil du noch so wenig erlebt hast«, sagte Mattie. »Sogar in Brighton wird es lebhaft, wenn der Prinzregent zurückkehrt.«

      Tessa biss sich auf die Lippen, murmelte eine Entschuldigung und verließ das Zimmer.

      »Du sollst sie nicht