Österreich intim. Berta Zuckerkandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Berta Zuckerkandl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862303
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hat, bedeutet nicht nur, dass wir jedem Land, das heißt seiner Kunst, eine charakteristische Raumbildung geben werden. Noch etwas Besonderes. Jeder Einzelne von uns wird eine Ausstellung selbstherrlich gestalten. Kein Komitee, keine Jury, die dreinreden darf.«

      Später kommen Hermann Bahr und der Bühnenbildner Alfred Roller an unseren Tisch. Olbrich bringt den Angriff auf Klimt zur Sprache, den sich die »Neue Freie Presse« an diesem Tag geleistet hat.

      »Ich habe heute in der Schwarz-Weiß-Ausstellung Ihre Zeichnungen bewundert«, sagt Bahr zu Klimt. »Sie sind denen der größten Meister an die Seite zu stellen, und da wagt so ein Analphabet zu schreiben, Sie seien ein Pornograf!«

      »Hörst du, Klimt!« ruft Hoffmann. »Und du wirst dich wieder nicht rühren? Du musst ein für allemal ein Exempel statuieren! Du musst auf Ehrenbeleidigung klagen.«

      Klimt, sehr ruhig: »Muss ich? Klagen …? Zu Gericht gehen? Eine Rede halten? Vielleicht drei Tage mit Hin und Her verlieren …? Ah, nein, da mal’ ich lieber.«

      Lilly, Klimts Freundin, das schönste Mädchen Wiens, ist dem Weinen nahe. Sie stammt aus einer sehr guten bürgerlichen Familie; ihre grenzenlose Liebe zu Klimt ist ihr zum Schicksal geworden. Obwohl sie Klimt auch künstlerisch das ist, was die Barbarina Raffael – die Mona Lisa Leonardo –, nämlich das Idealmodell seines Frauentypus, der für die Frau der kommenden Jahrzehnte bestimmend werden wird, will Klimt sich nicht binden.

      Klimt: »Du wirst doch nicht weinen! Wo kämen wir hin, wenn jeder Künstler, den ein Zeitungsschmierer anpöbelt, sich duellieren oder klagen müsste?«

      Lilly: »Ich weine, weil für dich nichts zählt als deine Farben, deine Leinwand – man spuckt dich an – du zuckst die Achseln – und malst.«

      GUSTAV MAHLER

       Wien 1897

      »Hofrat Wlassek. Haben Sie Zeit? Es wird ein langes Gespräch. Zunächst eine Überraschung: Gustav Mahler1 ist Direktor der Wiener Hofoper.«

      »Wie ist das möglich? Mahler, der den Ruf hat, unbeugsam Forderungen zu stellen, keine Konzessionen zu machen? Der, kurz gesagt, der unbequemste Idealist sein soll?«

      »Es schien ja auch hoffnungslos. Aber in Österreich geht schließlich immer alles anders aus … Meiner Meinung nach ist diese waghalsige Ernennung nur möglich gewesen durch einen sozusagen atmosphärischen Vorgang, durch den Sturm, der plötzlich auf dem Gebiet der Kultur losgebrochen ist. Welcher Komet wandelt jetzt am Himmel, der als Zeichen einer solchen Umwälzung zu deuten wäre?«

      »Gewöhnlich kündet ein Komet Katastrophen an. Was Sie mir aber sagen, bedeutet doch, dass Wien zu einem neuen Frühling zu erwachen scheint.«

      »Was jetzt mit diesem Gustav Mahler über Wien hereinbricht, daran darf der Erste Beamte des Oberhofmeisteramts, also meine Wenigkeit, gar nicht denken!«

      »Mir machen Sie nichts weis. Sie freuen sich doch, wenn es bei euch drunter und drüber geht. Jedenfalls verdanken wir Mahler Ihnen.«

      »Mein Hauptargument war der Kassenerfolg. Nie hat die Hamburger Oper ähnliche Einnahmen gehabt wie unter Mahler, und das hat überzeugender gewirkt, als hätte ich ins Treffen geführt, dass Mahler dirigiert wie der liebe Gott.«

      Gustav Mahler hat zehn Jahre lang Routine, Betrieb, Nepotismus, Verschlampung, Intrigen und Dummheit die Stirn geboten. In diesen zehn Jahren regenerierte er die Oper. Nicht nur die Wiener Oper, sondern die Oper als Kunstform überhaupt. Sein Opernstil war die Antwort auf Jahrzehnte leerer Ariensingerei. In Wien herrschte der Belcanto ungehemmt. Selbst Richard Wagner wurde von Hans Richter breit und arios dirigiert. Auch da hieß es: nur Gemütlichkeit, nur keine Aufregung!

      Mahlers Dynamik, die Dämonie, die ihn umwitterte, erinnerte zuweilen an eine Gestalt von E. T. A. Hoffmann. Was seine Wirkung ausmachte, war, die leidenschaftliche Sehnsucht, tiefe, echte Kunstwahrheit und Erschütterung in den Sängern, Orchestermitgliedern und im Publikum wiederzuerwecken. Er war nicht nur ein Gehörgenie. Sein schmerzlich mitfühlendes Herz war es, das die Meisterwerke neu belebte.

      Mahler empfand die Oper aus dem Instrumentalen. Das Arioso war ihm nie so wichtig. Auch Toscanini2 empfand ähnlich. Sein Wutschrei auf einer Salzburger Probe: »Bestia Tenore!« zeugt davon.

      Niemand, der dieses scharf geschnittene, strenge, dunkle Antlitz gesehen hat, wird es jemals verlieren: herrisch und doch selbstvergessen, als lauschte es Geheimnissen der Unendlichkeit. War er hässlich? Eine Hässlichkeit, die Schönheit wird, sobald die Augen hinter den Brillengläsern zu funkeln beginnen. Die zwei scharfen Kerben, die die Wangen teilen, verraten verschlossene, ja bittere Wehmut des Schöpfers. In seinen zehn herrlichen Symphonien erschließt sich diese große Seele ganz.

      Mahler betritt den Orchesterraum, schwingt sich ans Dirigentenpult und wendet sich mit einem Ruck zum Publikum. Wie Napoleon bei der Truppenschau lässt er seinen Blick über die Menschen im Parkett, in den Logen, auf den Galerien gleiten. Es herrscht atemlose Stille. Die Magie dieser Erscheinung, dieses eisernen Willens, dieses befehlenden Geistes bannt die Versammelten. Wehe, wenn einer jener unverschämten Theaterhuster die Stille entweiht oder ein Operngucker tückisch zu Boden fällt! Da blitzen die Brillengläser des Allfordernden in teuflischem Hohn. Jeder fühlt sich zerknirscht, mitschuldig. Jetzt verlöschen die Lüster, verlöschen die Lichter. Es herrscht Finsternis. Gustav Mahler ist der Erfinder des Verdunkelungssystems, das später allgemein Usus wurde. Während seiner zehn Jahre dauernden Diktatur – denn er war nicht Leiter, er war Diktator der Wiener Oper – gewöhnte sich das Publikum an seinen Befehl: »Du wirst gezwungen, in dich zu gehen, dich zu sammeln, ehe die heilige Handlung beginnt.« Da gibt es, bevor die Ouvertüre einsetzt, kein Grüßen von der Loge ins Parkett, keine Diskussionen auf der Galerie, vor allem schleicht kein Zuspätkommender herein. Hermetisch schließen sich die Türen, sowie die Verfinsterung eintritt. Eine beinahe schmerzhafte Spannung einigt alle.

      »Die kompakte Majorität«, nannte Ibsen die Mächte der Minderwertigen. Nun, sie stürmen ein Jahrzehnt gegen die Mission an, der Mahler sich verschrieben hatte. Gegen das Ideal des Gesamtkunstwerks, der Einheit von Ton, Wort, Geste, Gestalt, Raum, Licht. Dass er diesem Ideal so nahe kam wie vor ihm kein anderer, war Mahlers Leistung. Als er Alfred Roller, den jungen Secessionisten, zum Chef des Bühnenbilds, der Ausstattung berief, wusste er, welchen Gefahren er sich aussetzte, galt es doch den vollkommenen Umsturz. Gefahr aber erhöhte nur Mahlers Energie.

      In der Secessionsausstellung hatte Mahler eine Bühnen-Maquette gesehen, die Alfred Roller zum ersten Tristan-Akt entworfen hatte. Sein Entschluss stand sofort fest. Roller sollte für die Neueinstudierung des »Tristan« das Bühnenbild entwerfen. Die windgeblähten Segel des mächtigen Schiffs, der Einfluss, den die Beleuchtung im zweiten Akt auf die Szene ausübte, das waren wohl Neuerungen, doch erregten sie, da zurückhaltend eingefügt, noch keinen Widerstand. Erst als Mahlers Genie sich des Mozart’schen »Don Juan« bemächtigte, erst als er die Vision eines Musikdramas hatte, das die in Inszenierungstradition längst verschüttete Tragik mit elementarer Wucht neu offenbarte, erst da begann jene Partei des Wienertums, die stets zerstörend wirkt, in Aktion zu treten.

      Mahler Konzeption war es, die Oper auf einer verengten Bühne spielen zu lassen, um den dramatischen Effekt der Szene, das Aufeinanderprallen der Leidenschaften zu intensivieren. Roller gelang es, die ihm gestellte Aufgabe formal zu lösen. Die erste Stilbühne, die dann von allen Opernhäusern nachgeahmt wurde – Mahler und Roller hatten sie im »Don Juan« ans Rampenlicht gebracht. Die Neuschöpfung des »Don Juan«, jenes Meisterwerks, das im Schlendrian der Jahrzehnte seines Ewigkeitsgehalts beraubt worden war, wurde zur echten Tradition.

      Wien war in zwei Lager geteilt. Man kann sich heute, da Fragen der Kunstvergeistigung keinerlei Brände mehr entzünden, kaum mehr vorstellen, mit welchem Fanatismus Mahlerianer und Antimahlerianer einander bekämpften. Die hochstehende Minorität, die mit Mahler durch dick und dünn ging, hielt die kompakte Majorität des »Niggerltums« nieder. »Niggerl« ist ein unübersetzbares Wort. Es bezeichnet den Typus des reaktionären, verbissenen,