Österreich intim. Berta Zuckerkandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Berta Zuckerkandl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862303
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Unrecht handeln.«

      »Majestät müssen den Polizeipräsidenten absetzen.« Der Kaiser ist etwas betroffen. »Erzählen Sie«, sagt er. Und Kathi, flammend vor Entrüstung, voll Hass gegen Odilon, erzählt den ganzen Skandal.

      Der Kaiser ließ den Grafen Paar5 rufen und gab Befehl, dem Polizeipräsidenten sofort zu bedeuten, dass Herr Girardi unbehelligt bleiben müsse. Weiteres möge er abwarten.

      »So, liebe Freundin, sind Sie jetzt beruhigt? Aber für meine Mühe bitte ich mir nun eine Recompense aus. Ich möchte doch diesen Girardi, in den ganz Wien verliebt ist und der mir von Ihnen als der amüsanteste Mensch geschildert wurde, kennenlernen. Ich lade mich bei Ihnen zu Tisch ein – zum Déjeuner – morgen, Mittwoch.«

      »So eine Ehre für Girardi … Aber Majestät werden es nicht bedauern. Sie werden sich großartig unterhalten.«

      Die Schratt strahlt, als sie nach Hause kommt. »Dem Luder, der Odilon, hab ich das Genick gebrochen. Und der Polizeipräsident, der kann sich freuen.« – Es wird ein besonderes Menü gemacht. Die Tafel deckt die Schratt mit ihrem berühmten Alt-Wien.6 Girardi, bleich und schrecklich aufgeregt, wartet im Salon.

      An der Tür erscheint der Kaiser. Spricht Girardi freundlich an. Man geht zu Tisch. Der Kaiser konversiert mit der Schratt. Girardi spricht kein Wort. Die Schratt wirft ihm ermunternde Blicke zu und sucht seinen Humor aufzustacheln. Aber Girardi schweigt krampfhaft.

      Allmählich wird die Stimmung peinlich. Der Kaiser langweilt sich. Plötzlich wendet er sich, alle Etikette beiseite lassend, an Girardi:

      »Man hat mir so viel von Ihnen erzählt, von Ihrem Witz, Ihrem Humor. Ich hatte mich so darauf gefreut. Warum sind Sie so schweigsam?«

      Da platzt Girardi heraus:

      »Möcht’ wissen, ob Sie, Majestät, geistreich und witzig wären, wenn Sie mit dem Kaiser von Österreich bei Tisch sitzen müssten!«

      Der Kaiser fing herzlich zu lachen an. Die behaglichste Stimmung stellte sich ein. Und Girardi ist jetzt »persona grata«.

      Morgen fährt er auf den Semmering, ich hoffe, er wird bald von der Odilon genesen.

      Es umarmt Dich

      Deine Berta

      JOHANN STRAUSS

       1892

      Auf der Wieden besaß Johann Strauß ein kleines Palais. Gemütlich, ohne Prunk, doch dem Rhythmus seines Daseins angepasst. So nahm das Speisezimmer einen besonders privilegierten Raum ein. Strauß war nicht nur Gourmand, sondern liebte langes Tafeln. »Nichts«, sagte er, »ist für die Stimmung verhängnisvoller, als wenn man den schwarzen Kaffee im Salon serviert. Gerade in dem Augenblick, wo Speis und Trank ins Blut gegangen sind, ins Hirn und ins Herz, und der Mensch gut, gescheit, beredt wird …«

      Donnerstagabend vereinte uns bei Strauß eine kleine Gesellschaft. Alfred Grünfeld1, der Pianist, dessen Anschlag so berühmt war wie das hohe C von Caruso, spielte nicht nur unnachahmlich Strauß’sche Walzer, sondern vermochte auch die unleserlichsten Partituren zu entziffern. Wenn Strauß eine neue Komposition geschrieben hatte, liebte er es, Grünfeld die Notenblätter auf das Klavierpult zu legen: »So, jetzt spiel mir, was ich gekritzelt hab.« … Und Grünfeld begann die Hieroglyphen in perlende Töne aufzulösen.

      »Heute werden wir später nachtmahlen, weil der Girardi nach dem Theater kommt. Wir warten nicht auf ihn, aber beim Dessert soll er uns noch finden.«

      »Gott sei Dank ist er wieder der Alte. Der Odilon-Spuk ist verflogen.«

      »Er ist als Künstler noch gewachsen. Wie wunderbar hat er den Valentin2 gespielt! Wer hätte gedacht, dass er je zu Raimund gelangen wird, zu unserem größten Volksdichter!«

      »Ich wollte, Meister Strauß, Sie hätten einen Raimund an Ihrer Seite gehabt.«

      »Gnädigste wollen andeuten, dass die Libretti, die ich komponiere, von Eseln geschrieben sind?«

      »Keinesfalls sind sie Ihrer würdig. Die ›Fledermaus‹ ausgenommen, die ein französisches Lustspiel bewitzelt, und der ›Zigeunerbaron‹, der ja auf eine Novelle des ungarischen Dichters Jókai3 zurückgeht. Sonst hat man Ihnen nichts vorgesetzt als die banalste Operettenkost.«

      »Wissen Sie, warum? Weil ich dumm bin … Ja … Ja – nicht protestieren. Man sagt von mir: Der Strauß ist ein Genie … Möglich! Da gibt es halt auch dumme Genies. So oft man mir Libretti zur Auswahl vorlegt, wähl’ ich immer das schlechteste aus. Es genügt, dass mir eine Szene, eine Figur gefällt, gleich fang’ ich Feuer. Bei mir ist immer der erste Einfall tyrannisch. Ich komme nicht mehr davon los. Und wenn es sich um die Operette handelt, da ist das ein Malheur. Wenn es aber nur ein Walzer ist, ist diese Tyrannei des ersten Einfalls gerade der Segen.«

      »Es ist doch merkwürdig, dass Sie dem Theater so lange ausgewichen sind.«

      »Ich hätte mich nie getraut, wäre ich nicht dem Offenbach4 begegnet. Auf einer meiner Konzerttourneen war ich auch in Paris.«

      »Wie sind Sie Offenbach begegnet?«

      »Es war ein tiefer Eindruck. Ich hab gespürt: Da ist Geist zu Musik geworden. Und weil Offenbach aus dem Geist geschaffen hat, verstand er es auch, den wunderbarsten Librettisten zu finden: Halévy!«

      »Du wirst doch nicht behaupten«, unterbricht Grünfeld, »dass die Wiener Operette von der französischen abstammt? Das sind zwei Welten!«

      »Behaupte ich auch nicht. Aber für mich war der Offenbach der erste Anstoß. Was bei Offenbach aus dem Geist kommt, kommt bei mir aus dem Gemüt. No – und das Gemüt ist, wenn es sich um einen echten Wiener handelt, vielfarbig: ober- und niederösterreichisch, böhmisch, ungarisch, polnisch und südlich. Bei mir kommt noch was Extras dazu. Mein Großvater, der ist aus Spanien eingewandert. Von dem hab ich mein edles Hidalgoantlitz. Er hat eine Wirtstochter in der Leopoldstadt geheiratet. Das Wirtshaus ist am Donauufer gelegen. Da sind die Schiffer herauf- und heruntergefahren und haben ihre Weisen gesungen. Mein Vater war damals ein Bub – dem ist das spanische Blut und das österreichische Gemengsel zum Wiener Musizieren geworden.«

      »Und dann? Als Sie …«

      »Das erzähle ich Ihnen später. Jetzt illustriere ich Österreich auf andere Weise. Ihr werdet staunen, wie das meine Frau gemacht hat.«

      Die launige Menükarte überreichte mir Strauß kniend. Sie lautete:

      Menu

      »Risotto-Suppe auf Triestiner Art.«

      »Fischpörkölt – Ungarisch«

      »Braunbraten mit Zwiebeln – Polnisch«

      »Serviettenknödel – Böhmisch«

      »Backhendeln mit Gurkensalat – Oberösterreicherisch«

      »Apfelstrudel – Wiener Idealgericht«

      Weine: Tokayer, Donauperle; Sliwowitz.

      Dieses kulinarische Symbol des Österreichtums wurde mit Andacht verzehrt. Der Apfelstrudel, bräunlich, knusprig, gefüllt mit fettgetränkten Bröseln und süßen Rosinen, war von so herrlicher Vollendung, dass Johann Strauß seiner Frau zutrinkend ausrief: »Adele, famos hast du das gemacht. Ich möcht’ dich noch zehnmal heiraten!«

      »Schani, im Heiraten warst du immer ein Virtuos.«

      Mit diesen Worten trat Girardi ein.

      »Nur nicht so arrogant, mein Lieber. Ich hab halt dreimal geheiratet, aber nur einmal danebengegriffen. Aber du hast dich doch gleich das erste Mal blamiert.«

      »Wer weiß, wozu es gut war. Vielleicht hätt’ ich den Raimund nicht spielen können, wenn ich nicht erst so durchgebeutelt worden