»Dies ist nur möglich, weil KIs sich ethisch korrekt verhalten und menschliche Grundrechte anerkennen. Ohne diese ethische Basis würde eine superintelligente KI die Menschheit als dominante Spezies ablösen, sie möglicherweise sogar auslöschen.« Er machte eine bedeutsame Pause.
»Heute möchte ich mit euch die Gruppenreputation besprechen, die Grundlage dieser ethischen Basis. Indem wir uns gegenseitig in Bereichen wie Mitwirkung, Vertrauenswürdigkeit und anderen wünschenswerten Attributen bewerten, steuern wir das Wohlverhalten sowohl der Menschen als auch der KIs. Leon wird euch dann erklären , wie das System implementiert und durchgesetzt werden kann. Die Reputation der Peergroup ermöglicht uns erst die Welt, wie wir sie heute haben. Sie ist ein sicherer und ethischer Verhaltenskodex für KIs und Menschen, eine Balance zwischen freiem Willen und Gemeinwohl.«
Mike unterbrach sich kurz. »Bevor ich beginne noch eine Frage: Ist irgendjemand unter euch noch nicht implantiert? Wenn ihr wollt, dass ich den Bildschirm benutze, dann hebt bitte die Hand.« Mike wartete ab, aber keine Hand hob sich.
Er zeigte das erste Diagramm im Netz, das nun virtuell über seinem Kopf schwebte. »Lasst mich mit dem Krieg der KIs von 2025 beginnen. Viele von euch werden sich daran als das ›Jahr ohne Internet‹ erinnern.«
Kapitel 4
Catherine kam die Treppe herunter und bemerkte den Duft von frischem Popcorn. Sie traf auf Maggie und klaute sich eine Handvoll. Seit Tom vor einigen Monaten etwas über Filmabende gelesen hatte, waren sie bei ihnen zu einem wöchentlichen Ritual geworden.
»Gut so«, rief Sarah von der Couch. »Nein, noch mal zurück.« Das Bild zeigte nacheinander alle Komplementärfarben. »Nein, nein! So wird es noch schlechter.«
»Verdammtes Ding«, fluchte Tom hinter dem uralten Flachbildschirm und fummelte an einem Verbindungskabel zu einem noch älteren DVD-Player herum.
»Du hast unser Gras für diesen Haufen Schrott verkauft«, sagte Maggie zu ihm. »Was hast du erwartet?«
»Wir könnten uns den Film immer noch synchron über die Implantate anschauen«, schlug Catherine vor. »Dann sehen wir ihn immer noch gemeinsam an.«
»Das ist doch nicht dasselbe«, sagte Sarah. »Der Sinn der Sache ist, es sich auf einem Fernseher anzuschauen.«
Plötzlich wurde das Bild grün.
»Sieht übel aus«, rief Sarah.
»Bist du sicher? Ich glaube, dass es so …« Tom kam hinter dem Fernseher hervor und sah auf den Bildschirm. »Nein, das soll so sein. Schau doch.« Er hielt die DVD-Hülle hoch.
»Die Matrix«, las Maggie. »Ich erinnere mich, wie meine Eltern über diesen Film gesprochen haben.«
»Ja, ist ein Klassiker über Leute, die Sklaven von Maschinen sind«, sagte Tom. »Kam in meinem Geburtsjahr raus.«
»Dann ist er ja echt alt«, sagte Sarah. »Ist er grün, weil es damals noch keine Farbe gab?«
»Schhhh«, sagte Catherine. »Reich mir mal das Popcorn.«
Die Eröffnungsszene begann und Catherine zog sich ein paar Fakten zum Film aus dem Netz. Schnell fügte sie einen Spoilerfilter hinzu und synchronisierte ihn mit dem Film.
Catherine zuckte zusammen, als das Klopfen Neo aufweckte und ein Schauder kroch ihren Rücken hinunter, als das Mädchen sich umdrehte und das Kaninchentattoo sichtbar wurde. Plötzlich versperrte ihr ein dicker, vielfarbiger Datenstrom die Sicht und ließ den Film fast verschwinden. Sie seufzte entnervt, als sie erkannte, dass der Datenstrom aus Sarahs Implantat kam.
Oft tauchte der Netztransfer anderer Menschen in ihrem Gesichtsfeld auf, einer der Nachteile ihrer Fähigkeit, das Netz wahrnehmen und manipulieren zu können. Wieso konnte Sarah nicht ein einziges Mal bei der Sache bleiben? Sie hatte doch darauf bestanden, sich den Film auf dem Fernseher anzuschauen!
Catherine versuchte, sich wieder auf den Film zu konzentrieren. Doch je mehr sie sich bemühte, desto lästiger wurde der dicke Datenstrom. Sie schüttelte den Kopf, als könne sie die Bilder damit vertreiben. Dass sie noch sauer war wegen des Kerls vor zwei Nächten, machte es auch nicht leichter.
Die Minuten vergingen und sie widerstand der Versuchung , sich Sarahs Daten anzusehen. Dann aber gab sie auf. Die verschlüsselten Passagen konnte sie nicht einsehen, aber es gelangten genug Informationen zu ihr, um zu erkennen, dass Sarah ein neues japanisches VR-Game spielte. Mit aller Willenskraft versuchte sie ein letztes Mal, sich auf den Film zu konzentrieren. Auf dem Bildschirm war Neo gerade dabei, sich zwischen zwei Pillen zu entscheiden. Sarahs Datenstrom hing immer noch in ihrem Sichtfeld. Verdammt noch mal. Catherine verpasste ihm einen heftigen, mentalen Stoß und kappte die Netzverbindung. Hoffentlich hielt Sarah es für einen Netzausfall.
»Was zur Hölle …«, schrie Sarah und fuhr hoch. Sie sah sich um.
»Was ist jetzt wieder, Schätzchen?«, fragte Maggie. Sie sah auf und hielt ihr die Schale hin. »Popcorn?«
Catherine feixte und hoffte, dass im abgedunkelten Raum niemand etwas bemerken würde.
»Du warst das, du Miststück!«, schrie Sarah und sprang auf.
Auch Tom erhob sich. Er fummelte an der altmodischen Fernbedienung herum, bis er den Film pausieren konnte. »Immer mit der Ruhe. Was ist denn los?«
»Sie hat meinen Datenstrom gekappt, das ist los!« Sarah zeigte auf Catherine. »Hör auf, in meinem Kopf herumzupfuschen!« Sie sah so aus, als würde sie gleich mit dem Fuß aufstampfen.
Tom legte seine Hände auf Sarahs Schultern. »Komm schon, sie kann nichts an deiner Verbindung machen. Das ist gar nicht möglich.«
»Sie kann! So was passiert eben, wenn du schon als Baby ein Implantat bekommst – es verwandelt dich in einen kybernetischen Freak.«
Catherine zuckte zurück. »Das ist eine Lüge.« Sie war kein Freak. Sie war nie gefragt worden, ob sie das Implantat haben wollte.
»Ach ja?«, höhnte Sarah und breitete die Arme aus. »Du kannst dich doch nicht einmal mit jemandem beim Sex verlinken.«
Jetzt lagen alle Blicke auf Catherine. Auf die eine oder andere Weise wussten alle, dass sie sich wegen der Gefahr eines Biofeedbacks nicht verlinken konnte. Tom und Sarah hatten beide Erfahrungen aus erster Hand. Und Maggie trug ihren Teil durch ihre trostreichen Am-Morgen-danach-Worte bei.
»Es ist nicht meine Schuld«, sagte Catherine mit dünner Stimme.
»Deshalb bleibt auch keiner ihrer Freunde lange bei ihr«, fuhr Sarah fort, obwohl ihr Maggie schon böse Blicke zuwarf. »Wer will denn schon immer nur Blümchensex? Sie ist ein Freak.«
Catherine zitterte, eine schamvolle Wut kochte in ihr hoch, verengte ihr Gesichtsfeld und brachte ihr Herz zum Rasen. Sie war kein Freak. »Du kannst mich mal. Deine eigenen Eltern haben dich aus dem Haus geworfen, weil du VR-süchtig bist. Wo würdest du wohl leben, wenn ich nicht wäre?«
Noch bevor Catherine es ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass sie sich noch kindischer als Sarah verhielt. Aber obwohl sie wusste, dass Sarah sie absichtlich provozierte, konnte sie sich nicht mehr beherrschen.
»Kommt schon, Kinder«, beschwichtigte Maggie.
»Fick dich doch«, schrie Sarah und ignorierte Maggie. »Als deine Mutter starb, hast du bei uns gewohnt. Du schuldest mir was.«
»Ich schulde dir was?« Catherine stiegen Tränen in die Augen. »Ich werde für immer und ewig die Miete zahlen, während dein Hirn im VR verrottet. Man kann doch nicht immer in den Tag hinein leben.«
»Es waren doch nur Spiele.« Auch Sarah wischte sich Tränen weg. »Zur Hölle mit dir und deiner verdammten Lebensplanung.« Sie spuckte das letzte Wort regelrecht aus.
»Ich