DIE LETZTE FIREWALL. William Hertling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: William Hertling
Издательство: Bookwire
Серия: Singularity
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353121
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verwirrt. »Keine Ahnung.« Hilflos starrte er auf die Wand. »Rebecca sagt, dass wir in Gefahr sind und es möglichst vermeiden sollten, nach draußen zu gehen.«

      »Ohne Scheiß? Gibt es etwas Neues von Sonja und ihrem Team?«

      Mike ging vor dem Innenfenster auf und ab, schaute ins Hauptbüro, das sich beinahe vollständig geleert hatte. »Ich weiß, dass Sonja mit ihrem Team nach San Diego ging. Offensichtlich untersuchten sie die Morde. Aber wen wollten sie treffen? Auf was für einer Spur waren sie? Keine Ahnung. Ihre Fallakten sind so massiv verschlüsselt, dass keine der ansässigen KIs sie knacken konnte. Sie befürchtete offenbar, dass jemand den Fall sabotieren würde.«

      »Wir können doch nicht aufgeben!«

      »Nein, das habe ich auch nicht vorgeschlagen. Wir müssen es irgendwie nach San Diego schaffen und sie dort aufspüren. Es ist nur so … dass es gerade sehr viel schwieriger geworden ist.«

      Mike deutete auf den leeren Raum. Keiner, der ihnen Rückendeckung geben konnte. Niemand, der sie unterstützte. Sie mussten das Land durchqueren, ohne von den Extremisten aufgespürt zu werden.

      »Oh Mann«, sagte Leon langsam. »Sag Rebecca keinesfalls, wohin wir gehen wollen, sonst wird sie es uns verbieten. Sie würde uns vom Secret Service bewachen lassen.«

      Mike nickte.

      »Wir müssen mit der KI reden, die Sonja erwähnt hat, diesem Shizoko«, ergänzte Leon nach einer Pause. »Er muss weitere Informationen haben.«

      »Shizoko Reynolds«, sagte Mike. »Ich habe einige Zeit damit verbracht, etwas über ihn herauszufinden. Ein seltsamer Vogel.« Mike schob Daten in ihren gemeinsamen Netzaccount. »Künstliche Intelligenz der Klasse IV. Allein das macht es schwer, ihn zu verstehen. Dazu ist Shizoko auch noch ein Einzelgänger, der einzige Bewohner des Austin Convention Center. Seine Entstehung ist noch seltsamer. Auf der letzten interaktiven Konferenz des SXSW vor acht Jahren gab es einen Workshop über KIs der dritten Generation. Anscheinend haben sie ihn auf der Basis von gespendeten Smartphones entwickelt.« Er schob ein Digitalfoto in den Vordergrund.

      Leon zoomte es heran, bis es sein ganzes Blickfeld ausfüllte, um es näher zu betrachten. Eine Gruppe, überwiegend Männer, die Brillen trugen und mit Karohemden oder Shirts mit seltsamen Logos bekleidet waren. Mit anderen Worten: Geeks. Sie standen zusammen um ein Sammelsurium aus Smartphones, Tablets und alten Routern herum, ihr Lächeln für die Ewigkeit eingefroren. »Was war der Sinn des Ganzen?«

      »Ein Experiment über kollektive Algorithmen. Jeder spendete Teile von Neuralnetzwerken, darunter auch einige KIs. Der Workshop nannte sich ›KI-Fusion‹. Zwei Kerle namens Harper Reed und Ben Huh leiteten das Ganze. Jedenfalls ist Shizoko die daraus resultierende Original-KI, eben nur acht Jahre später.«

      Leon pfiff leise durch die Zähne. Für eine KI waren acht Jahre eine Ewigkeit. »Du sagst, er ist eine Klasse IV.« Er zeigte auf das Foto. »Dieser Haufen antiker Computer kann doch unmöglich eine KI der Klasse IV beherbergen.«

      »Nein, natürlich hat er sich über die Jahre aufgerüstet. Zweimal hat er die experimentelle Klasse V - Lizenz beantragt, aber wir haben das beide Male abgelehnt. Seine Reputation ist grenzwertig. Er ist vertrauenswürdig, aber seltsam.«

      »Also hast du mit ihm gesprochen?«, fragte Leon.

      »Nein, das ist eben das Problem. Er will nur persönlich mit uns sprechen.«

      Leon löschte den Netzaccount. »Persönlich?« Er sah Mike mit schmalen Augen an.

      »Ja. Ich habe mehrere Male versucht, mit ihm zu sprechen, ihm Mails zu schreiben, aber er sendet immer nur eine aufgezeichnete Antwort. Er würde nur dann mit mir sprechen, wenn ich zu ihm komme. Nach Austin.«

      »Neboken ja-neyo! Das ist ja seltsam, Mann.«

      »Ich weiß«, sagte Mike. »Aber ich denke, wir haben keine andere Wahl. Wir müssen zuerst nach Austin.«

      Kapitel 12

      Cat stieg aus dem Zug und sog gierig die warme Luft von Los Angeles ein. Es war hier mindestens zehn Grad wärmer als in San Francisco, das sie erst vor einer Stunde verlassen hatte. Sie folgte einer kleinen Gruppe Mitreisender zur Haltestelle der Straßenbahn in Downtown.

      Sie fühlte, wie sie sich entspannte, wenigstens ein bisschen. Einer ihrer schwarzen Stiefel war vollgestopft mit anonymen Cash-Karten und in dem anderen steckte ein kleines Stiefelmesser. Über beiden Schultern trug sie ihren unvermeidlichen Rucksack, mit Reservekleidung und einer Zahnbürste. Sie hatte ihn immer bei sich für den Fall, dass sie wieder fliehen müsste. Zwei Wochen Kalifornien hatten sie mit ein wenig Straßenweisheit und ein paar Habseligkeiten ausgestattet.

      Sie hatte in verlassenen Gebäuden geschlafen, bis sie auf den Gedanken gekommen war, ihr Implantat zu nutzen, um unbewohnte Appartements zu finden, indem sie deren Stromverbrauch analysierte. Finanzdaten waren verschlüsselt und somit für sie nicht nutzbar, aber Smartmeter verschickten ihre Datensätze unverschlüsselt. So sah sie sich nach Wohnungen um, deren Kühlschränke und Warmwasserspender auf Langzeit-Stand-by waren. Die erste Wohnung, die sie gehackt hatte, war das Appartement einer Single-Frau gewesen. Sie hatte auf geblümten Bettlaken geschlafen, mit parfümierter Seife geduscht und biologisch angebaute Lebensmittel aus dem Vorratsschrank gegessen. Cat ließ das Fenster zur Feuertreppe immer offen und als sie hörte, wie die Vordertür den Haufen leerer Dosen umstieß, den sie dort als Alarmsystem hinterlassen hatte, war sie aus dem Fenster und von dort aufs Dach geklettert.

      In der nächsten Wohnung, die sie hackte, hatte der Besitzer seinen digitalen Terminkalender auf dem Kühlschrank liegen lassen, sodass Cat genau wusste, wann er zurückkehren würde.

      Aber sie brachte es nicht über sich, den Leuten ihr Geld zu stehlen. Also blieb sie bei ihrer Methode, Cash-Karten aus Dutzenden verschiedener Bodegas zu stehlen. Sie war gestern bei einem Laden auf der Lombard gewesen und hatte dort weitere Karten stehlen wollen. Zwei Männer hatten den Standort jedoch beobachtet. Ihre verschlüsselten Datenströme waren für sie schon von Weitem sichtbar. Also war sie acht Blocks nach Süden zum nächsten Laden auf ihrer Liste gegangen, nur um zu entdecken, dass er von einem Sicherheitsbot überwacht wurde.

      Da begriff sie: Trotz ihrer geschickten Vorgehensweise wurden die Transaktionen im Kassenabschluss ausgewiesen. Ihr Gehirn hatte intuitiv Läden ausgewählt, die leichte Ziele für ihre Raubzüge waren und so unbewusst ein Muster hinterlassen. KIs liebten Muster. Sie hatten offensichtlich ihre Vorgehensweise erkannt.

      Danach geriet sie bei jedem Passanten, jedem Bot und jeder Kamera in Panik. Sie ließ alle Sachen in ihrer augenblicklichen Unterkunft zurück, tröstete sich damit, dass sie wenigstens ihren Rucksack bei sich hatte, und ging direkt zum Bahnhof. Sie nahm einen Zug nach Süden mit dem vagen Plan im Kopf, sich nach Mexiko durchzuschlagen. Und so war sie in Los Angeles gelandet.

      Die Straßenbahn hielt mit einem Quietschen und sie stieg ein, einer Frau folgend, die ein Baby trug und drei Kinder in einem Kinderwagen hinter sich her zog. Als sie zahlen musste, ließ Cat ihr Implantat im anonymen Modus und benutzte eine Cash-Karte. Sie ging ganz nach hinten, denn nach ein paar Wochen auf der Flucht hatte sie begriffen, warum es gut war, immer eine Wand im Rücken zu haben.

      Sie umklammerte den Rucksack auf ihrem Schoß und zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie hatte eine Stunde, bis sie die Innenstadt erreichte, dann würde sie sich ein schäbiges Hotel und einen Job suchen. Sie hatte die letzten zwei Wochen in einer Art Niemandsland verbracht, ohne einen Gedanken an die Zukunft. Sie konnte nicht für den Rest ihres Lebens Cash-Karten stehlen.

      Im Zug war es ruhig, die anderen Passagiere schwiegen, doch feine Datenströme zeigten, dass sie lasen, sich Filme ansahen, Spiele spielten oder sich unterhielten. Sie schloss die Augen, fuhr ihr Implantat herunter und begann im Kopf Chi Gong Formen durchzugehen. Sie mochte gerade nicht in der Lage sein, die Bewegungen physisch auszuführen, aber sie konnte sich das Ganze vorstellen. Je präziser ihre Vorstellungskraft war, desto perfekter gelang auch die Übung.

      Sie begann mit Liu He's Jadefrau, gefolgt von Ba Duan Jin und endete