»Aber… das kann doch nicht sein«, stammelte sie leise. Bernadette hatte sich inzwischen halbwegs gefaßt. »Ich kündige«, sagte sie laut. »Ich kann mit Herrn Struve nicht länger unter einem Dach zusammenleben!«
Sven kam zögernd in die Diele. »Oh, Christine, Liebes, ist das Picknick schon vorbei?« fragte er betont harmlos. »Bernadette und ich hatten einen kleinen Zwist um ihre, hm, musikalischen Fähigkeiten. Nichts Ernstes.« Er vermied es, Christine in die Augen zu sehen.
»Sonst nichts?« fragte sie tonlos. »Mir war, als hätte ich andere Dinge gehört.«
»Aber nein!« Sven lachte künstlich. »Nein, es ging nur um Musik.« Christine sah ihm ins Gesicht und merkte zu ihrem eigenen Erschrecken, daß sie ihm – dem Mann, den sie vor kurzem noch geliebt hatte – kein einziges Wort glaubte. Sven sah den Zweifel in ihrem Blick und wandte sich rasch entschlossen an Bernadette. »Sagen Sie, wie es war, Fräulein Schuster.«
Das junge Mädchen musterte ihn kalt. Er hatte sie tödlich gekränkt, und dafür wollte sie sich rächen. »Du feiger Lügner«, zischte sie verächtlich. »Ich soll ihr jetzt etwas vormachen, damit du deinen Kopf aus der Schlinge ziehen kannst? Ich soll so tun, als wäre gar nichts zwischen uns gewesen? Ich denke ja nicht daran!« Sie wandte sich an Christine, die totenbleich geworden war. »Dieser Mann hat Sie nach Strich und Faden betrogen. Erinnern Sie sich, wieviel er in letzter Zeit arbeiten mußte? All die Überstunden im Büro? Der arme Mann!« Sie lachte höhnisch. »In Wirklichkeit hat er sich mit mir getroffen. Wir sind tanzen gegangen, waren im Kino, im Restaurant, haben uns amüsiert, während Sie ahnungslos zu Hause gesessen haben!«
»Das ist doch alles Unsinn!« rief Sven dazwischen. Christine sah ihn kaum an. Sie war auf einen Stuhl neben der Garderobe gesunken. »Sprechen Sie weiter«, bat sie leise.
»Er hat sich über Sie lustig gemacht, jawohl! Und in ein paar Wochen wollte er mit mir in die Karibik fahren«, trumpfte Bernadette auf. Sie warf Sven einen haßerfüllten Blick zu. »Es war schon alles gebucht, Flug, Hotel, alles. Aber von mir aus soll er jetzt dahin fahren, wo der Pfeffer wächst. Banause!« Und sie warf den Kopf zurück und schritt hoheitsvoll zur Treppe. »Ich packe jetzt meine Sachen!« sagte sie und stieg hinauf.
»Christine«, bat Sven. »Du wirst doch diesen Unfug nicht glauben?« Aber auch jetzt konnte er ihrem prüfenden Blick nicht standhalten. »Jetzt wird mir manches klar«, sagte sie langsam. »Deine Überstunden… sie waren immer an den Tagen, an denen Bernadette frei hatte.«
»Zufall!« sagte Sven energisch. »Schatz, du wirst mir doch eher glauben als dieser hysterischen Ziege?«
»Und wenn ich deinen Chef anrufe und nach den Überstunden frage?« entgegnete sie. Sie sah den Schreck in seinen Augen und biß sich auf die Lippen. »Ich habe kein Vertrauen mehr zu dir«, stieß sie hervor. Bittere Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Christine!« Er wollte den Arm um ihre Schultern legen, aber sie zuckte vor seiner Berührung zurück. »Und was ich gehört habe, als ich hereinkam? Kannst du das etwa erklären?«
Er blickte stumm und schuldbewußt zu Boden.
Christine straffte sich und stand auf. »Ich möchte dich bitten, mein Haus noch heute zu verlassen«, sagte sie so würdevoll, wie sie konnte. Sie ging ins Wohnzimmer und schloß die Tür hinter sich. Sven hatte nicht den Mut, ihr zu folgen. Wie ein geprügelter Hund schlich er in seine Zimmer, um die Koffer zu packen.
Christine hörte nicht, wie Bernadette mit Sack und Pack die Treppe herunterkam, und sie hörte auch nicht, wie zwei Wagen vor dem Haus hielten.
Erst als die Wohnzimmertür sich öffnete und Florentine hereinrannte, setzte sie sich auf. »Mami!« schrie das kleine Mädchen und warf sich in die Arme ihrer Mutter. »Mami, wo warst du? Ich hab solche Angst um dich gehabt. Warum weinst du?«
Christine antwortete nicht und drückte ihr Kind fest an ihr Herz. Aus lauter Mitgefühl begann auch Florentine zu weinen. Jetzt kamen auch Julia und Markus herein, setzten sich neben sie aufs Sofa und schmiegten sich eng an sie. »Mami, was hast du denn?« fragten sie weinerlich.
Ihre Kinder gaben Christine die Kraft, sich aufzusetzen und die Tränen von ihrem Gesicht zu wischen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie mit so fester Stimme, wie sie konnte.
In diesem Moment kam der Mann, vor dem sie im Wald geflohen war, ins Zimmer. »Christine!« sagte er nur und sah sie sehnsüchtig an. »Christine, warum bist du vor mir fortgelaufen?« Sie schwieg. Er bemerkte die Tränenspuren auf ihrem Gesicht und erschrak heftig. »Was ist geschenen? Bitte, sag es mir!«
»Ja, Mami, sag es uns!« fielen die Kinder ein. Aber sie blieb stumm. Wie sollte sie den Kindern, wie sollte sie vor allem dem nichtsahnenden Christoph erklären, was geschehen war?
Während sie noch zögerte, trat Sven aus der Tür seiner Einliegerwohnung. Er hatte die Stimmen im Haus gehört. Seine Miene verfinsterte sich, als er seinen Rivalen erblickte.
»Tja, Kinder, eure Mami hat mich leider rausgeschmissen«, sagte er leichthin und wandte sich zu Christine. »Mein Zeug habe ich schon gepackt. Darf ich mein Gepäck noch kurze Zeit hier lassen? Ich gehe jetzt und suche mir ein Hotelzimmer.« Christine nickte stumm.
»Tja, dann tschau, ihr Blagen!« Sven winkte den Kindern lässig zu. Im Hinausgehen wandte er sich noch einmal um und sagte laut und boshaft: »Hoffentlich findest du recht bald einen neuen Liebhaber, Christine!«
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen. Christoph fuhr hoch. Er wollte Sven nachrennen, ihn packen und schlagen, aber etwas hielt ihn zurück. Er sah Christine an, eine stumme Frage stand in seinen Augen. Sie war bleich bis in die Lippen. Dann bedeckte sie mit einer wilden, hilflosen Geste ihr Gesicht mit den Händen.
»So ist das also«, sagte Christoph tonlos. »Ich habe verstanden.« Dann ging er mit langsamen Schritten hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen.
*
An die nächste Viertelstunde konnte Christine sich später kaum erinnern. Sie wußte nur noch, daß Frau Falkenroth und Onkel Heinrich hereingekommen waren. Sie hatten sie erschrocken und verwundert angesehen und sie ins Bett getragen. Frau Falkenroth hatte ihr Tee mit einem leichten Beruhigungsmittel gebracht, und dann war sie vor Kummer und Erschöpfung eingeschlafen.
»Ich verstehe nicht, was hier los ist«, seufzte Onkel Heinrich, während er Erika Falkenroth beim Abwasch half. »Können Sie mir das erklären, liebe, verehrte gnädige Frau?« Er blickte sie hilfesuchend an und zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Erst verschwindet meine Nichte von unserem Picknick. Ihr Sohn ist außer sich. Dann kommen wir nicht weg, weil nur noch ein Auto da ist. Dann zieht Ihr Sohn eine Pistole aus der Tasche, die sich als Funktelefon entpuppt, und ruft ein Taxi. Dann steht dieses unmusikalische Kindermädchen mit Koffern und Karaoka-Anlage auf der Straße, sagt kaum guten Tag und stürzt sich auf unser Taxi. Dann triff der unhöfliche Herr Struve aus dem Haus und fährt in seinem albernen Sportwagen davon. Dann kommt ihr Sohn aus dem Wohnzimmer, blaß wie eine Leiche. Und schließlich« – Onkel Heinrich war beim Ringfinger der rechten Hand angekommen und klopfte mit zwei Fingern der anderen Hand darauf, um den Punkt zu bekräftigen – »und schließlich finden wir meine Nichte zusammengebrochen auf dem Sofa. Kurz und gut, was wird hier eigentlich gespielt?«
Frau Falkenroth sah ihn nachsichtig lächelnd an und zuckte die Achseln. Er ist ein kluger Mann, dachte sie im stillen, aber was hier vorgefallen ist, kann er wohl nicht begreifen. Sie ahnte dunkel, was geschehen war, aber das war zu kompliziert, um es zu erklären.
»Die Hauptsache ist jetzt doch, daß Ihre Nichte sich wieder erholt«, sagte sie ruhig. »Eine gute Tasse Tee, ein Beruhigungsmittel, und alles sieht schon ein bißchen heller aus.«
»Sie