»Ach, der alte Knacker!« sagte Sven wegwerfend. »Um den solltest du dich gar nicht kümmern. Ich könnte dir vielleicht weiterhelfen. Wir haben gerade eine Werbekampagne für ein neues Waschmittel. Ich habe einen Text geschrieben: ›Wonder White wäscht weißer als weiß‹, und so weiter. Dafür brauchen wir eine Sängerin.«
»Ohhh! Und du meinst, das könnte ich machen?« jauchzte Bernadette. Andächtig wiederholte sie den Slogan. »Ein Super-Text! Du bist einfach fabelhaft!«
Unterdessen hatte die Band begonnen, Tanzmusik zu spielen. Sven nahm Bernadette bei beiden Händen und zog sie auf die Tanzfläche. Sie tanzten begeistert zu den schnellen Rhythmen der Band, und bei den langsamen Stücken schmiegten sie sich aneinander und tanzten Wange an Wange. Sven genoß die Blicke der anderen Männer, die ihn um seine aufregende Tanzpartnerin beneideten. Mit Christine, dachte er, könnte ich einen solchen Abend nie erleben. Nicht weil sie schlechter getanzt hätte als Bernadette – nein, Christine bewegte sich viel anmutiger – sondern weil sie sich niemals völlig unbeschwert amüsieren konnten. Immer mußten sie zu einer bestimmten Stunde nach Hause, um den Babysitter abzulösen. Nein, da war ein unbeschwerter Abend mit Bernadette schöner!
»Schade, daß die so früh zumachen!« klagte sie, als der »Blue Moon« um drei Uhr schloß. »Kann man hier noch irgendwo anders hin?«
Sven schüttelte bedauernd den Kopf. »Dazu ist die Stadt leider zu klein.«
»Hach! Ich könnte die ganze Nacht durchtanzen!« gurrte Bernadette. Sie stiegen in Svens Sportwagen und fuhren in rasantem Tempo durch das verschlafene Städtchen. »Hier ist wirklich nichts los!« maulte das junge Mädchen.
»Wir könnten ja mal zusammen irgendwohin fahren, wo mehr los ist.« Die Idee war Sven ganz plötzlich gekommen. Einen Augenblick lang schlug sein Gewissen, aber er beschwichtigte es rasch. Schließlich wollte Christine ja nicht mit ihm in Urlaub fahren! »Hast du Lust? Wie wär’s mit zwei oder drei Wochen in der Karibik? Ich lade dich ein«, drängte er.
Bernadette zog ein Schnütchen und wiegte mit gespielter Unentschlossenheit den hübschen Kopf. »Mal sehen.« Aber sie war im stillen schon fest entschlossen, Svens Angebot anzunehmen.
Der Motor des Wagens klang sehr laut in der stillen Straße, in der sie wohnten. Alle Fenster des Hauses waren dunkel. »Still!« mahnte Sven nervös, während er die Haustür aufschloß. Ihm graute vor dem Gedanken, daß die Frau, die er belogen hatte, aufwachen und ihn mit Bernadette sehen könnte. Aber er hatte Glück. Niemand hörte, wie die beiden sich verstohlen ins Haus schlichen.
*
Christine hatte noch bis elf Uhr abends gearbeitet. Am nächsten Tag wachte sie von dem Geräusch der zuschlagenden Haustür auf. Es versetzte ihr einen Stich, daß Sven ihr nicht einmal guten Morgen gesagt hatte. Ob er jetzt wohl öfter bis spät in die Nacht arbeiten mußte?
Christine brachte das Buffet pünktlich um elf Uhr morgens zu den Veranstaltern. Florentine fuhr mit. »Mama?« fragte sie auf der Rückfahrt. »Darf ich nachher den Onkel Christoph besuchen?«
Christine hatte ein flaues Gefühl im Magen. Die verlorene Handschrift war immer noch nicht wiedergefunden! Was sollte sie bloß tun?
»Ja, du darfst ihn besuchen. Ich komme auch mit«, sagte sie rasch entschlossen. Sie würde Professor Falkenroth vorschlagen, ihr Haus polizeilich durchsuchen zu lassen. So unangenehm ihr das auch sein würde – das kostbare Dokument war wichtiger.
Christine nahm ihre kleine Tochter an die Hand und ging durch die Straßen zu der Villa des Professors. Es war ein kühler Tag, und Christine fröstelte ein wenig in ihrem leichten Sommerkleid.
Sie mußte lange warten, nachdem sie geklingelt hatte. Schon wollte sie sich zum Gehen wenden, als die Tür plötzlich von einer rundlichen Frau geöffnet wurde. Um ihr freundliches, rotwangiges Gesicht kringelten sich unzählige braune Löckchen, die mit silbergrauen Haarfäden durchsetzt waren.
»Mein Sohn trifft sich gerade mit seinem Verleger«, erklärte sie, nachdem Christine sich vorgestellt hatte. »Aber möchten Sie nicht hereinkommen? Er kommt sicher bald zurück.«
Christine folgte ihr etwas beklommen in den kleinen Salon. Ob Frau Falkenroth wohl von dem Verschwinden der Handschrift wußte? Aber dann hätte sie sie wohl kaum so herzlich empfangen. Die alte Dame machte sich in der Küche zu schaffen und kam bald mit Tee, Keksen und einem Kakao für Florentine wieder.
»Mein Sohn hat mir schon von Ihnen und Ihren Kindern erzählt«, sagte sie munter, während sie den Tee in die zarten Porzellantäßchen einschenkte. »Ich bin sehr froh, daß er Sie kennengelernt hat! Wissen Sie, er arbeitet viel zuviel. Leider« – ein Stoßseufzer hob ihre Brust – »hat er ja noch keine Frau gefunden, die zu ihm paßt. Dabei weiß er genau, daß er mir keine größere Freude machen könnte, als wenn ich ein kleines Enkelchen bekäme!« Christine wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Aber das war auch gar nicht nötig, denn jetzt beugte sich Frau Falkenroth zu Florentine hinab, die die ganze Zeit brav und ein bißchen eingeschüchtert auf einem Schemelchen gesessen und ihren Kakao getrunken hatte.
»Fühlst du dich wohl, mein Kind?« Florentine nickte stumm, und Frau Falkenroth wandte sich begeistert wieder an die Mutter. »Was für ein entzückendes Mädchen! So ein süßes Gesicht, und was für wunderschöne Locken sie hat! Eine richtige kleine Schönheit!«
»Sie wird noch eitel werden«, lachte Christine. In diesem Moment drehte sich ein Schlüssel in der Haustür, und wenige Augenblicke später kam Christoph Falkenroth in den Salon. Sein Gesicht hellte sich auf, als er Christine sah, und sie errötete leicht.
»Ich habe Frau Kohse schon erzählt, wie sehr ich mich über eure Bekanntschaft freue«, sagte die alte Dame lebhaft. »Kommen Sie doch mal zum Abendessen zu uns, und bringen Sie Ihre anderen beiden Kinder und Ihren Mann mit!« Christine entging nicht, daß Frau Falkenroth sie bei diesen Worten neugierig beobachtete.
»Ich bin seit mehreren Jahren Witwe«, sagte Christine leise und vermied es, Herrn Falkenroth dabei anzublicken. Wieso stieg ihr schon wieder die Röte in die Wangen? Sie ärgerte sich über sich selbst.
Eine Pause entstand. Christine blickte auf die Uhr und erschrak. »So spät ist es schon? Julia und Markus müssen jeden Moment aus der Schule kommen!«
»Schade, daß Sie schon gehen müssen! Aber Sie kommen doch am Donnerstag zum Essen?« bat Frau Falkenroth. Christine sagte zu und verabschiedete sich herzlich. Christoph erbot sich, sie nach Hause zu begleiten.
»Weiß Ihre Mutter von dem verschwundenen Brief?« fragte Christine, als sie gemeinsam durch die grünen Alleen gingen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe niemandem etwas gesagt, auch meinem Verleger nicht. Aber ich mache mir natürlich große Sorgen. Sie haben keine Spur entdeckt?«
Christine schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollte doch die Polizei unser Haus durchsuchen«, meinte sie.
»Haben Sie denn… nun, einen Verdacht? Vielleicht hat jemand das Dokument gestohlen, ein Nachbar oder eine Hausangestellte.«
»Meinem Kindermädchen würde ich einen Diebstahl nicht zutrauen«, sagte Christine. »Und sonst war in letzter Zeit nur mein Onkel im Haus. Und, äh, mein Untermieter.« Sie räusperte sich. Warum mochte sie ihm nicht sagen, wie sie zu Sven stand?
Sie reichte ihm die Hand zum Abschied, und er hielt sie lange in der seinen. »Bis Donnerstag«, sagte er leise. »Ich freue mich darauf!«
*
»Frau Kohse ist nicht zu Hause. Wer ist da?« fragte Sven unfreundlich in den Hörer. Er zog gleichzeitig seinen Mantel über, denn er mußte eilig zur Werbeagentur fahren. »Frau Falkenroth? Geht es um eine Bestellung?«
»Aber nein! Ich wollte Frau Kohse nur noch einmal an heute abend erinnern. Sie sind der Untermieter, nicht wahr? Können Sie ihr ausrichten, daß wir uns schon sehr auf sie freuen? Ganz besonders mein Sohn!« betonte Frau Falkenroth. »Und sie