Chiaras Lächeln war schon wieder erloschen.
»Kommen Sie, Chiara«, bat Dr. Daniel die junge Italienerin. »Ich darf Sie doch mit dem Vornamen ansprechen, oder?«
Die junge Frau nickte. »Selbstverständlich, Herr Doktor.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Dr. Daniel begleitete sie in den kleinen Raum, den Monsignore Antonelli ihnen für dieses Gespräch zur Verfügung gestellt hatte. Unwillkürlich blickte sich Chiara um und entspannte sich, als sie sah, daß in dem Zimmer nichts war, wo sich eine Untersuchung hätte durchführen lassen.
Dr. Daniel vermochte ihren ängstlichen Blick gleich richtig zu deuten.
»Sie müssen vor mir keine Angst haben, Chiara«, erklärte er in besonders einfühlsamem Ton. »Der Monsignore hat Ihnen doch sicher gesagt, daß ich mich vorerst nur mit Ihnen unterhalten möchte.«
Chiara nickte, dann brach sie plötzlich in Tränen aus.
»Bitte, Herr Doktor, helfen Sie mir«, schluchzte sie verzweifelt. »Ich möchte so gern ein Baby. Ich will Elio nicht verlieren, und ich will auch nicht ins Kloster.«
»Augenblick, Chiara«, entgegnete Dr. Daniel. »Ich glaube nicht, daß das Kloster überhaupt für Sie zur Debatte steht. Soweit ich informiert bin, denkt Ihr Mann doch gar nicht daran, die Ehe für ungültig erklären zu lassen.«
»Jetzt noch nicht«, gab Chiara zu. »Aber wenn mein Vater ihn erst unter Druck setzt, dann wird Elio gewiß nachgeben. Mein Vater hat noch immer erreicht, was er wollte.«
Bedächtig wiegte Dr. Daniel den Kopf hin und her. »Wenn Ihr Mann Sie wirklich liebt, dann wird er seinen Entschluß niemals ändern – gleichgültig, wie sehr Ihr Vater ihm zusetzen wird. Aber lassen wir das vorerst einmal dahingestellt. Sie haben gesagt, daß Sie sich ein Baby wünschen. Ist das wirklich so, oder wollen Sie nur schwanger werden, um Elio nicht zu verlieren?«
»Macht das denn einen Unterschied?« fragte Chiara zu-rück.
Dr. Daniel nickte. »Einen sehr großen sogar. Wenn Sie tief im Innern nicht bereit sind für ein Kind, dann könnte das durchaus ein Grund sein, weshalb Sie nicht schwanger werden. Vor allen Dingen soll ein Baby die Krönung der Liebe sein, nicht ein Hilfsmittel für eine möglicherweise brüchige Ehe.«
Niedergeschlagen sackte Chiara in sich zusammen.
»Mein Vater hat also recht«, flüsterte sie. »Ich wehre mich gegen die Schwangerschaft.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Wollen Sie das Kind denn wirklich nur, weil Sie Angst haben, daß Ihre Ehe sonst annulliert werden könnte?
Chiara zuckte die Schultern. »Ich weiß es selbst nicht.« Sie schwieg einen Moment, dann trat ein zärtlicher Ausdruck in ihre Augen. »Ich habe mir immer ein Kind gewünscht, aber…« Unschlüssig sah sie Dr. Daniel an. »Vielleicht habe ich mir das ja auch nur eingeredet.«
Da lächelte Dr. Daniel. »Nein, Chiara, ich bin sicher, daß Sie sich das nicht nur eingeredet haben. Sie sind inzwischen bloß völlig verunsichert.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Ich fürchte, man hat Ihnen in den vergangenen Monaten sehr zugesetzt, weil Sie nicht schwanger geworden sind.«
Chiara nickte. »Meine Eltern haben gesagt, ich würde Schande über die Familie bringen. Wissen Sie, meine drei Schwestern haben alle schon Kinder, nur ich…, ich habe es noch nicht geschafft.«
»Das klingt, als würde es sich um einen Wettbewerb handeln«, meinte Dr. Daniel. »Chiara, Sie stellen sich auf diese Weise unter einen unnötigen Zwang. Ich habe in meiner Praxis schon mehrfach Frauen behandelt, die verbissen auf ein Baby hingearbeitet haben – wenn auch aus anderen Gründen als Sie. Geklappt hat es meist erst, wenn sie sich von diesem Zwang befreien konnten.« Er sah das Unverständnis auf Chiaras Gesicht. Daher fuhr er fort: »Sehen Sie, jegliche Streßsituation kann den normalen Zyklus einer Frau durcheinanderbringen. Das bedeutet, daß der Eisprung fast immer ausbleibt, wenn die Frau unter körperlicher oder psychischer Spannung steht. Genauso ist es jetzt auch bei Ihnen, und ich vermute, daß Sie im Augenblick gar keinen Eisprung haben und eben aus diesem Grunde auch nicht schwanger werden können.«
»Aber…, dann ist es ja aussichtslos«, befürchtete Chiara. »Wenn ich nicht schwanger werde, muß ich Angst haben, daß Elio mich verläßt, und solange ich Angst habe, kann ich nicht schwanger werden.«
Dr. Daniel erkannte, daß er anders vorgehen mußte. Es würde notwendig sein, diesen Elio in das Gespräch mit einzubeziehen. Auf diese Weise könnte sich Dr. Daniel auch ein Bild von dem jungen Mann machen
und vielleicht herausfinden, ob
Chiaras Angst tatsächlich berechtigt war.
»Wären Sie einverstanden, wenn ich mich auch mal mit Ihrem Mann unterhalten würde?« fragte er.
Im ersten Moment wollte die junge Frau den Kopf schütteln, überlegte es sich dann aber anders.
»Ja, ich bin einverstanden, Herr Doktor«, stimmte sie zu. »Wenn Elio weiß, daß ich mich wirklich bemühe, ein Kind zu bekommen, wird er mit der Annullierung der Ehe sicher noch warten.«
*
Elio Sandrini war erstaunt, als er nach Hause kam und feststellen mußte, daß Chiara nicht daheim war. Sein erster Gedanke war, daß sie vielleicht wieder zu ihren Eltern gegangen war, doch als er das Haus verlassen wollte, sah er seine Frau mit einem fremden blonden Mann die Straße heraufkommen.
Elios Stirn legte sich in bedrohliche Falten.
»Was hat das zu bedeuten?« wollte er wissen, kaum daß
Chiara in Hörweite war.
»Elio, das ist Dr. Daniel, ein deutscher Arzt, der hier gerade Urlaub macht«, erklärte Chiara sofort. »Monsignore Antonelli hat mich auf ihn aufmerksam gemacht. Dr. Daniel ist Frauenarzt.«
Die Falten auf Elios Stirn glätteten sich wieder. Mit einem freundlichen Lächeln reichte er Dr. Daniel die Hand.
»Buon giorno, dottore«, grüßte er höflich, doch weiter kam er nicht, denn Chiara mischte sich ein. »Dr. Daniel versteht leider kein Italienisch.«
»Ich fürchte, dann wird es schwierig«, meinte Elio. »Durch die deutschen Touristen, mit denen ich gelegentlich zu tun habe, kann ich zwar ein bißchen Deutsch, aber…«
»Sie beherrschen meine Sprache sogar ganz ausgezeichnet«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Ich nehme an, Sie können sich denken, worüber sich Ihre Frau mit mir unterhalten hat.«
Elio nickte. »Natürlich kann ich mir das denken, Herr Doktor.«
Mit einer einladenden Handbewegung ließ er Dr. Daniel eintreten und bot ihm Platz an, dann setzten er und Chiara sich ihm gegenüber, und Dr. Daniel bemerkte, wie sie sich zärtlich bei den Händen hielten. Spätestens in diesem Moment wußte Dr. Daniel, daß Chiaras Angst, von Elio verlassen zu werden, wirklich grundlos war. Überhaupt machte der junge Mann einen äußerst sympathischen Eindruck auf ihn.
»Es kann natürlich eine Menge Gründe geben, weshalb Ihre Frau nicht schwanger wird«, meinte Dr. Daniel. »Genaueres kann ich erst nach einer gründlichen Untersuchung sagen, aber zumindest eines scheint mir jetzt schon bedenklich: Ihre Frau steht unter einem viel zu großen Leistungszwang.«
»Ich weiß«, erklärte Elio, und in seiner Stimme schwang ein ärgerlicher Unterton mit. »Erst heute habe ich mit meinen Schwiegereltern darüber gesprochen. Es geht einfach nicht, daß sie Chiara in dieser Art und Weise zusetzen, aber…« Er zuckte die Schultern. »Mein Schwiegervater ist eine sehr dominierende Persönlichkeit, und er hat seine Familie von Anfang an unterdrückt. Keines seiner Kinder wagt ihm zu widersprechen – nicht einmal sein ältester Sohn, und der ist mittlerweile schon fast dreißig.«
Dr. Daniel nickte. So ähnlich hatte er sich das vorgestellt, obwohl ein solches Verhalten für ihn überhaupt