Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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ankündigten. Sie begaben sich sämtlich in das Haus.

      Die beiden Frauen in der Laube hatten keine Veranlassung, auf das alles sonderlich zu achten.

      Das sollte indes; bald anders werden.

      Die Kellnerin kam eilig auf einen Augenblick zu ihnen Sie schien unruhig zu sein.

      »Entschuldigen Sie mich, Mamsell«, bat sie, »wenn ich nicht so bald wieder zu Ihnen kommen kann. Da sind eine ganze Menge preußische Zollbeamte angekommen. Sie scheinen in der Gegend heute Nacht etwas vorzuhaben und hier noch vorher eine Nachricht erwarten zu wollen. Sie haben schnell Abendessen verlangt.«

      »Es beunruhigt Sie?« fragte die Mamsell.

      »Ach, Mamsell, diese Zollgrenzer sind kein Glück für das Land. Und wenn die Zollbeamten so in Menge und so heimlich zusammenkommen, dann gibt es immer ein Unglück. Heute gar —«

      »Was ist es heute?«

      »Es ist ein Regierungsrat aus Minden angekommen —«

      Die Kellnerin stockte.

      Trotz der Finsternis, die in der Laube herrschte, sah man, wie die Frau Mahler plötzlich in die Höhe fuhr.

      Die Mamsell und die Kellnerin mussten nach ihr hin blicken. Aber die Frau saß wieder still, und wenn sie blass geworden war, in der Dunkelheit sah man es nicht.

      »Er soll«, fuhr die Kellnerin fort, »an Ort und Stelle nachsehen, wie die vielen Zolldefraudationen hier an der Grenze noch immer stattfinden können. Da ist es denn nun überaus streng geworden, und heute Abend scheint er etwas ganz Besonderes ausführen zu wollen; es ist, als ob er die sämtlichen Grenzbeamten der Gegend hier zusammengebracht hätte. Die armen Leute, gegen die sie ausziehen! Wer doch warnen könnte!«

      Sie sprach es bekümmert. Sie wollte gehen; sie musste zur Bedienung der Gäste nach dem Hause zurück.

      Drüben am Ufer hinter der alten Sägemühle wurde ein Ruf laut.

      »Hol’ über!« rief eine jugendliche Stimme.

      Die Kellnerin erkannte sie. Sie stürzte in die Laube zurück zu Karoline Lohrmann.

      »O Mamsell, da wäre ja noch Warnung, Rettung möglich! Der Bernhard Henke kommt dort. Er will heute Nacht eine Schmugglerbande durch die Berge führen. Ich habe getan, was ich konnte, um es ihm auszureden. Er hörte nicht auf mich. Sprechen Sie mit ihm. Ich schicke ihn zu Ihnen.«

      »Tun Sie das«, sagte Karoline.

      Die Kellnerin eilte fort. — Sie kam nach wenigen Minuten mit Bernhard Henke zurück.

      »Er bleibt bei seinem Vorsatze, Mamsell.«

      Sie musste damit gehen.

      »Die Henriette hat Dir gesagt, wer drinnen im Hause ist?« fragte Karoline den Knaben.

      »Ja, Mamsell. Aber ich kenne Wege, von denen jene nicht einmal wissen, dass sie da sind.«

      »Woher kommst Du jetzt, Bernhard?«

      »Von Hause, Mamsell.«

      »Und was hast Du dort gefunden?«

      »Meine Mutter weinte.«

      »Und Dein Vater? Aber nein, darüber darf man mit einem Kinde nicht sprechen. Aber Deine Geschwister? Sie hungerten wohl wieder, weil Deine Mutter weinte? Und Deine Mutter hungerte mit ihnen?«

      »So war es, Mamsell. Meine Mutter hatte dem Vater das Geld, das Sie ihr vorgestern geschenkt hatten, abgeben müssen; er hatte sich Schnaps dafür gekauft und —«

      »Und Du kamst in das volle Elend Deines elterlichen Hauses. Und Du willst dieses Elend vermehren, Bernhard? Du willst Deine Mutter zur Verzweiflung bringen? Du allein kannst künftig ihre Stütze werden, wenn sie selbst nicht mehr arbeiten kann. Du willst Dich heute Nacht in die augenscheinlichste Lebensgefahr begeben! Sieh mich an, Bernhard! Warum schlägst Du die Augen nieder?«

      Bernhard hatte die Augen auf den Boden geheftet.

      Er musste sie erheben.

      »Ich verdiene heute Nacht dreißig Taler, Mamsell!«

      »Und wenn es das Blutgeld wäre, für das sie Dich Deiner Mutter als Krüppel oder gar als Leiche in das Haus bringen?«

      Die Mamsell hatte falsch gerechnet.

      »O Mamsell«, antwortete der Knabe, »von hundert Kugeln trifft kaum eine, selbst nur im Kriege, wo sich Mann und Mann gegenüber stehen; das habe ich auch schon gehört, und das wissen Sie am besten von Ihrem tapferen Herrn Bräutigam, der so oft in einem Regen von Kugeln gestanden hat. Wäre ich größer gewesen und stärker, sodass ich ein Gewehr hätte tragen können, so wäre ich diesmal auch mitgegangen, und da hätte es mich noch weit eher treffen können als heute Nacht.«

      »Da hättest Du für eine große, heilige Sache gekämpft, Bernhard!«

      »Und heute Nacht gehe ich für meine Mutter, der ich die dreißig Taler bringe.«

      Die Mamsell fand sich wieder zurecht.

      »Höre, Bernhard die dreißig Taler gebe ich Deiner Mutter.«

      »Nein, nein, Mamsell!«

      »Höre noch mehr. Du hast bis jetzt noch nichts lernen können, weil Euch das Geld dazu fehlte. Du hast nur den Bauern geholfen, um ein paar Groschen für Deine arme Mutter zu verdienen. Du hast das wie ein braver Sohn getan. Es wird aber Zeit, daran zu denken, dass ein ordentlicher Mensch aus Dir wird, der ein tüchtiges Handwerk versteht. Ich dachte schon vorgestern daran, als ich bei Deiner Mutter war. Ich werde Dich nach Warburg in die Lehre geben und weiter für Dich sorgen.«

      »Mamsell« — sagte der Knabe. Aber er konnte vor Rührung nicht weiter sprechen.

      Karoline Lohrmann nahm seine Hand.

      »Und nun, Bernhard, nicht wahr, Du bleibst heute Nacht bei mir, oder besser, Du kehrst zu Deiner Mutter zurück, dass sie sich nicht um Dich ängstigt und dass Du ihr die Freude machen kannst, ihr das zu erzählen, was ich Dir gesagt habe?«

      Sie hatte doch wieder falsch gerechnet.

      Der Knabe kämpfte heftig mit sich; nicht über einen Entschluss, den er nicht hätte fassen können; entschlossen war er, aber es wurde ihm so schwer, es gegen die Mamsell auszusprechen, gegen seine und seiner Mutter Wohltäterin. Und doch musste er es. Die Tränen traten ihm in die Augen; Schluchzen unterbrach seine Worte.

      »Ich kann nicht, Mamsell! Ich muss mit den Juden gehen. Ich soll hier auf sie warten. Ich habe es ihnen versprochen und muss ihnen mein Wort halten. Wenn ich Ihnen etwas versprochen hätte, Mamsell, und ich wollte es Ihnen nicht halten; würden Sie nicht von mir sagen, ich sei ein schlechter Mensch? Nun sind es zwar nur Juden, aber auch ein Jude soll nicht schlecht über mich sprechen dürfen.«

      Er sprach so ehrlich, so treuherzig, so bittend.

      »Wenn Du in den Tod gingest, Bernhard!« sagte Karoline Lohrmann nur noch.

      »Und wenn ich in den Tod gehen müsste, Mamsell!«

      Was war dem Mut, der Entschlossenheit, dem festen Willen und der Ehrlichkeit des Knaben gegenüber zu machen?

      »Und er ist fast noch ein Kind!« sagte leise die Frau Mahler zu der Mamsell. »Gott wird ihm seine zwei Engel mitgeben.«

      »Aber warnen muss ich Dich noch, Bernhard«, sagte Karoline Lohrmann zu ihm. »Kann ich Dich nicht zurückhalten, so musst Du die Gefahr kennen, der Du entgegengehst, damit Du Dich gegen sie schützen kannst.«

      Sie teilte ihm mit, was sie von der Anwesenheit der Grenzbeamten selbst gesehen und durch die Kellnerin gehört hatte.

      »Halb und halb wusste ich es schon«, erwiderte der Knabe. »Aber ich fürchte diese Grenzbeamten nicht, auch nicht den Mindener Regierungsrat.«

      Er musste gehen.

      »Die