Als Peter nach Gorky zurückgekommen war, befahl er seinem Reitknecht, die Pferde frühmorgens bereitzuhalten und ihn zu wecken. Dann schlief er sogleich ein in einer Ecke des Verschlags. Als Peter am anderen Morgen erwachte, war niemand mehr in der Hütte. Die Fenster zitterten, der Stallmeister stand am Bett und schüttelte ihn.
»Erlaucht! Erlaucht! Erlaucht!« wiederholte er hartnäckig, ohne Peter anzublicken und schien schon alle Hoffnung zu verlieren, ihn erwecken zu können.
»Was? Hat es schon angefangen?« fragte Peter erwachend.
»Belieben Sie das Schießen zu hören«, sagte der Stallmeister, ein verabschiedeter Soldat. »Alle Herren sind schon hinausgegangen, selbst Seine Durchlaucht ist schon lange abgefahren.«
Peter kleidete sich hastig an und lief auf die Treppe hinaus. Draußen war es hell, frisch und tauig, die Sonne brach eben aus einer Wolke hervor. Deutlicher hörte man den Kanonendonner. Ein Adjutant trabte mit Kosaken vorüber.
»Es ist Zeit, Graf! Es ist Zeit!« rief der Adjutant.
Peter ließ sein Pferd vorführen und ritt hinaus auf der Straße nach dem Hügel, von dem aus er gestern das Schlachtfeld überblickt hatte. Auf diesem Hügel stand eine Gruppe Offiziere, man hörte ihr französisches Gespräch und sah den weißen Kopf Kutusows mit seiner weißen Mütze mit rotem Rand. Kutusow blickte mit einem Fernrohr die große Straße entlang. Peter war entzückt über das prachtvolle Schauspiel. Es war dasselbe Panorama, das er gestern von diesem Hügel aus bewundert hatte, jetzt aber war die ganze Gegend mit Truppen bedeckt, und die schiefen Strahlen der Morgensonne trafen die zahlreichen Rauchwolken der Schüsse. Ferne Wälder faßten das Panorama ein, und bis hinter Walujew konnte man die große Straße nach Smolensk verfolgen, die ganz von Truppen bedeckt war. In der Nähe glänzten die Felder und Waldlichtungen in goldenem Schein, überall, vorwärts, rechts und links, bewegten sich Truppen, alles war belebt, majestätisch, aber am meisten war Peter ergriffen vom Anblick des Schlachtfeldes selbst, des Dorfes Borodino und der Brücke über die Kolotscha. Über Borodino und der Kolotscha, besonders dort, wo das Flüßchen Woina mit seinen sumpfigen Ufern in die Kolotscha mündet, lag dichter Nebel, der unter den Strahlen der Sonne nach und nach zerfloß und durchsichtig wurde. Durch den Nebel und den Pulverdampf sah man Bajonette im Morgenlicht blinken. Dort drüben wurde die weiße Kirche von Borodino sichtbar und dann starke Truppenmassen, grüne Pulverwagen und Kanonen. Alles das bewegte sich oder schien sich zu bewegen, weil der Nebel und der Rauch sich über die ganze Gegend hinzogen. Zur Linken, längs der ganzen Linie, erhoben sich beständig aus nichts kleine Rauchwolken, die sich rasch aufblähten und ausbreiteten.
Diese Rauchwolken waren Schüsse, deren Donner dem ganzen Schauspiel eine feierliche Schönheit verlieh. Fortwährend bildeten sich diese großen Rauchwolken, und dann noch näher erhob sich der schwächere Rauch von Gewehrfeuer, dessen Krachen im Vergleich mit dem Kanonendonner schwach erklang. Peter wollte dort sein, wo diese Rauchwolken sich erhoben, wo die Bajonette glänzten. Er blickte sich nach Kutusow und seiner Suite um, um seine Eindrücke mit denen der anderen zu vergleichen. Alle überblickten mit derselben Spannung das Schlachtfeld.
»Reite dorthin, mein Lieber, Christus sei mit dir!« sagte Kutusow zu einem General, der neben ihm stand.
Der General ging an Peter vorüber. »Nach der Brücke«, erwiderte er kalt als Antwort auf die Frage eines der Stabsoffiziere, wohin er gehe.
»Ich auch! Ich auch!« sagte Peter und folgte dem General nach. Dieser setzte sich auf ein Pferd, das ihm ein Kosak vorführte, während Peter zu seinem Stallmeister ging, der die Pferde hielt. Er wählte das ruhigste, stieg auf und drückte dem Pferde die Absätze seiner nach auswärts gerichteten Füße in die Seite. Dann galoppierte er dem General nach, während er fühlte, daß seine Brille herabfallen wollte, daß er aber nicht imstande war, den Sattelknopf loszulassen, während die Offiziere ihm lächelnd nachsahen.
172
Als der General, dem Peter nachsetzte, von der Höhe herabgekommen war, wandte er sich scharf nach links. Peter verlor ihn aus dem Gesicht und ritt in die Reihen von Infanteriemassen hinein, die vor ihm gingen. Er bemühte sich, bald links, bald rechts herauszukommen, aber überall waren Soldaten, die den dicken Menschen mit dem weißen Hut fragend und mit bösen Blicken ansahen. »Was hat er mitten im Bataillon zu schaffen?« sagte einer, ein anderer stieß sein Pferd mit dem Kolben, und Peter galoppierte den Soldaten voraus, wobei er sich kaum auf dem Pferde halten konnte.
Vor ihm lag die Brücke, wo andere Soldaten standen und schossen. Bald kam Peter zur Brücke über die Kolotscha, zwischen Gorky und Borodino, die während der ersten Entwicklung der Schlacht von den Franzosen angegriffen wurde. Peter sah, daß vor ihm die Brücke lag, und daß auf beiden Seiten der Brücke und auf den Wiesen Soldaten in Rauch gehüllt sich bewegten, aber trotz des unaufhörlichen Gewehrfeuers hatte er keine Ahnung davon, daß hier das Schlachtfeld war. Er hörte nicht das Pfeifen der Kugeln und der schweren Geschosse, die über ihn hinwegflogen, er sah nicht den Feind am jenseitigen Ufer des Flusses, und lange bemerkte er auch keine Toten und Verwundeten, obgleich viele in seiner Nähe fielen.
»Was reitet dieser da vor der Linie umher?« rief wieder jemand.
»Nach links! – Nach rechts!« rief man ihm zu.
Peter wandte sich nach rechts. Er traf unerwartet einen Adjutanten des Generals Rajewsky. Dieser wollte Peter eben mit zornigem Blick anrufen, als er ihn erkannte und ihm mit dem Kopfe zunickte.
»Was machen Sie hier?« fragte er und ritt weiter.
Peter fühlte, daß er nicht an seiner Stelle war, und da er befürchtete, wieder jemand zu stören, ritt er dem Adjutanten nach.
»Was geht hier vor? Kann ich mit Ihnen kommen?« fragte er.
»Gleich! Gleich!« erwiderte der Adjutant und galoppierte auf einen dicken Oberst zu, der auf der Wiese stand, meldete ihm etwas und wandte sich dann nach Peter um.
»Wie sind Sie hierhergekommen, Graf?« sagte er lachend. »Sind Sie immer noch so neugierig?«
»Ja, ja«, sagte Peter, aber der Adjutant wandte sein Pferd und ritt weiter.
»Hier geht’s noch an«, sagte der Adjutant, »aber auf dem linken Flügel bei Bagration ist ein entsetzliches Blutbad.«
»Wirklich?« fragte Peter. »Wo ist das?«
»Nun, kommen Sie mit mir nach dem Hügel, dort bei uns auf der Batterie ist’s noch erträglich«, sagte der Adjutant. »Kommen Sie mit?«
»Ja, ich komme«, sagte Peter und suchte mit den Augen seinen Reitknecht.
Hier sah Peter zum erstenmal Verwundete, welche sich zu Fuß wegschleppten, oder auf Tragen fortgebracht wurden. Auf der Wiese lag unbeweglich ein Soldat, dessen Tschako neben ihm lag.
»Warum hat man diesen nicht fortgebracht?« fragte Peter, aber als er das ernste Gesicht des Adjutanten sah, schwieg er.
Peter konnte seinen Stallmeister nicht finden und ritt mit dem Adjutanten durch die Niederung nach dem Rajewskyhügel zu. Peters Pferd fing an zu hinken.
»Sie sind wohl nicht gewohnt zu reiten, Graf?« fragte der Adjutant.
»Nein, es geht, aber das Pferd stößt sehr«, sagte Peter verwundert.
»Eh… es ist verwundet«, sagte der Adjutant. »Am rechten Vorderfuß unter dem Knie! Ich gratuliere zur Feuertaufe.«
Nachdem sie im Rauch am sechsten Korps vorbeigeritten waren, hinter der Artillerie, welche dort aufgestellt war und unter betäubendem Kanonendonner feuerte, kamen sie zu einem kleinen Wald. Im Walde war es kühl und ruhig. Peter und der Adjutant stiegen von den Pferden und gingen zu Fuß auf die Anhöhe zu.
»Ist hier der General?« fragte der Adjutant die Soldaten.
»Er