Eliot nahm den Teller mit dem Sandwich, ging suchend an den Tischen entlang und ließ sich dann in der Nähe der Telefonzelle nieder, nahm eine Zeitung von der Wand und kaute langsam sein Brötchen.
So schalldicht, wie es den Anschein hatte, war die Telefonzelle doch nicht, denn Eliot hörte den Mann jetzt sagen:
»Du verstehst, was ich dir gesagt habe. Die Polente ist schon dagewesen. Doch, doch, ich habe den Kerl ja gesehen. Nein, ich kannte ihn nicht. Aber es ist ein Bulle; ich habe eine Nase dafür. Also, ich erwarte dich kurz nach elf am Miranda Park. Du weißt, an der Caldwell Avenue, da, wo wir uns neulich getroffen haben. Ja, es ist wichtig. Verflucht, hör doch zu, was ich dir sage. Ich vermute, daß sie ihn gefunden haben. Wenn du gern dreihunderttausend Volt schlucken willst, dann ist das deine Sache. Ich jedenfalls nicht! Also, du kommst, oder die Sache geht hoch!«
Als Ferry London nach drei Minuten den Hörer einhing und die Zelle verließ, hatte der Mann, der da gerade mit dem Sandwich an einem der Tische in seiner nächsten Nähe Platz genommen hatte, die Schenke schon verlassen. Er hatte bezahlt und war gegangen.
Was Eliot Ness gehört hatte, konnte für seinen Fall völlig bedeutungslos sein und hatte wahrscheinlich nicht das mindeste damit zu tun. Aber es war ein anderer Fall! Wie oft war er in die Lage gekommen, daß sich von seinem Fall andere Fälle abzweigten, denen er anfangs gefolgt war, sie dann aber hatte aufgeben müssen. Man geriet vom Stamm auf die Zweige, und schließlich verästelten sich die Dinge so, daß man vom Hundertsten ins Tausendste geriet – und dazu hatte er einfach nicht die Zeit. Es war beklemmend, feststellen zu müssen, wie tief das Verbrechen in dieser Stadt verwurzelt war. Es schien überall zu sein, wohin er auch seinen Fuß setzte. Er hatte es sich nun zum Prinzip gemacht, vor allem seinen großen, wichtigen Fall zu verfolgen, den er gerade zu bearbeiten hatte. Und das, was da vor der Haustür des FBI-Gebäudes geschehen war, war ein wichtiger Fall. Wenn die Gangster in dieser Stadt sich nicht scheuten, vor dem FBI-Gebäude einen Menschen niederzuknallen, dann war das schon schlimm; wenn dieser Mord aber nicht ganz schnell aufgeklärt wurde, dann war das noch sehr viel schlimmer. Es würde die Rücksichtslosigkeit des Gangstertums nur noch stärken – und obendrein einem gewissen Rufus Matherley noch Wasser auf die Mühle geben.
Es war schon ein saurer Job, den Edgar Hoover dem jungen Eliot Ness da gegeben hatte. Aber der große Boß des FBI drüben im fernen Washington hätte auf der ganzen Welt keinen besseren Mann für diesen Posten finden können. Er hatte mit Eliot Ness den goldenen Griff getan.
Der Chef-Inspektor war dem seltsamen Ferry London gefolgt, konnte ihn hinten im Park entdecken, machte einen Bogen, blieb an einer Bushaltestelle stehen und entdeckte wenige Minuten nach elf einen Mann, der mit dem Taxi gekommen war und mit bewußt langsamen Schritten in den Park ging.
Der G-man, der genau wußte, wohin London gegangen war, verließ die Haltestelle, ging am Parkrand entlang und trat dann in das Gebüsch, das hier nicht sehr dicht war; er schob sich vorwärts, bis er ganz in die Nähe des Weges kam, auf dem London wartete.
Der elegant gekleidete Gangster stand neben dem silbergrauen, glatten Stamm einer Buche und linste den Parkweg hinunter. Plötzlich zuckte er zurück. Er hatte den Erwarteten erspäht. Eliot sah, daß er die Rechte in die Manteltasche schob, und als er sie herauszog, hatte er einen Revolver darin. Eine kleine fünfschüssige deutsche Miniaturpistole Marke Mauser.
Ferry London preßte sich jetzt dicht an den Stamm der Buche und schob die Waffe zurück in die Tasche.
Der andere, der nur zögernd näherkam, war ein großer, starker Mensch in abgetragener, fast schon schäbiger Kleidung. Seine Hosen waren zu kurz und seine schwarzen, ungeputzten Schuhe schnabelförmig und hochgebogen. Er trug einen Zweidollarmantel und einen Hut, der sicher schon ein Jahrzehnt abgedient hatte. Als er bis an die Buche herangekommen war, blieb er plötzlich stehen.
Da trat London urplötzlich vor.
Der andere wich einen halben Schritt zurück.
»Eine Art hast du an dir, Mensch!«
»Sie waren bei Joe«, sagte Ferry London schnarrend.
Der andere zog die Schultern hoch.
»Na und? Was geht das mich an?«
»Es kann keinen Irrtum geben«, krächzte London, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, »daß die Bullen bei Joe waren.«
Eliot stand so, daß er den seltsamen Mr. London von hinten sehen konnte, also auch seine rechte Hand im Blickfeld hatte, die den Revolver sicherlich griffbereit in der Tasche hielt. Wenn der Inspektor nun auch wußte, daß er den Weg hierher nicht umsonst gemacht hatte, weil sich hier eine scharfe Szene anzubahnen schien, so verblüffte ihn doch der nächste Satz Londons völlig.
»Die Hunde wissen, daß Scarepa versucht hat, zu Capone zu stoßen. Und wenn sie das wissen, dann wissen sie auch, daß Longfellow…«
»Rede doch leiser, Mensch!« fuhr ihn der andere an.
»Hör zu, Mike«, schnarrte London, »du hast in diesem Ton nicht mit mir zu reden!«
»Was willst du überhaupt von mir?«
»Sie waren bei Joe im Betrieb und haben nach einem gewissen Dillinger gefragt.«
»Was habe ich damit zu tun?«
»Joe hat mich heute morgen angerufen und mir mitgeteilt, daß er nicht mehr mitspielt. Er ist mit seinem Vetter und einem Mann aus St. Louis verschwunden.«
»Schön, aber was geht mich das alles an?«
Eliot, der etwas zu weit weg stand, konnte das Gespräch nur bruchstückweise verstehen.
Aber er vermochte sich den Sinn der fehlenden Worte rasch zusammenzureimen.
Da beugte sich London vor und knurrte:
»Dieser Vetter heißt Dillinger, Frank Dillinger. Und du kennst ihn!«
»Ich?«
»Ja, du!«
Der andere wich zurück.
»Du willst doch damit nicht sagen, daß ich…«
»Doch, du Miststück! Du hast von Lembach oder Ole Brissop erfahren, daß MR. CHICAGO einen Mann namens Dillinger sucht. Und weil du Dreckskerl wieder einmal Geld brauchst, hast du gesungen.«
»Ich habe nicht gesungen! Wozu auch?«
In diesem Augenblick zerrte London den Revolver aus der Tasche.
»Ferry, nimm doch Verstand an!« stieß Mike tödlich erschrocken hervor.
Das harte, metallische Klicken eines schweren Revolverhahns ließ die beiden Männer zusammenfahren. London flog herum und stieß den Revolver auf den Fremden zu, den er aus den Büschen treten sah. Der Schuß peitschte los. Dicht zischte das 22er Geschoß am linken Oberarm des FBI-Agenten vorbei.
In einer solchen Sekunde gab es kein Überlegen. Der Chef-Inspektor vom Oakwoods Cemetery handelte mit der Präzision eines hochqualifizierten Uhrwerks. Er täuschte einen Sprung nach links vor, ließ sich dann aber im Fallwurf nach rechts abrollen und feuerte.
Das schwere 38er Geschoß aus der Coltautomatic traf den rechten Ellbogen des Gangsters wie ein Balkenstoß.
Ein erstickter Schrei brach von Londons Lippen. Dann ließ er den Revolver fallen, spannte die Linke um den getroffenen Arm und verzerrte das Gesicht.
Der Mann, den er Mike genannt hatte, stand einen Moment reglos da, wandte sich dann um und schoß mit weiten Sätzen im Zickzack davon.
Doch der Norweger war schneller. Nach knapp fünfzig Schritten hatte er ihn eingeholt und warf ihn nieder. Sie überschlugen sich zweimal, und der Gangster griff mit seinen gewaltigen Pranken nach der Kehle des Gegners.
Aber ein scharfer Handkantenschlag des FBI-Agenten lockerte die Halsklammer, und ein nachfolgender Hieb lähmte die ganze linke Seite des Gangsters.
Trotz