Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Elvestad
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027212743
Скачать книгу
über die Klaviatur seiner Ziehharmonika.

       »Aber wenn du an ... an uns zwei denkst?« fragte er.

      »Sigvard, ich will es dir sagen, dann werde ich sehr froh, aber nur für einen kleinen, kleinen Augenblick.«

      »Wir werden es schon schaffen«, sagte Sigvard ernst. »Auch wenn Vater noch so sehr dagegen ist. Ich kann mir mein Brot schon selber verdienen.«

      »Ja, aber es ist nicht nur das. Aber wenn ich daran denke, daß auch wir hier so weiter herumgehen sollen, fühle ich mich schrecklich unglücklich. Davor ist mir wohl oft bange gewesen, ohne daß ich es wußte.«

      »Wir werden schon draußen in der Welt zu Menschen finden, die glücklicher sind«, erwiderte Sigvard.

      Er blieb ein Weilchen still sitzen. Dann fügte er hinzu:

      »Heute habe ich viel über das Schiff nachgegrübelt, das verschwunden ist.«

      »Weil es zwanzig Jahre her sind?«

      »Nicht so sehr deshalb, als weil alle Menschen heute mehr davon gesprochen haben als sonst. Mir scheint, jedesmal wenn sie davon sprechen, werden sie immer noch bösartiger gegeneinander. Und da muß man ja darüber nachdenken, was eigentlich an der ganzen Sache ist. Weder du noch ich haben das Schiff gesehen, Ann-Mari. Jetzt habe ich die wunderliche Vorstellung, daß es gar nicht dagewesen ist.«

      Ann-Mari sah ihn erschrocken an.

      »Aber Sigvard!« sagte sie vorwurfsvoll.

      »Ja, siehst du!«

      Wie alle einfachen Menschen, die sich ihre tiefen Grübeleien nicht klarmachen können, suchte auch Sigvard sich mit Zeichen zu helfen. Er führte die zwei Zeigefinger hoch oben in der Luft zusammen, trennte sie dann wieder und beschrieb einen großen Bogen, worauf sich die Finger tief unten wieder trafen.

      »Weißt du noch,« fuhr er fort, »als wir zur Konfirmation gingen, da sprach der Pfarrer von Geistern und Gespenstern. Davor braucht man nicht bange zu sein, sagte der Pfarrer. Selbst wenn wir ein Gespenst sehen, so existiert es nicht, es ist nur eine Furcht, ein Beben in unserer eigenen Brust, das Gestalt angenommen hat. Ja, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, Ann-Mari, aber vielleicht ist dieses Schiff auch nur ein Gespenst, vielleicht ist es nur aus den bösen Gedanken der Menschen entstanden.«

      Ann-Mari sah von ihm weg. Plötzlich sagte sie:

      »Jetzt ist Licht in den Fenstern des Fremden. Er sah so unruhig und unglücklich aus, dieser Mann, er sei so müde, sagte er, aber siehst du, jetzt kann er nicht mehr schlafen.«

      »Vielleicht will er nur ein bißchen lesen«, meinte Sigvard.

      »Nein,« sagte Ann-Mari, »er geht im Zimmer auf und ab, das Licht bewegt sich ja von einem Fenster zum anderen.«

      Plötzlich fuhr sie auf:

      »Nein, was war das?«

      Beide hatten dasselbe gehört. Sie sprangen von der Bank auf und blickten in die tiefe Dunkelheit zwischen den Holzstößen. Da hörten sie rasche Schritte, die sich entfernten.

      VII. Mit der Axt ...

       Inhaltsverzeichnis

       Die Schritte verloren sich nach dem Dorfe zu. Die beiden jungen Menschen standen da und sahen einander an.

      »Da hat jemand gehorcht«, flüsterte Ann-Mari.

      Sigvard antwortete nicht. Er spielte ein paar Tonfolgen auf der Harmonika, gleichsam eine Botschaft an den Horcher, daß das Ganze ihm völlig gleichgültig war.

      Wieder setzten sie sich auf die Bank, diesmal enger aneinandergeschmiegt. Ann-Mari schmeichelte ihre Hand unter den Arm des Jünglings. Die Störung hatte sie nur noch vertrauter gemacht.

      Ann-Mari flüsterte:

      »Wenn jemand gehört hat, was du da sagtest, dann klatscht er morgen vielleicht. Und dann lachen dich die andern aus.«

      »Was liegt mir daran«, antwortete Sigvard niedergeschlagen.

       »Du weißt ja, alle Menschen finden, daß du so wunderlich sprichst. So ausstudiert. Ja, ich finde das ja nicht. Ich höre dir immer so gerne zu.«

      »Ich habe ja auch schon beinahe niemand anderen mehr, mit dem ich reden könnte, Ann-Mari.«

      »Und es heißt bei den Leuten, daß wir draußen im Fährhaus alle so sonderbar werden.«

      Eine Weile saßen sie schweigend da. Dann sagte Sigvard:

      »Da denken sie wohl vor allem an Signe.«

      »Ja«, meinte Ann-Mari zögernd. »Gewiß denken sie hauptsächlich an meine Mutter.«

      Signe, so wurde die Hellsichtige immer genannt. Auch Ann-Mari sprach oft als »Signe« von ihr. Es ist auf dem Lande und in kleinen engen Gemeinwesen so der Brauch. Die unehelichen Kinder dürfen den Mutternamen nicht entweihen, indem sie sich seiner bedienen. Wenn jemand zu Ann-Mari »deine Mutter« sagte, so lag immer ein Stich darin. Ein Versuch, zu beleidigen.

      »Ja, Signe ist wunderlich«, sagte Sigvard nachdenklich. »Warum spricht sie denn so selten, sie ist doch nicht stumm?«

      »Das habe ich mir so zurechtgelegt«, sagte Ann-Mari mit kindlichem Eifer. »Weißt du, wenn sie nicht spricht, dann braucht sie ja auch keine harten, bösen Worte zu hören. Ich kann mich an sie gar nicht anders erinnern, als wie sie jetzt ist. Still und stumm. Aber sie wird wohl einmal anders gewesen sein, als ich noch ganz klein war. Es war ja eine solche Schande für die Familie, daß ich auf die Welt kam. Und in der ersten Zeit hat sie wohl jedesmal, wenn sie nach etwas fragte, eine bissige Antwort bekommen. Oder eine spöttische. Und da hat sie lieber ganz still geschwiegen. Ich glaube, sie hat es sehr schwer gehabt, die Mutter. Aber jetzt nicht mehr. Sie hat es nicht gut, aber auch nicht schlecht. Sie lebt ganz für sich. Es ist, als ob sie die ganze Zeit träumte und gar nicht mehr unter uns anderen erwachen möchte. Ab und zu einmal spricht sie zu mir, wenn niemand dabei ist. Heute in aller Frühe zog sie mich an sich, sie war so furchtbar eifrig, so als wollte sie mir eine unerhörte Neuigkeit erzählen. Ann-Mari, sagte sie, jetzt kommt der Frühling zum letztenmal. Und dabei war sie strahlend froh. Ist das nicht schön?«

      »Signe ist eben hellsichtig«, sagte Sigvard mit großem Ernst.

      »Hellsichtig, was ist das eigentlich?«

      »Hellsichtige Leute«, sagte Sigvard, »können Dinge sehen, die wir nicht sehen können.«

      »Können sie auch künftige Ereignisse ahnen?«

      »Das auch.«

      »Dann ahnt sie vielleicht jetzt etwas. Es muß etwas Freudiges sein, denn ich habe sie selten so glücklich gesehen.«

      Sigvard starrte eine Zeitlang stumm zum Sternenhimmel empor. Dann sagte er plötzlich:

      »Denk nur, wenn dein Vater zurückkäme!«

      Ann-Mari schmiegte sich ängstlich an ihn. Mit Tränen in der Stimme sagte sie:

      »Nicht, Sigvard, nicht! Du darfst das nicht glauben. Darum habe ich ja solche Angst davor, daß wir hierbleiben. Dann wirst du auch von dem Fluch angesteckt.«

      Mit selbstbewußter Überlegenheit und ungeheuer abweisend antwortete Sigvard:

       »Nein, nein! Ich weiß, daß das Schiff untergegangen ist und daß alle längst tot sind.«

      Er wies hinauf zu den Sternen.

      »Vielleicht sind alle unsere Toten dort oben. Wenn ich die Augen halb schließe und lange hinaufstarre, kann ich zwischen den Sternen undeutliche Gesichter sehen. Und wenn ich von Stern zu Stern Schnüre ziehe, so werden Schiffe daraus. Schiffe, die so luftig und leicht gehen, daß es eine Lust ist. Siehst du die zwei Sterne dort oben, Ann-Mari? Die funkeln wie Katzenaugen im Dunkel. Wenn ich eine Schnur von ihnen zu dem roten Stern dort unten