»Was waren das für Stimmen?«
»Ja, Stimmen, die melden sollten, daß das Schiff in Gefahr war. Es war eine Sturmnacht, das ist nun so manches liebe Jahr her. Wir saßen unser viele um den Tisch hier, akkurat wie heute. Da kam sie hereingestürzt und rief:
›Nun habe ich es gehört! Die Stimmen vom Schiff! Es geht unter!‹«
Der Fremde schlug den Pelzkragen bis über die Ohren auf. Es begann wirklich kalt zu werden, nächtlich kalt. Die Holzklötze im Kamin glühten nur und rauchten.
»Und wie stellten sich die Leute hier dazu?« fragte der Fremde.
»Sie gaben gar keine Antwort. Sahen sie nur an und schwiegen. Dann fing einer zu lachen an. Dann lachten wohl die meisten mit. Aber es war ein unheimliches, gekünsteltes Lachen.«
Der Fremde erhob sich plötzlich. Die Schritte kamen die Treppe hinunter. Bald darauf erschien Johannes mit einer brennenden Kerze in der Hand. Die Fährwirtin hatte sich vor dem Fremden noch nicht gezeigt, sie war in die dunkle Küche gegangen.
»Ihr Zimmer ist bereit,« sagte Johannes, »soll ich Sie hinauf begleiten?«
»Ist nicht notwendig«, sagte der Fremde und nahm ihm die Kerze aus der Hand. »Ich finde schon selbst.«
Draußen im Stiegenhaus hob er die brennende Kerze hoch über seinen Kopf und rief in die stockfinstere Küche:
»Hallo, ist niemand da? Mir scheint, ich höre jemanden hier?«
Aber da er keine Antwort bekam, ging er weiter, die Stiege hinauf, die unter seinen Schritten knarrte.
V. Kaisa, die Hexe
Johannes blieb im Stiegenhaus stehen, um zu sehen, daß der Fremde gut hinaufkam. Die Herbergsmutter hatte sich in der Küche versteckt, Johannes sah, da die Küchentür offen war, undeutlich die Umrisse ihrer Gestalt. Von dem Licht, das der Fremde in der Hand trug, fiel auch ein matter Schein in die schwarze Küche, die blanken Küchengeräte dort blinkten wie leuchtende Augen auf.
Auf dem obersten Treppenabsatz blieb der Fremde stehen.
»Die Tür gerade vor mir, nicht wahr?« fragte er.
»Ja.«
»Ich leide sehr an Schlaflosigkeit,« fuhr er fort, »es kommt vor, daß ich mitten in der Nacht oder gegen Morgen ein bißchen spazieren gehen muß. Wie gelange ich dann hinaus?«
»Hier unter der Treppe ist eine kleine Tür. Die steht offen.«
»Schön, dann finde ich schon. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, gab Johannes zurück.
Man hörte den Fremden in sein Zimmer gehen und die Tür hinter sich zuschließen. Johannes kehrte in die Gaststube zurück, wo noch einiges wegzuräumen war. Durch das offene Fenster lauschte er den Schritten, die sich über einen steinigen Abhang entfernten. Das war der Lotsenälteste auf dem Heimweg.
Und bald darauf trat auch die Frau ins Zimmer. Die beiden alten Menschen gingen aneinander vorbei und hantierten jeder für sich herum. Es lag eigentlich nichts Feindliches in diesem Schweigen, aber es war doch, als hätten sie sich etwas zu sagen, vielleicht böse Worte, aber keiner von ihnen entschloß sich, den Anfang zu machen; es lag etwas Heimtückisches, Tierisches in diesem leisen Herumschlurfen.
Endlich setzte sich die Alte am Kamin nieder. Der Mann blieb unter dem Lampenschirm stehen und putzte irgendwelche Fischgeräte.
»Was hast du für die Überfuhr bekommen?« fragte sie.
»Er hat noch gar nicht bezahlt.«
Und nach einer Pause fügte er hinzu:
»Aber er wollte Sigvard ein Trinkgeld geben.«
»Hat er es genommen?«
»Nein, er hat es nicht genommen. Es war ein halber Taler.«
Die Frau schnitt eine Grimasse.
»Er ist stolz, der Junge. Ist Ann-Mari zu Bett gegangen?«
»Ich weiß nicht,« erwiderte der Mann, »heute ist ja Samstagabend. Der erste Frühlingsabend. Ich hörte vorhin die Ziehharmonika vom Kirchenhügel.«
Wieder war es still. Aus dem Zimmer über ihnen hörte man Schritte. Das war der Fremde, der seine Nachtvorbereitungen traf. Es hörte sich an, als ob er seine Koffer öffnete und irgendwelche Gegenstände, Stiefel und derlei herausnähme.
»Er ist sicher reich, der Mann«, sagte die Fährwirtin mit gesenkter Stimme. »Seine Koffer sind mit Silber beschlagen. Sagte er etwas darüber, wie lange er bleiben will?«
»Er redete etwas von ein paar Tagen. Vielleicht zwei oder drei. Er will weiter.«
»Ich habe versucht, seinen großen Koffer zu öffnen, aber er war abgesperrt.«
Dem Mann gab es einen Ruck.
»Das ist doch selbstverständlich,« sagte er, »daß man seine Sachen versperren muß, wenn man auf Reisen geht.«
»Übrigens hat er seine Reichtümer nicht in dem großen Koffer, sondern in dem anderen, dem kleineren.«
»Wie kannst du das wissen?«
»Das ist doch klar. Von dem kleinen Koffer will er sich gar nicht trennen. Er muß ihn immer in der Nähe haben. Als er hier am Kamin saß, stand der Koffer neben ihm, und von Zeit zu Zeit sah er immer hin. Ich bin ganz sicher, daß er große Reichtümer in diesem Koffer hat. Geld, Gold.«
»Es können ja auch wichtige Papiere sein.«
»Kein Mensch zieht mit wichtigen Dokumenten im Koffer im Lande herum. Solche Papiere trägt man auf der Brust, in der Brieftasche. Nein, in diesem Koffer sind schon andere Dinge. Gold.«
Wieder hörte man oben Schritte.
»Er geht im Zimmer hin und her«, sagte die Frau.
»Er leidet ja an Schlaflosigkeit, hat er gesagt.«
»An Unruhe, ja. Vielleicht an schlechtem Gewissen.«
»Warum denn?«
»Wie heißt er?«
»Er hat seinen Namen noch nicht eingeschrieben.«
»Und warum kommt er her und läßt sich an einem solchen Ort nieder?«
»Vielleicht um Ruhe zu finden.«
»Oder um sich zu verbergen. Vor wem? Ja, wer kann das wissen? Vielleicht ist schon jemand unterwegs und sucht ihn. Er hat etwas Verdächtiges an sich. Er kommt von weit her.